Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)
Bergsteiger sind kaputte Typen. Wenn gerade keine Herausforderung da ist, schaffen sie sich eben eine. Man kann auch sagen: Beim leisesten Anflug von Langeweile kommen sie auf dumme Gedanken. Dabei nehmen sie weder auf andere noch sich selbst Rücksicht. Die folgenden Geschichten sollen das beweisen.
Übersicht
Die große Schweiztraverse 30./31.10.1994
MUH 96
Dritte Versuch am 30./31.10.99: Sohland-Hrensko
Endlich wieder unnormal - Milleschauer-Lovos am 28./29.10.2000
Schon fast Routine - Hrensko-Studenec-Rosenberg-Hrensko am 29./28.10.01
Erstmals 100% Ausbeute: Usti-Obervogelgesang am 2./3.11.02
Die große Schweiztraverse 30./31.10.1994
Es fing alles ganz harmlos an. Die kalte Jahreszeit nahte wieder einmal, und weil wir sowieso immer viel wandern, dachte ich mir: Man könnte es auch einmal auf die Spitze treiben und versuchen, die ganze Sächsische Schweiz an einem Tag zu durchwandern und dabei - das ist das Neue daran - so viele Berge wie nur irgend möglich mitnehmen.
Karte geschnappt und Plan geschmiedet. Ei, das sieht ja gar nicht so schlimm aus. Von Wehlen bis nach Hinterhermsdorf wären es laut Karte etwa 35km - das ist auch für meine Füße noch zu machen. Ich hatte noch keinen addierenden Höhenmesser, aber ich glaubte an so 1500 Höhenmeter. Schwierig ist bekanntlich das Gelände, das mit dem zivilen Wandern auf Waldwegen manchmal weniger zu tun hat, eher mit alpineren Pfaden.
Strahlend stellte ich den Plan meinen engsten Kletterkumpeln D1 und Ekki vor. Und da sagte D1 - ausgerechnet D1, der nicht eine unserer Kampfwanderungen überlebte! -, also, er sagte: "Da machen wir aber etwas Richtiges draus und laufen ab Dresden." Solch ein idiotischer Gedanke fiel bei Ekki und mir sofort auf fruchtbaren Boden. Auch die superzähe Susi und Martl, meine Frau, wollten gleich mitmachen. Zu fünft? Nicht schlecht, das gibt Windschatten. Einziges Problem: Am ersten Tag konnte Martl nicht mitmachen, sie hatte ein Klassentreffen in Sebnitz. Es war ihr Glück.
Scharfer Start
So versammelten wir uns am 30.10. früh bei schönstem Wetter zu viert am Terrassenufer vor dem DDR-Prachtplattenbau, in dem D1 wohnte. Auch am ersten Tag sollten es "nur" reichlich 30km werden, Höhenmeter nicht so toll. Schaffen wir schon. Startfoto, und die Herde jagte los.
Wir sind wirklich gejagt. Ich weiß noch, dass in jenem Jahr erstmals die Graugänse im Herbst einfielen, die Wiesen waren voll von ihnen. Ich kam gerade so zu 2-3 Fotos von der schnellen Bande und den Gänsen zusammen. Wir stiefelten voller Tatendrang in nur 2 1/4 Stunden an der Elbe bis Pillnitz. Das müssen 14km gewesen sein, ergibt über 6km/h brutto. Hätten wir auch nur geahnt, was da noch kommt ...
Durch das Schloss Pillnitz ging es etwas gemäßigt, auf den folgenden
Jagdwegen war die Jagd bereits nicht mehr so schnell. Doch jeder normale
Spaziergänger hätte von uns nur Kondensstreifen gesehen, davon bin ich
überzeugt. Die Jagdwege kannte ich schon von der Dresdner Wintertour her,
der folgende schöne Abschnitt war neu. Die Herbstfarben leuchteten herrlich,
ich kann mich noch an einen tiefroten Baum vor blauem Himmel erinnern.
An der Schönen Höhe ging es nur vorbei, um Elbersdorf herum mussten wir allerhand Straße laufen. Das bekommt meinen Füßen nie gut, ich meide Asphalt wie die Pest. Endlich durften wir wieder über Wiesen watscheln, hoch zum Breiten Stein. Irgendwie ging es schon nicht mehr ganz so schnell.
Der Weg vom Breiten Stein Richtung Dorf Wehlen zog sich ziemlich hin.
Wir wurden doch langsamer. Auf einer Bank machten wir verdächtig lange
Rast. Die Füße taten ziemlich weh, nicht nur bei mir. Das Laufen ging
allmählich in eine Art Schnellhumpeln über. Aber schöne Blicke mit
schönen Farben gab es. Ein Foto, das besonders gelungen war, hing drei
Jahre lang bei uns im Treppenhaus.
Mit etwas eigenartigen Verrenkungen stiegen wir hinab in den Uttewalder Grund. War das immer schon so weit bis zur Waldidylle? Diese Strecken waren doch eigentlich kurz, nur Teile von Wanderungen ... Mannhaft (auch Susi) schritten wir an der Verlockung "Waldidylle" vorbei, eine gute Gaststätte, die obendrein noch geöffnet hatte. Wir hatten natürlich nur das Tagesziel im Auge!
Endlich, Wehlen. Das sollten nur reichlich 30km gewesen sein? Na, ich wusste nicht. Erst mal eine Übernachtung suchen. Ach ja, ich habe die Hauptsache vergessen zu erzählen: Natürlich wird bei solch einer Unternehmung nicht im weichen Bett geschlafen. Wir sind doch keine Weichwürste, Hüftgurtträger, Bleiplattenauspacker oder Schuhauspolsterer! Nein, wir booften, d.h., wir schliefen unter einem Felsüberhang. Nur waren die Felsen noch ein bisschen weg vom Weg und nicht so richtig überhängig. Machte nichts, eine Holzterasse unter dem Vordach einer Hütte war auch hart genug für uns.
Aber irgendwie ging es nicht mehr so recht. Wir versteckten unser Zeug und machten uns auf dem Weg zum Abendbrot. Weichei hin, Weichei her, ohne Essen wird das Ganze nichts. Wir waren ganz schön weit aus Wehlen herausgelaufen ... nehmen wir doch die erste Kneipe gleich am Weg, egal, wie schlecht sie sein mag. Und sie war wirklich schlecht.
22.00 hatten wir unsere Nester unter dem Vordach gebaut. Ein warmer Schlafsack ist ja etwas sehr Schönes, doch das Glückgefühl wurde beeinträchtigt durch die Bahnlinie auf der anderen Elbseite, brennende Füße, schmerzende Knie ... und durch einsetzenden Regen. Was uns nicht härter macht, bringt uns nur um.
8:40 Stunden waren wir gelaufen und - wie ich hinterher ausmaß - 38.5km. Es war doch ein bisschen mehr als gedacht.
Der Hauptteil
Hach, ist das schön, wenn im Dunkeln unter dem Vordach der Wecker hochgeht und der Regen gleichmäßig rauscht. Man ist gleich motiviert. Ich wollte Susi, die sich gar nicht rührte, im Schlafsack hochzerren. Wie eine Furie fing sie an zu boxen, weil sie Angst um die Reißverschlüsse hatte. Ein Glück, dass im Schlafsack eingesperrte Leute keine Kinnhaken verteilen können.
Nach einem gemütlichen Frühstück am weißgedeckten Tisch auf der Sonnenterasse ... wollte schreiben, auf den nackten Holzplanken im Dunklen unter dem Vordach im Regen ... packten wir unsere Siebensachen und zuckelten zur ersten Fähre, die uns Martl ausschütten sollte. Das tat sie auch, allerdings erst 6.30 Uhr. Warten im Regen ist überhaupt nicht gemütlich. Und es wurde schon hell. Martl war bereits 4.00 losgefahren und hatte wenigstens kaum geschlafen. Damit passte sie wunderbar zu unserem Team.
Zu spät, weil schon in der Morgendämmerung, liefen wir den Steinrücken hoch. D1 hing mächtig hinterher. Er ist ein ausgesprochener Morgenmuffel und bummelt anfangs immer so, dass ich mich aufrege. Es passte sowieso alles, vor allem der gleichmäßige Regen aus gleichmäßig grauem Himmel. Ekki hat in solchen Situationen immer goldigen Humor; mit ihm zusammen hält man die wildesten Abenteuer aus. Aber diesmal hatte Ekki Probleme, seine Schuhe rieben zu sehr. Er polsterte sie mit Klopapier aus: Mal sehen, ob das hilft. Das hatte noch keiner probiert, und etwas anderes stand ohnehin nicht zum Auspolstern zur Verfügung.
D1 kam wieder herangebummelt und muffelte noch mehr. Wir mussten immer öfter auf ihn warten. Seine Muffelintensität wuchs unaufhörlich. Schließlich fing er an, von warmen Duschen zu reden, von der Sportshow und einem gemütlichen Sofa ... dann sagte er "Tschüß", und auf einmal war er schneller als wir. Typischerweise geschieht solch eine rasante Temposteigerung bei ihm, wenn in max. 5km eine Kneipe kommt. Hier wollte er nur so schnell wie möglich über die Bastei und hinab nach Rathen, zum Zug.
Der erste Verlust war also bereits zu beklagen. Ekki stopfte mittlerweile die zweite Ladung Klopapier in die Schuhe. So erreichten wir die Bastei. Eine herrliche Aussicht im Regen, welch ein idyllischer Moment. Ein Glück, dass niemand unterwegs war um diese Zeit und uns Jammergestalten sehen konnte.
Wieder unten in Rathen musste Ekki das erste und einzige Mal zerknirscht aufgeben, es ging nicht mehr mit seinen Blasen. Der Regen hatte das Klopapier zu einer Art Pappmachee verarbeitet, allerdings in pampigem Aggregatzustand. Also der zweite Verlust. Genaugenommen waren ja nur noch Susi und ich übrig, denn Martl spielte den Hasen.
Frohgemut hoppelten wir weiter im Regen, den Füllhölzelweg hoch. Dort trafen
wir einen Kollegen von der Bergwacht. Nomen est omen? Was wir da trieben,
konnten wir sowieso keinem erklären. Wir zogen nach kurzem Gespräch weiter.
Hinab ging es ins Polenztal und drüben gleich wieder hoch zum Brand. Noch eine
großartige Fernsicht in großartigem Regen. Sturzfrei ging es ca. 1200 glitschige
Brandstufen hinunter, wo wir den bekannten "Höhlenpapst" Roland Winkelhöfer
trafen, der gerade einer völlig vermummten Gruppe etwas erklärte. Wir wurden
bestaunt. Es regnete inzwischen sogar noch stärker. Aber wenn man einmal
losgelaufen ist, muss man weitergehen. Wir sind doch keine ... (s.o.).
Trotzdem sahen wir einfach schon erbärmlich aus:
Unten auf der Straße im Tiefen Grund ronn nur so das Wasser, und uns ronn es auch aus allen Ecken, besonders aus den Schuhen. Aber irgendwie kam man immer weiter vorwärts. Treppen hoch im Dorfgrund, einen sehr feuchten Gruß an Biwak-Moderator Horst Mempel im Vorbeigehen gerufen (auch ihm konnte man unmöglich erklären, was wir da taten - glaubt sowieso keiner), und hoch zur Waitzdorfer Höhe. Der Regen fiel einigermaßen waagerecht, die Nebelschwaden jagten, und hinter den 50m Sicht verbarg sich der dritte wundervolle Fernblick hintereinander.
Wir stolperten den Mühlweg hinab in den Kohllichtgrund. Aha, das ist also die Stelle, wo das Wasser hinfließt! Mit eigenartig hüpfenden Bewegungen gelang es uns, auf den etwas festeren Schlammstellen voranzukommen. Einmal querte der Weg den Bach ohne Brücke, doch gerade dort war der Bach sehr breit geworden. Damit es richtig Spaß macht, war eine große Fichte darüber gestürzt. Aber sie half beim Hangeln.
Unten in Kohlmühle machten wir kurz Pause. In dem geschlossenen Wartehäuschen beschlugen sofort die Scheiben, als wir uns hineinsetzten. Das ist mir weder vorher noch später passiert.
Wir querten das Sebnitztal und stiefelten steil hoch zum Adamsberg. Etwas Unglaubliches trat ein: Der Regen hörte ganz kurz auf, und man sah für einen Moment das Panorama der Sächsischen Schweiz. Leider wurde es gleich kalt. Also weiter und die Dorfbachklamm auf steilen Treppen hinab ins Kirnitzschtal. Von dort wieder hoch auf die Hohe Liebe. Hätten wir die reichlich 200Hm direkt genommen, wäre es kürzer geworden, nur verfranzten wir uns etwas.
Ausgangs der Wilden Hölle traf ich eine Kletterkumpline mit Regenschirm. Es nieselte und regnete längst schon wieder gleichmäßig. Wir erzählten ihr von unseren Plänen, doch sie wusste ja schon, dass ich verrückt bin. Auf Eisentreppen und -klammern, dann über Felsblöcke und schlammige Wege ging es hoch bis auf 500m, am Winterberg vorbei und wieder hinab in die Richterschlüchte. Das war lang. Vor allem die Forststraße unten im Großen Zschand nahm kein Ende. Endlich durften wir wieder bergan steigen, auf glitschigen Holzstufen. Flüssig war unser Laufstil gewiss nicht mehr, aber immerhin: Wir kamen voran.
Es geht wirklich sehr weit hoch von der Zschandstraße bis zum Thorwaldgrat, doch an diesem Regentag hatten sie ordentlich noch ein paar Höhenmeter draufgelegt. Wow, endlich oben - nur noch ein Berg, lang und flach. Es wurde schon leicht dämmrig.
Endlos zog sich der nasse Weg, die Schuhe quietschten mit uns Quietschvergnügten um die Wette. Wir überquerten die Kirnitzsch - das letzte Tal! -, und dann ging es den Lindigtgrund hoch. Nun wurde es wirklich dunkel. Stirnlampen 'raus! Schon mal mit Stirnlampe im Nebel gelaufen? Da sieht man nichts, absolut nichts! Also Stirnlampe abgenommen und weit weg vom Kopf gehalten, soweit wir sie überhaupt einmal anschalteten.
Ja, das sind die romantischen, unvergesslichen Momente im Leben: Kaum noch lauffähig humpelten wir zu dritt durch stockfinsteren Wald, kaum eine Markierung war zu sehen, es regnete und regnete, und weder Hänsel noch die beiden Greteln wussten, wie weit es noch sein mochte. Jede Kurve wurde da zum Abenteuer. Weiterlaufen, was sonst?
Irgendwann kam endlich die Buchenparkhalle. Das hieß: Wir waren oben, nun ging es hinab nach Hinterhermsdorf, zum Ziel! Schon wieder so eine Sch-Asphaltstraße, man wusste ja kaum noch, wie und wo man treten soll. Am Rand laufen ging auch nicht immer, dort war ja das Wasser.
Das dicke Ende
Völlig fertig erreichen wir 18.00 Uhr die Endhaltestelle des Busses. Langsam, wie aus dem Altersheim Entflohene, entzifferten wir den Fahrplan. Susi brauchte erst einmal Schokolade. 18.30 sollte der Bus kommen. Was tun? Wir dachten noch darüber nach, als eine Frau einen Eimer bei uns abstellte. Martl ruft plötzlich: "He, Roswitha!" Es war eine alte Schulfreundin von ihr. Sie wohnte extrem weit weg von der Haltestelle - 400m, und die noch bergan. Ob wir das schaffen würden in 30 Minuten, hin und zurück? Jaja, sogar schneller, und wir kamen noch dazu, selbstgemachten Birnensaft zu trinken. An mehr kann ich mich nicht erinnern.
Der Bus fuhr erst einmal bis Sebnitz, Susi stieg gleich um nach Dresden. Martl und ich wollten zur Schwiegermutter. Die 20 Minuten Fußweg bis auf das Horn hoch sind für uns üblicherweise ein Klacks. Doch an diesem Abend passierte das Unglaubliche, was sich hoffentlich nie wiederholen wird: Für 8.90 DM nahmen wir uns ein Taxi (eigentlich eine Zumutung für den Fahrer, denn die Straße ist ein holpriger Feldweg).
Bei der Oma angekommen, die wie üblich die Hände über dem Kopf zusammenschlug ("ihr seid verrückt" - wissen wir ja), zog ich erstmals meine Schuhe aus, gaaanz vorsichtig. Dann rollte ich die Socken noch vorsichtiger herunter. Rollen, denn Ziehen wäre selbst bei gesunden Füßen nicht mehr gegangen. Iiiih, die sahen aus wie Camembert, der drei Wochen in Salzlauge gelegen hat. Martl: "Sofort die Füße waschen, die stinken ja!!!" Ich: "Wenn ich die jetzt wasche, spüle ich das Fleisch gleich zusammen mit der Haut ab. Erst mal antrocknen lassen!" Und das war auch gut so ...
Aah, wir hatten es also doch überlebt. Sorgfältiges Ausmessen ergab 77km und 20 Stunden Laufzeit in zwei Tagen. Ob es nur 2000 Höhenmeter waren? Ich vermute mehr, doch in einem Stück werde ich diese Tour bestimmt nicht mehr laufen.
Von 5 Teilnehmern haben somit zwei die gesamte Strecke absolviert. Das macht eine Ausbeute von 40%. Weicheier!!
Wir hatten etwas Neues erfunden, das noch keinen Namen hatte. Eine einfache "Wanderung mit Boofen" war es nicht. Ausscheidungswandern? Nur die Harten kommen an.
Und die Spätfolgen? Zunächst wanderten wir 14 Tage später von Schöna nach Decin an den Hängen entlang (und schreckten dabei einen riesigen Fuchs auf), das ging schon wieder - nur bei Susi nicht, die hatte noch Knieprobleme. Einen Monat später stand ich kurz vor Weihnachten auf der tief verschneiten Kampenwand ... Bergsteiger sind eben unverbesserlich. Es war sowieso an jedem Wochenende Sport angesagt.
Im Folgejahr wanderten Martl, Susi und ich von Hinterhermsdorf nach Ceska Kamenice. Vermutlich waren das auch 40km, die Füße und Beine taten entsprechend weh. Selbstverständlich regnete es im zweiten Teil des Tages. Aber es war schön. Doch wir erreichten alle das Ziel, und das Unternehmen dauerte nur einen Tag. Es war also nichts Echtes.
Aber dann kam 1996, und Ekki hatte eine Idee. Ekki hat immer gute Ideen, doch sie versprechen ebenso wie meine eine gewisse Härte. Ekki wollte nämlich in zwei Tagen von Dresden nach Decin laufen, diesmal linkselbisch. Die Kunde von unserer Wanderung 1994 hatte natürlich die Runde gemacht, und Ekki (der sowieso immer untertreibt) versprach, dass es diesmal ganz zivil werden würde. Daher fanden sich gleich sieben willige Opfer ein: Martl, Ekki, Mirko, D2, D1, Fussolini und ich. Selbstverständlich wird wieder gebooft. Wo? Im Labyrinth bei Langenhennersdorf. Es wird sich schon was finden.
Wieder war es Spätherbst, wieder war es das letzte Wochenende der Sommerzeit. Diesmal ging es aber schon im Dunkeln los. Ein Startfoto musste trotzdem werden. Halt, ich auch! Und ich auch! Also, Leute, wollen wir Wandern oder Startfotos machen? Startfotos! Verflixt, das Blitzlicht ging nicht. Ekki als Hauptfotograf hatte das Recht auf Reparatur seiner Ausrüstung. Ich nutzte die Pause und erklärte, dass wir beinahe zu einer Tour ohne Namen gestartet wären. Das ging natürlich nicht. Ich taufte unser Unternehmen "MUH 96". MUH, das bedeutet "Marsch der ungeahnten Härten". Hach, wie Recht ich wieder hatte.
Endlich scharfer Start
7.13, das Blitzlicht hatte geblitzt, alle Fotos waren gemacht, es ging los. Zackig stürmten wir durch den Räcknitzer Volkspark und den Kaitzbach entlang bergan. Fussolini wackelte aber mächtig beim Laufen, und so eine riesige Kiepe auf dem Rücken ... was sollte denn das werden ...
Nöthnitzgrund, Rippien auf der Höhe, an der Babisnauer Pappel mit großer Fernsicht vorbei, hinab in den Lockwitzgrund, hoch zur Burgstädter Linde ... tja, und dann verließen sie ihn. So toll war Ekkis Plan doch nicht, die Karte gab hier keinen Weg her. Ekki meinte wie üblich: "Wird schon gehen." Sagte ich ja auch. So marschierten wir auf gut gepolsterten Wiesen durch die Borthener Obstplantagen und kamen nach Dohna, wo es sich gleich wieder bergan nach Krebs hochzog. In Meusegast kehrten diese Weicheier doch tatsächlich in eine Kneipe ein. Die war aber sehr unwirsch. Die Zeit, die schöne Zeit! Leute, Ihr wisst wohl nicht, wie weit das ist? Klar, hatten wir ja auch nicht gesagt :-)
Der Name "MUH" erhielt noch eine besondere Bedeutung. Als wir an einer Weide
mit Jungbullen vorbeikamen, stellten diese sich alle militärisch in einer
Reihe auf. Prompt kam D1, der sowieso mit Vorliebe NVA-lastig herumwitzelt,
und rief: "Die Augääähn-links!!" Und die Köpfe drehten sich nach links. Nur in
Zweierreihe wollten sie sich nicht ordnen lassen. Wird noch.
Fussolini humpelte immer mehr. Dagegen war ja selbst D1 das blanke Wiesel. In Friedrichswalde gab er schließlich auf, telefonierte endlos lange mit meinem Handy (das war damals auch am Wochenende noch richtig teuer, ich war sauer) und wartete auf den Wagen, mit dem ihn die brave Mama abholen sollte. Oder wer auch sonst.
Verflixt, nun liefen wir schon wieder Straße. Ich mochte das nicht. Ottendorf, Cotta, dann hatte sich die Gegend wieder einmal nicht nach der Karte gerichtet, und wir durften über Sumpfwiesen zum richtigen Weg laufen. Ob es wirklich der richtige war, wird nie klar werden. Aber es ging in die richtige Richtung. Es wurde dämmrig, der Mond hing als große Apfelsine über dem Wald auf dem nächsten Bergrücken. Dort oben musste Langenhennersdorf sein. Dort kamen wir auch irgendwann einmal an, inzwischen im Dunklen. Zwei Stunden versumpften diese Weicheier nun in der Kneipe. Leute, wir müssen noch weiter, wir haben noch keine Boofe! So, Boofe? Na klar, das war doch eindeutig ausgemacht! Nee, Mirko hat gerade Jutta angerufen, dass sie ihn mit dem Transporter abholt, und D1 und Martl fahren mit! Aber hallo, liebe Bergfreunde, und wozu schleift Ihr da Eure Kiepen mit dem ganzen Boofzeug mit? Naja, wir wollten bloß für alle Fälle und so weiter ...
Alles klar: Ein unwürdiges Publikum! Ekki und D2, wir bleiben doch dabei? Na logo. Nach 2 Stunden Gaststätte - sollen diese elenden Weicheier doch sehen, wie sie heimkommen ;-) - liefen wir weiter. Im Stockdunklen ging es die Straße in Richtung Labyrinth. Es zog sich so dahin. Endlich Felsen, nur fand sich keine Boofe. Dann doch, aber darin hatten bereits diverse Besucher dieses populären Felsgebietes ganz andere Bedürfnisse befriedigt.
Nach einer halben Stunde hatte Ekki endlich eine kackfreie Höhle entdeckt. Wir richteten uns gemütlich ein und schliefen schön weich im Laub. Dank des Sommerzeitendes wurde die Nacht eine Stunde länger. Wir waren von 7.13 Uhr bis genau 22.13 gelaufen, also 15 Stunden brutto - da sind allerdings zwei viel zu lange Gaststättenbesuche abzuziehen. 40km waren es mit Sicherheit, die Karte behauptete eher 45km. Es war jedenfalls verdammt weit.
Der zweite Tag
Das Wetter war ganz leidlich. 6.55 Uhr ging es bei grauem Himmel mit grauem
Gesicht los. Der Ort Bielatal lag noch im Morgennebel, ich machte ein schönes
Foto von einem großen, einzelnen Baum, der aus den Dunst herausragte.
Hoch zum
Kohlstein, dann versagte die Karte (oder Ekki? oder ich? oder wir alle?)
wieder mal. Auf Irrwegen schlugen wir uns hinter dem Katzstein durch, kamen
auf den "toten Ochsen", liefen eventuell den Mittelhangweg (das werden wir nie
erfahren), danach durch unmarkiertes Unterholz zu einer Bachüberquerung, die
gewisse Geländegängigkeit erforderte. Ich weiß nicht mehr, ob wir die Schuhe
ausziehen mussten. Mit Wanderweg hatte es jedenfalls nichts zu tun.
Schließlich kamen wir doch noch zum Taubenteich, 3km Asphaltweg waren angesagt. D2 wurde zum Wackelkandidaten: "Ab jetzt geht es doch nur noch auf die Knochen." Ich versprach ihm ein Ende des harten Untergrundes nach 3km (stimmte!) und nach dem illegalen Grenzübertritt erstklassig gepolsterte Waldwege (stimmte auch! wusste ich nur nicht vorher) - und er ließ sich bekehren. Der Nebel wurde recht dicht, aber es blieb wenigstens trocken. Dank der sehr genauen Böhm-Karte querten wir das Niemandsland so treffsicher, dass es gleich mit dem richtigen (und wie angekündigt gepolsterten) Weg weiterging. D2 zweifelte die ganze Zeit, wohin wir uns überhaupt bewegen, doch Karte und Kompass überzeugten ihn allmählich. Wir kamen zum Jägerkreuz und dann auf den grün markierten Weg nach Maxicky, leider wieder auf Asphalt. Es fing nun doch an, richtig schwer zu werden.
Von Maxicky zog sich ein überraschend schöner gelber Weg hinunter nach Decin. Doch die wahre Dramatik begann genau im Ort. Alle zwei Stunden fuhr ein IC nach Dresden. 14.10 war Abfahrt, es war bereits 14.15. Also auf ein gemütliches Bierchen nach der gelungenen Tour! Doch leider hatte der Zug Verspätung, und die Zuganzeige war unten von der Straße aus leider zu erkennen. Was dann folgte, bezeichnete Ekki nachträglich als "Hochgeschwindigkeits-Wetthumpeln." Verflixt, wir hatten den Zug geschafft und mussten einsteigen. So ein nüchternes Ende.
Vielleicht waren wir so 70-75km gelaufen (eher 75), in 19.5 Stunden Bruttozeit (die beiden Kneipenbesuche fairerweise mal abgezogen). Und die Ausbeute: 3 von 7 kamen an, also 42.8%. Immerhin mehr als die 40% vor zwei Jahren.
Dritte Versuch am 30./31.10.99: Sohland-Hrensko
Beim dritten Versuch, einmal alle Leute ins Ziel zu bekommen, war eigentlich schon alles normal. Diesmal waren wir zu sechst: Ekki, D1, D2, Martl, Susi und ich. Nach einer Idee von Ekki liefen wir in zwei Tagen von Sohland (Lausitz) nach Hrensko an der Grenze zwischen Sächsischer und Böhmischer Schweiz. Ich hatte mittlerweile vor einem Jahr mit den Rennradsport angefangen, was mir sehr nützte, wie wir gleich lesen werden.
Nach dem Start in Sohland folgten wir den Schildern zum Grenzübergang. Die Richtung war ein bisschen komisch, aber die Schilder ließen keinen Zweifel. Nach mehreren Kilometern kam es mir doch sehr seltsam vor. Im gleichen Jahr war ich bei Riesenhitze den Seifhennersdorfer Supercup mitgefahren, der genau hier entlang kam. Daher wusste ich, dass wir uns gerade Richtung Augustusberg bewegten und nicht etwa zur Grenze. Also jemanden gefragt - und: Sohland hat zwei Übergänge. Meingott, wer konnte denn das ahnen. Die ganzen asphaltierten Feldwege, die ich mich vor vier Monaten noch bei unerträglicher Hitze mit brennenden, gequollenen Füßen in engen Radschuhen hochgequält hatte, latschten wir nun hinab zum richtigen Übergang. Das kostete alles locker eine Stunde. Dafür wurde es auf tschechischer Seite schön, und zwei Dackel amüsierten uns prächtig, die eigentlich sehr ängstlich waren, aber sich beim Bellen fast zerrissen hätten. Eine ganz hervorragende Knoblauchsuppe (eigentlich ein Eintopf) und gutes Essen im Hotel Prag in Sluknov glätteten unsere Gemüter.
Wir liefen den blauen, dann den roten und dann den grünen Weg. Es war eigenartig windig, etwas trüb, eine schöne Herbststimmung in einem der schönsten Mittelgebirge. Kaum ein Mensch war zu sehen. Einsam zog sich der Weg durch Täler und über fahlgelbe Wiesen, gab Blicke auf ferne Höhenzüge und unzählige Vulkankegel frei. Unser 0.5-Sterne-Hotel war diesmal eine verlassene oder unvollendete Bungalowsiedlung, denn Felsen gab es keine in der Nähe. So machten wir es uns nach ca. 5 Stunden Laufzeit auf daunenweichem Beton gemütlich. Ich begriff wieder einmal, was man unter "harter Nacht" versteht.
Erst 8.00 ging es Sonntags weiter, wie üblich nun im Regen. Die Wege waren schön wie überhaupt die Gegend. Trotzdem gab D1 standesgemäß an der Grenze zu Hinterhermsdorf auf. Das war endgültig. Für spätere derartige Unternehmungen meldete er sich gar nicht erst wieder an. - Wir liefen weiter, leider auch längere Zeit über asphaltierte Forststraßen, und dann einen erstaunlich langen Berg hoch, an dem Martl bedenklich hinterher hing. Doch jetzt musste sie durch.
Erstmals bei solch einer Tour hörte der Regen am zweiten Tag auf. Kurz vor
Mezni Louka kam die Sonne durch und zauberte irre Bilder in den Wald. Wieder
ein Foto für das Treppenhaus, es hängt noch ...
Nach einem Kneipen-Intermezzo in Mezni Louka zuckelten wir bei schönem Wetter talab zum Ziel. Vorher wollten wir aber an der Zigeunerfichte links hoch zum gelben Weg gehen, von dem aus interessante Blicke auf die Silberwände versprochen worden waren. Nur - welche Fichte war denn nun die Zigeunerfichte? Wir rieten einigermaßen richtig, obwohl der Weg danach gegen Ende etwas wild wurde und sich danach ganz verlor. Doch wir kamen auf die gelbe Markierung und hatten noch ein paar nette Aussichten. Martl war das zuviel, sie blieb unten auf der Straße.
6 Stunden waren wir gelaufen, insgesamt also "nur" 11 und nicht etwa 20 wie früher. 1530 ansteigende Höhenmeter zeigte mein Gerät an. Trotzdem hatte ich mir, vermutlich auch beim Schlafen auf Beton mit zu dünner Isomatte, ein Knie ziemlich gezerrt. Solche heftigen Probleme hatte es bei keiner einzigen Radtour gegeben, auch nicht mit deutlich über 200km und viel mehr Höhenmetern.
Fünf von sechs Startern waren angekommen, rechnerisch also 83%. Aber weil Martl den letzten gelben Weg nicht mitlief, gab es Strafabzug, also einigten wir uns auf 81% Ausbeute. Es waren ja auch nur ca. 50km.
Endlich wieder unnormal - Milleschauer-Lovos am 28./29.10.2000
Meine ausgedehnten Rennradtouren brachten nicht nur Kondition, sondern auch Gebietskenntnis. So entstand der Wunsch, endlich einmal auf den Milleschauer zu steigen - ein 836m hoher und erstaunlich spitzer Vulkankegel, der ein ganzes Gebirge dominiert. Der Kegel Lovos nebenan ist zwar nur 600m hoch, versprach aber ebenso tolle Rundblicke sowie eine Baude, in der man übernachten kann. Weiter wollte ich noch auf den Varhost im tschechischen Mittelgebirge auf der anderen Elbseite. Dort gibt es einen eigenartigen Aussichtsturm.
Wir waren zu sechst: Der übliche harte Kern, also Ekki, Martl, Susi und ich; hinzu kamen der Rennfahrer Jan sowie Tom, den ich als hart einschätzte - ein typischer Südamerika-Alpinist (u.a. Aconcagua-Südwand, was unseren Nordwänden entspricht). Tom, ein bisschen Hauruck-Sportler, erklärte großspurig: "Wandern bringt nischt für die Kondi, ich mache das nur aus Spaß mit." Das wird sich zeigen.
Nach dem ausgiebigen Studium der Eisenbahnwissenschaften fuhren wir per Wochenendticket bis Usti. Informationen über derartige Angebote wurden von der Bahn sorgfältig geheimgehalten, denn man fährt so extrem billig. Es nützte der Bahn nichts.
9.00 kamen wir in Usti an. Es war sehr nass, ein wenig nieselte es ab und zu. Bei Usti findet man den größten Kontrast dieser Art, den ich kenne: Eine grausame Stadt mit regelrechten Slums, und ringsum eine traumhafte Berglandschaft. An idyllischem Bahngelände vorbei und durch herrliche Industrieecken hindurch schmuggelten wir uns zielgerichtet an unseren roten Weg heran. Da stand es schon am Schild: Milesovka 17km.
Das Wetter war sehr mäßig, alles vernebelt und oft Niesel. Schade. Man hat
hier so herrliche Blicke, ich hätte es gern den anderen gezeigt. Die Straße,
die wir leider laufen mussten, war sehr gut, die Zigeunerorte dagegen weniger.
Unmassen Obst hing an den Bäumen, wie bei uns nahm es keiner mehr ab. In einem
schlammigen Hohlweg lag alles voll von vergorenen Birnen. Die Wanderung geriet
zum Birnenmuswaten. Das passierte immer wieder. Alternativ standen schlammige
Feldwege zur Auswahl.
Der Weg war sehr weit, wir mussten ziemliches Tempo vorlegen. Martl und Tom hingen ab und zu hinten. Nach 13km schließlich wurde es Martl zu bunt, ihre Schuhe rieben, und sie kehrte um. Das war vernünftig, jedoch eben der erste Verlust.
Keinerlei Gaststätten fanden sich in den Nestern, es war eine gottverlassene
Gegend. Obendrein passierte uns ein wegzehrender Verhauer. Wir hatten einfach
eine Markierung übersehen. Der Milleschauer, sonst weithin sichtbares
Markenzeichen des namenlosen Gebirgszuges, wurde erst sehr spät sichtbar,
aber auch nur der untere Teil: Oben steckte alles im Nebel. Ekki, Susi und
ich jagten uns gegenseitig mit Maximaltempo hoch. Was sollte man in solch
dichter Suppe sonst auch machen. Tom und Jan kamen irgendwo weiter hinten.
Oben waren maximal 20m Sicht und ziemliche Kälte. Schade. Man hätte sogar
auf den Aussichtsturm des meteorologischen Observatoriums gedurft, nur
nützte es nichts. So kehrten wir in eine urige kleine Schänke ein.
Von Fern bei schönem Wetter ein so beeindruckender Berg -
und nun waren wir endlich oben und sahen nichts, absolut nichts.
Beim Abstieg im Nebel merkten wir erst zu weit unten, dass wir falsch waren: Das war unser Anweg gewesen, nicht der Weiterweg. Also nochmals hoch, denn Sport hält jung. Der richtige Abstieg war wegen Nässe und Basaltuntergrund sehr rutschig und lief sich schlecht. Nun hinüber zum Lovos, der war ja gleich nebenan.
"Nebenan" ist ein sehr relativer Begriff, es kommt auf den Beobachtungspunkt an. Wenn man auf einem der beiden Gipfel steht, ist es jedenfalls erstaunlich weit. Einkaufen in Velemin, Suchen des Weiterweges, ein langes Tal zur Burgruine Oparno. Erstaunlich, wo die Wanderwegedesigner hier noch Möglichkeiten zum Auf- und Abstieg entdeckt hatten! Es war aber eine interessante, schöne Gegend. Tom wurde langsam. Nanu, Herr Andinist?
Endlich ging es hoch zum Lovos. Tom wurde immer langsamer. Schließlich musste er sich hinsetzen und essen. Der Weg war klar, wir verabredeten uns oben auf dem Gipfel. In tiefer Dämmerung schraubten wir uns um den Gipfel herum immer höher. Sicht gab es leider keine, man sah nur Anfänge von Geröllfeldern. In der Baude war zum Glück Platz für uns. Die erste Tour mit Bett. Wir wurden Weicheier!
Die Wirtsleute waren sehr nett, die Verpflegung sehr simpel und nicht so super, aber das spielte keine Rolle. Oben auf der Baude konnte man auf ein Plateau mit dem totalen Rundumblick steigen. Nun, in der Nacht, war der Nebel endlich aufgerissen, man erkannte die Berge ringsum wenigstens andeutungsweise. Unten leuchtete hell die Stadt Lovosice mit ihrem Chemiewerk, dessen Dunstfahnen zum Glück nicht zu uns heraufdrangen.
Es war schon ein harter Tag gewesen. 9 Stunden waren wir gewandert, so knapp 35km, und Höhenmeter nicht zu knapp. Tom war etwa 10 Minuten nach uns eingetroffen und saß ganz still am Tisch. So einfach schien das doch nicht zu sein mit dem Bloß-zum-Spaß-Wandern.
Es wird nicht leichter
Nach einem zivilen Frühstück starteten wir 7.00 im dichten Nebel. Die
Stimmung war gespenstisch, Susi erinnerte sich gern daran. Auf blauem und
gelbem Weg gelangten wir zur Elbfähre in Male Zernoseky, die zum Glück
so zeitig schon verkehrte. Der Fährmann war mürrisch und nahm 10 Kronen
statt der ausgewiesenen 5 Kronen, aber für uns war es allemal geschenkt
(50 Pfennig etwa), und er konnte es wahrhaft gebrauchen. Dafür gab es
als Fährschein ein Farbfoto mit Panorama-Erklärung auf der Rückseite.
In dichtem Unterholz stieg der Weiterweg steil an zum Böhmischen Tor,
auf einen Berg über der Elbe mit drei Holzkreuzen darauf. Ein eigenartiger
Blick! Weiter ging's zum Ort Kamyk mit einer weithin sichtbaren Burgruine,
die ich auf Radtouren schon öfters sah. Es erforderte sogar etwas echte
Kletterei, um ganz hoch zu kommen, aber es war eine originelle Einlage.
Einen blauen Weg ging es hoch zum Berg Plesivec. Nach wie vor war es neblig.
Zum Bergrücken hoch hieß es ein erstaunlich großes Geröllfeld mit
grünlich-grauen, sehr rutschigen Basaltblöcken ansteigen. Das war irre!
Oben
ein gespenstischer Anblick: Aus dem Blockmeer wuchsen einzelne Bäume, dichter
Nebel machte das alles noch unwirklicher. Das nächste Highlight der Wanderung.
Sehr einsam ging der Weg weiter. So einsam, dass ich zum zweiten Mal in meinem Leben Mufflons in freier Wildbahn sah: Zwei erwachsene Tiere, offenbar mit vier Kindern. Sie beobachteten uns sogar eine Weile. Erst wollte es die anderen gar nicht glauben, aber dann entdeckten auch sie die gehörnten Raritäten, die gar nicht weit von uns standen.
Ein gelb markierter Weg führte nun hinab ins Tlucenske udoli. Dort war ein Gaststättenbesuch geplant, denn die Ortschaften danach kannte ich - dort war nichts mehr zu erwarten. Aber auch im Tlucenske-Tal gab es nur Datschen. Was sollte man tun? Ein paar Äpfel von den Bäumen naschen und wieder hoch zu den Krkaci Skali (Rabenfelsen). Es war sehr steil, man rutschte auf dem Waldboden schon fast weg. Obendrein sah man die Markierung einmal nicht von unserer Seite aus, dadurch mussten wir einige Zeit suchen. Tom brach etwas zusammen: "Ich hab' einen Hungerast, ich muss erst etwas essen!" Wie gestern abend am Lovos. Na, Tom, wie ist das nun - Wandern bringt nischt für die Kondi? "Was Ihr hier macht, das ist doch kein Wandern - das ist Kampfwandern!!" Damit hatte er einen Begriff geschaffen, den wir fortan gern verwendeten.
Nach langer Wegstrecke kamen wir endlich auf dem Berg Varhost (638m) an. Der
Aussichtsturm war wirklich originell und ist daher bei vielen ein Begriff: Im
Prinzip besteht er aus einem 1-1.5m dicken, 10-15m hohen Stahlrohr, um das
eine Wendeltreppe führt, versehen mit drei Etagen von Aussichtsplattformen.
Die erste Besonderheit merkte man gleich beim Hochlaufen: Das Ding schwingt,
und wie! Jan als Nicht-Kletterer getraute sich oben wohl gar nicht bis an den
Rand. Die zweite Besonderheit merkte man just da am Rand: Die Bretter waren
auf den konzentrischen Ringen nur aufgelegt und klappten in der Mitte hoch,
wenn man ganz außen drauftrat. Zum Glück war ein Geländer da.
Das Wetter hatte sich gebessert, nur Fernsicht gab es keine, eben typische Herbststimmung. Wir verzehrten das bisschen Essen, das sich im Rucksack noch fand. Wieder mal trinken wäre nicht schlecht. Auf gelbem Weg ging es vorbei an der Martinswand nach Cereniste. Diesen total einsamen Ort kannte ich schon von einer Radtour her. Dort war man gerade dabei, die ersten (?) Telefonleitungen zu verlegen. Wie ich bei "Verhandlungen" mit dem einzigen sichtbaren Einwohner herausfand, gab es nicht einmal Wasser im Ort, das man hätte unabgekocht trinken dürfen. So etwas war noch nie passiert. Also musste wieder das natürliche Obstangebot herhalten.
Der rote Weiterweg war leider ungünstig gewählt, es war ein MTB-Trail und für MTB und Skilaufen besser geeignet als für müde Füße - das heißt, er war eine Fahrstraße. Außerdem war er endlos lang, trotz der schönen Landschaft. Steil ging es am Ende hinab zur Burg Schreckenstein über Usti. Mühsam humpelten wir hinab zum ersten Bahnhof und dann weiter über die alte Brücke zum anderen Bahnhof. Der Wochenendticket-Kauf war nicht ganz einfach. Wir sind aber völlig legal für 1.50DM pro Nase die knapp 100km nach Hause gefahren, und es wäre sogar noch billiger gegangen. Wie, verraten wir nicht. Das ist nur für Insider.
So waren es mit allen An- und Abwegen in zwei Tagen etwa 70km geworden, und mindestens 3000Hm. Es war eine sehr schöne Tour. Leider spielte wieder einmal das Wetter nicht mit. Den Plan für eine Erweiterung hatte ich bereits im Kopf (er ist aber immer noch nicht fertig). Jan hatte sich gut gehalten. Er war ja auch Ex-Leistungssportler. Leider lässt er sich mittlerweile gar nicht mehr sehen.
Die Ausbeute war nun bereits auf 5/6, sprich 83% gestiegen - der absolute Rekord. Die 100% nahen?
Schon fast Routine - Hrensko-Studenec-Rosenberg-Hrensko am 29./28.10.01
Die Zahl der Freiwilligen für solche Touren war nie groß. Diesmal kamen nur noch drei zusammen: Ekki (als geistiger Vater der Route 2001), ich - und erstaunlicherweise Tom. Oh, Blut geleckt? Nein, er ist zu schwer und muss abnehmen. Wir werden dafür sorgen.
Wie üblich fuhren wir mit der S-Bahn zur Grenze und starteten sehr flott in Hrensko. Tom blieb sofort zurück: "So schnell kann ich am Anfang nicht laufen." Ekki meinte grinsend: "Du wusstest, dass es mit Zwinki nicht gemütlich wird". Naja, und mit Ekki auch nicht, und mit Susi ebenso wenig. Und außerdem wollte er doch abnehmen.
Es war kalt, windig und trüb. Wir liefen den Gabrielensteig bis Mezni Louka, am berühmten Prebischtor vorbei (ein sehr großes Felsentor, etwa 30m lang und mehr als 10m hoch). Was da auf dem Wegweiser stand - 11km - konnte nicht stimmen, denn wir brauchten nur 1 3/4 Stunde trotz Wartens auf Tom.
Kurze Esspause, dann ging es weiter auf dem roten EB-Weg, zunächst lange hoch zum Vetrovec. Zwar war ich den Weg vor Jahren schon einmal gelaufen, hatte aber vergessen, wie schön und abwechslungsreich er ist. Wir kletterten alle drei auf die Burg Saunstejn (eine alte Raubritterburg auf einem Sandsteingipfel); einmal musste man dort sogar die Hände zu Hilfe nehmen. Für Kinder das absolute Abenteuer! Nur Ekki und ich stiegen noch auf die Rudolfsburg, ein ähnliches Relikt auf einem extrem zugigen Gipfel. Tom sass bereits unten und aß, manchmal wurde er bereits vermisst. Das war nicht tragisch, denn der Weg war klar und das nächste Ziel auch. Ebenso waren nur Ekki und ich auf dem Marienblick oben, wo man teils im Innern der Felsen auf Treppen hochläuft und von der Hütte oben einen tollen Weitblick hat. Keine Spur von Tom.
Schließlich Jetrichovice, wir fanden Tom wieder (er trudelte spät ein) und aßen im Schweizerhaus wie die Fürsten. 6 Stunden waren wir bisher unterwegs.
Nun noch in das sehr schöne Tal Pavlino udoli hinein zu einer Boofe, die Ekki da kannte. Leider ist es manchmal nicht ganz so toll mit der Ortskenntnis von Ekki. Die eine Boofe, die sich direkt am Bach anbot, wollten beide nicht. So liefen wir das gesamte Tal erst bis zum Ende und dann schon fast im Dunklen doch wieder zurück bis zu der Boofe. Interessant, wer da aufpasste, ob einer draußen schläft - es waren noch einige junge Leute unterwegs, die uns fragten und sich offenbar auch gut auskannten.
Ich hatte noch nie direkt an einem Fluss geschlafen. Es war doch ganz schön laut. Außerdem versuchte Tom, mich mit lärmenden Bubsen zu ärgern. Das war deswegen ärgerlich, weil ich nicht adäquat antworten konnte. Ansonsten war es ein bisschen nasskalt, und es regnete auch. Sind wir ja gewohnt. Trotzdem haben wir 12 Stunden geschlafen. Erst 7.45 starteten wir in Richtung Studenec, den Kaltenberg (723m).
Ich lief mich schon etwas warm, Tom war langsam, Ekki fotografierte und sah Hirsche oder Gemsen oder Elefanten - genau konnte er es hinterher nicht mehr beschreiben. Unterhalb des Gipfels wieder ein toller Basaltgeröllhang, sehr lang, gespenstisch im Nebel. Tom kürzte ab (nicht fein!) und kam so nicht viel später als wir oben an. Der Stahlturm war immer noch verrostet und absolut baufällig. Im Nebel hätte man sowieso nichts gesehen.
Auf dem blauen Weg ging es nun bis Ceska Kamenice. Ekki und ich waren vorher noch auf der Nadel (Jehla), von der aus sich ein überraschender Blick auf Stadt und bergige Umgebung bot. Im Ort Pause auf dem Marktplatz. Da man in Tschechien keine Ladenschlussgesetze kennt oder befolgt, hatte ein Laden auch am Sonntag geöffnet. Wir sagten: "Tom - das ist jetzt Deine letzte Chance. Hier fährt eine Bahnlinie, danach kannst Du nicht mehr abbrechen." Aber Tom war eisern. Abnehmen erfordert Willenskraft. Es ging weiter bei kalt-windigem und trübem Wetter bis nach Vsemily, danach folgte der lange Anstieg auf den Rosenberg (600m). Auf halbem Wege begann der obligatorische Regen. Ich wollte warm werden und stiefelte beschleunigt los. Oben wurde es wie immer steil und rutschig. Man musste ganz schön aufpassen. 6 Minuten vor Ekki war ich oben, aber 15 Minuten vor Tom: Das sah nicht gut aus für ihn.
Vom Rosenberg aus, allerdings nicht vom Gipfel, kann man bei klarem Wetter einen phantastischen Blick auf die Sächsische Schweiz "von hinten" haben. Hatten wir aber nicht. Der Abstieg im strömenden Regen war noch glitschiger als der Aufstieg. Mindestens einmal stürzte jeder. Tom kam sehr spät nach. Unten Seen und Pfützen auf schlammbraunen Wegen. Dabei ist das doch eine so schöne Gegend. Endloses Patschen bis Ruzova. Beim allerersten Hinweis auf eine Kneipe bog Tom rechts ab und ward nicht mehr gesehen. Er soll dann nachts die Straße nach Hrensko gelaufen sein (ein Taxi wäre dort vermutlich schwierig zu beschaffen).
Auf Ekki und mich wartete noch ein hartes Stück Arbeit. Über klatschnasse Wiesen führte der Weg (auch schon in Ruzova hatte Ekki ganz schön losgelegt), ich konnte gerade so mithalten: Ekki ist schießlich routinierter Marathonläufer, redete ich mir immer wieder ein. In Janov suchten wir lange nach der gelben Markierung, aber letztendlich findet sich in Tschechien immer eine. Noch 8.5 endlose, verregnete Kilometer zog sich der Weg auf teils rutschigem Lehm, aber in angenehmer Gegend bis Hrensko. Eine Holztreppe führte hinab in den Ort, und prompt segelte ich dort hinunter. Sie war wie mit Schmierseife eingepinselt.
Als Entschädigung gab es in unserer Stammkneipe "U Raku" das Preisessen der Sonderklasse: Hackfleischknödel mit Sauerkraut, Palatschinken mit Heidelbeeren, Knoblauchsuppe.
Es waren wohl 65km und 2500Hm zusammengekommen, aber nur 67% Ausbeute ... es ging wieder abwärts!
Erstmals 100% Ausbeute: Usti-Obervogelgesang am 2./3.11.02
73km, vermutlich mehr als 3000Hm in 16 Stunden
Das korsische Trio hat's gepackt: Ekki, Susi und ich sind alle drei angekommen. Dabei hatte ich mich schon auf 75% Ausbeute gefasst gemacht, denn Tom wollte unbedingt wieder mit. Ekki riet ihm ab, auch ich riet ihm dringend ab - es wird sehr schwer werden, und die Zeit ist elend knapp, wir können nicht auf Dich warten. "Ich bin in Form - ich war im Sommer doch in Peru," meinte er. "Das besagt jetzt doch gar nichts mehr - entscheidend ist, was Du im Oktober gemacht hast!" - "Ich gehe jede Woche trainieren!" - "Soso, wie immer Dienstag 1.5 Stunden in der Halle?" - "Ja." - "Das morgen können 20 Stunden werden, da nützen Dir Deine 1.5 Stunden gar nichts!" Er wollte trotzdem mitkommen.
Aber es regnete. Zur Abwechslung mal gleich am ersten Tag. Und da kommt Tom nicht mit. Ein Glück, es wäre voll in die Hose gegangen für ihn.
Geplant war die anstrengende Überschreitung des linkselbischen Teils des Wernersdorfer Mittelgebirges, u.a. mit dem höchsten Berg, dem Javory Vrch (617m). Ich kannte die Ecke schon von einer extrem steilen Radtour (Minicrackpot-Prelude, vgl. mein Tourenverzeichnis Nr.46. Der Javory selbst ist nur ein Grasrücken, bei schönem Wetter jedoch muss sich ein großartiger Fernblick bieten. Die Straße führt weiter unten vorbei und ist trotzdem noch ein Erlebnis. Außerdem war der Vulkankegel Chmelnik geplant (Hopfenberg), den ich auf der erwähnten Radtour bereits bewunderte. Am zweiten Tag sollte es dann durch die Sächsische Schweiz möglichst bis nach Pirna gehen, mindestens aber bis Wehlen. Boofen am Großen Zschirnstein war geplant, laut Karte nach 38.5km. Soweit die Theorie.
Feuchter Start
Die Idee stammte von Ekki, die Route von mir. Wir starteten also im Dunklen 6.20 per Wochenendticket in Richtung Usti (Aussig). Bis Bad Schandau lief soweit alles glatt, nur der Regen störte erheblich: Er fiel ganz gleichmäßig. Bisher hatte es doch brav erst am zweiten Tag geregnet. Mal was Neues. Anschließend umsteigen in den "Elbesprinter" bis Decin. Da schlug die Bahn wieder einmal voll zu. Man fand sowieso nur schwer heraus, dass dieser Zug überhaupt existierte, selbst in Bad Schandau war der Fahrplan gut versteckt. Auch angezeigt wurde der Zug nicht. Genauer, es wurde überhaupt nichts angezeigt. Zwar hatte man in Bad Schandau für offenbar sehr viel Geld klobige Aufhängungen aus sehr dicken Edelstahlrohren mit Flanschen für die modernen Anzeigen montiert (erinnerte an ein Chemiewerk), aber die Anzeige war aus. Ein Schaffner meinte grinsend: "Vor 8.00 ist hier die Anzeige sowieso nicht eingeschaltet." Ah, etwas Neues beim Unternehmen Nicht-mehr-so-doll-Zukunft. Die Hauptsache aber: Der Zug kam ganz spät und fuhr noch später los - an die 30 Minuten hingen wir herum.
Damit war der Anschluss in Decin nach Usti weg. 100 Minuten verloren. Doch alles hat sein Gutes: Wir kauften noch etwas ein, ich u.a. einen phantastisch guten Weißkäse (Hermelin) und eine relativ teure, aber wirklich gute Brille für's Rennrad, denn bei meiner alten war gerade etwas zerbrochen.
Fünf Minuten vor Abfahrt stellte sich heraus, dass der Zug als Bus fuhr. Der Bahnhof in Decin wurde nämlich (endlich) total umgebaut, auch dort gingen noch keine Anzeigen (dafür sah der Bahnsteig schon deutlich freundlicher aus als unserer, einfach moderner und nicht so geistlos grau). Husch, zum Bus - nein, scheint nicht die richtige Haltestelle zu sein - ach, vielleicht dort vorn, 200m weiter - kleiner Sprint - ja, hinein. Das also hatte uns die freundliche Schalterdame zu erklären versucht. Kaum saßen wir drin, wurde vorn etwas von Usti gesagt, und die meisten stiegen wieder aus. Ich fragte meinen Nachbarn. Er erklärte mir mit wenigen Worten und Händen und Füßen: Der andere Bus fährt "direkt", der hier "furzowo" oder so ähnlich. Also, husch zum zweiten Bus. So waren wir schon satte 3 Minuten früher als der nicht fahrende Zug in Usti. Das Elbtal hing voller dicker Wolken, der Regen pladderte gleichmäßig.
Das erste Abenteuer war also überstanden. Aber 100 Minuten hatten wir verloren. Wenn das mal gut geht. Eine Nachtwanderung war wohl unvermeidlich. Und: Es regnete natürlich auch in Usti konstant weiter. Nicht denken, laufen. Der erste Wegweiser gleich am Bahnhof, erstaunlich gute Markierung durch die Stadt.
Wie traumhaft schön Usti in Teilen ist, schrieb ich schon öfter - am besten Augen zu und durch. Diesmal hieß es teilweise auch Nase zu. Komische Gerüche, an jeder Stelle anders. Durch ein paar idyllisch-klobige Neubauviertel verließen wir endlich nach 3km die Stadt. Trotzdem war der Weg optimal zivilisationsvermeidend. Beim Versuch, ein orginelles Eigenheim zu fotografieren, stelle ich fest, dass die Batterie meines Apparates offenbar doch hinüber war. Schade, es gab trotz des Mistwetters so viele interessante Motive.
Nach 5km nun immer schönerer Wanderung Zezice, ab hier sollte uns ein gelber Weg bis zum Tagesziel leiten. Der folgende Abschnitt (Fritschweg) war wirklich schön, ein herrlicher Herbstwald, ringsum steile Wellen, Wälder, Wiesen. Nur der extrem rutschige Schlamm mit vielen Pfützen und Laub machte die Tour ausgesprochen beschwerlich. Wir kamen trotzdem recht flott voran. Naja, wir waren doch die drei "Raser" ... Tom hätte vielleicht schon hier ernsthafte Probleme bekommen.
An einem originellen Rastplatz fanden sich ein gemauerter Räucherofen und sogar ein Tourenbuch. Großspurig schrieb ich ein: "Usti-Pirna, 2 Tage." Nun mussten wir durch.
Auf einem Berg gegenüber zeigte sich eine Burgruine. Das musste Blansko sein, unser nächstes Teilziel. Aber vorerst ging es erst einmal rutschig-glitschig weit hinab in einen Ort. Dann bekam Susi einen Rennanfall. Über steile Pfade und Wiesen, teils in grauem, schmatzendem Lehn jagten wir die 200 Höhenmeter binnen 20 Minuten hoch. Unsere Rucksäcke waren ja nicht ganz so leicht wie beim Normalwandern, denn wir hatten Boofzeug und sogar zu viel Verpflegung mit.
Oben in der Ruine zum Glück ein Unterstand, eine schwarz verrauchte Kammer. Aber wir waren wenigstens vor dem Regen geschützt. Vom Dach der Kammer bot sich kein Fernblick, nur dichter Nebel. In der Kammer hatten sich bereits Tropfsteine gebildet, es roch sehr kräftig nach kaltem Rauch, der Untergrund rabenschwarz, alles war also urgemütlich. Wir setzten uns vorsichtig auf die Brennholzvorräte. Bloß keine Lebensmittel auf den Boden fallen lassen. Doch selbst bei intakten Türen, getünchter Wand, sauberem Boden und vielleicht noch heißen Steinen drin wäre es zum Wohnen nicht das Wahre. So richtig luxuriös hatten die alten Rittersleut eben nicht gelebt. Außerdem ist so eine Burg von Nahem immer viel kleiner als von unten.
Zwei Stunden waren vergangen, erst etwa 8km hatten wir zurückgelegt. Es lief zäh, sehr zäh. Das versprach moralisch ein harter Brocken zu werden. Dafür riss der Nebel plötzlich auf und gab einen tollen Blick frei, obwohl die Bergspitzen alle noch im Dunst hingen.
Durchhalten!
Fast 30 Minuten dauerte die Pause, doch Essen musste ja auch einmal sein. Bisher war die Landschaft trotz des Wetters sehr schön. Ich hatte bei der Erinnerung an die oben erwähnte Radtour nur an den kahlen Javory gedacht und schon vergessen, wie toll die Ecken weiter südlich gewesen waren. Nun wurde es aber doch öder, viel freies Feld und Wind, Kälte, Niesel. Durch Lipova und Slavosov stiefelten wir schließlich die Straße hoch in den dichten Nebel hinein, der den höchsten Punkt verhüllte. Als der Weg endlich von der Straße abbog, wurde er gleich rekordmäßig schlammig. Rechts vernahmen wir heftiges Muhen, doch der Nebel verhüllte die Hornviecher. Dafür durften wir mit ihren Auswirkungen kämpfen: Kuhfladen en mass, wassergefüllte tiefe Tapsen und vor allem graubraune Schlammflächen. Igitt. Es wurde wirklich ungemütlich. Susi verlor die Lust und redete schon davon, in Decin in den Zug zu steigen, wenn das so weiter geht. Oh, völlig neue Töne, das kannte man gar nicht von ihr!
Einmal sah es so aus, als könnte die Markierung einen Abzweig nach rechts bedeuten, aber es war ein Grenzfall, und die Wiese rechts sah beim besten Willen nicht nach Weg aus (jedenfalls auf den ersten 50m). Wir querten noch weitere zwei oder drei Heckenstreifen mit Geröll. Besonders in den Durchgängen wusste man kaum, wohin treten vor Schlamm. Schließlich sah die Sache nicht mehr gut aus. Aus dem Nebel tauchte obendrein ein Jungbulle auf und glotzte, was wir hier suchten. Also erst einmal hinter dem nächsten Heckenstreifen Schutz gesucht und Karte und Kompass herausgeholt. Ein Kompass ist unter solchen Umständen DIE Überlebenshilfe. Offenbar waren wir doch zu weit gegangen, der Abzweig nach rechts sollte also tatsächlich einer sein. Beim Rückweg umging ich den Schlamm teilweise im Gebüsch und sammelte dabei widerliche Kletten ein, die ich mit feuchten Fingern nicht einmal mehr von der Nylon-Regenjacke ab bekam.
Abzweig gefunden (wir sind ja Profis), und nach einigen Dutzend Metern bergan stellte sich heraus, dass das doch ein Weg sein sollte. Mit ein wenig mehr Sicht wäre das kein Problem gewesen. Ohne Mühe gelangten wir auf den höchsten Punkt des Bergrückens. Wir waren oben, Ekki und Susi waren enttäuscht. Sie hatten ein steileres Gebilde erwartet. Und welch ein wundervoller Fernblick hier oben! Die Sicht betrug zwischen 50 und 100m, die Temperatur lag knapp über 0 Grad, und der feine Regen blies sehr heftig, es wurde sofort kalt beim Anhalten. Hätte ich nur Handschuh mitgenommen.
Hinab zum Ort Javory, nicht ohne Hindernisse: So war die Straße an einer Stelle überschwemmt und ließ uns nur einen schmalen Schlammstreifen übrig, der wie eine Staumauer wirkte. Was würde passieren, wenn wir drauftreten? Es passierte nichts. Im Ort ein origineller Baum - ich hoffe, das Foto ist doch geworden und an dieser Stelle einmal zu bewundern. Ein total zerstörtes Auto, das auf dem Feld mit den Beinen nach oben lag, und ein echter Fernblick in Richtung Decin mit den Bergen ringsum konnte ich nicht auf Film bannen - wie gesagt, Batterie leer. Zwar hatte es nun aufgehört mit regnen, doch kalt war es (vier Grad in Javory), und wir mussten sehr viel Straße laufen. Das war nicht so gedacht. Mehr Wege gab es aber nicht in dieser Gegend.
Ganz hinunter ging es, bis nach Stara Bohyne in ca. 200m Höhe, einem außerordentlich hundereichen Ort. Der nächste Anstieg erwartete uns nun, zum Chmelnik hinauf (508m). Und wieder wurde es glitschig, ständig musste man springen und sich die besten Stellen aussuchen. Mann, war das nervend. Ekki und Susi drohten mir bald davon zu laufen, ich hatte einen kleinen Hänger. OK, mein Rucksack war auch der schwerste ;-)
Auf freier Wiese muss es einen Abzweig gegeben haben, aber keiner von uns fand ihn. Insgesamt war die Markierung vorzüglich, doch bei solch langen Touren sind kleine Verhauer fast unvermeidlich. Wir querten nachträglich in den Wald hinein und stiegen dann wild zum gelben Weg empor, den wir oben treffen mussten. Es wurde nicht nur sehr unbequem im Unterholz, sondern auch noch mächtig steil - wir bewegten uns hart an der Rutschgrenze. Dafür sind diese Vulkankegel ja bekannt.
Endlich, Chmelnik, unter uns lag nun Decin. Die Blicke waren wie schon seit dem Ort Javory teilweise toll: Bergspitzen im Nebel, darunter weiße Nebelfetzen in unwirklich plastisch wirkender Landschaft, eigenartige Farben. Es war 16.15 Uhr. Susi meinte: "Wisst Ihr was? In 1 3/4 Stunden ist es dunkel!" Nicht erst in 1 3/4 Stunden, schon eher ...
Wir hatten erst ca. 25km weg und fröstelten sofort beim Anhalten. Also nach kurzer Pause hinab - rutschig wie immer, diesmal nur auf feuchtem Laub - und hinein in den Deciner Vorort Chochrice. Dass nun Straßengelatsche kommen musste, wusste ich, aber es war nicht ganz so schlimm wie befürchtet. Einen Stadtbus ließen wir fahren, obwohl Susi mit solchen defätistischen Gedanken herumspielte. Es war klar, dass wir es nicht mehr bis zum Zschirnstein schaffen würden. Wir mussten versuchen, in der "Badgaststätte" in Maxicky zu übernachten. Felsen gab es dort keine in der Nähe, also auch keine Boofen.
Finale des ersten Tages
Nun saßen wir wieder in Decin, schon ziemlich crocky. Lange nicht dort gewesen! Es wurde bereits dämmrig. Auf uns wartete noch der gelbe Weg nach Maxicky hoch, rund 300 Höhenmeter waren teils in dunklem Wald zu bewältigen. Also rasch weiter. Ich dachte an so 1 1/4 Stunden bis hoch, es wurden trotzdem zwei daraus. Der Weg war sehr schön, das wussten wir. Nur bekamen wir recht wenig davon mit. Ohne Lampe sah man die tiefen Pfützen besser spiegeln, dafür jedoch nicht, was Schlamm und was Erde ist. Trotzdem schafften wir es mit erstaunlich wenig Pannen bis fast hoch. Endlich, ein asphaltierter Weg, wir bogen links ab. Nun die Straße, nochmal links, man sah schon die Stromleitungen. Der kleine Hügel dort vorn noch, dann sind wir da. Das lief sich erstaunlich leicht den Hügel hoch. War das etwa gar keiner? Ging es bergab? Der Hügel war wohl doch ein Knick, denn danach ging es steiler bergab. Irgendwas stimmte nicht. Also, Stirnlampe, Kompass und Karte 'raus. Zum Glück kamen ab und zu Autos, eine freundliche Fahrerin hielt an und zeigte mir die Richtung - natürlich genau entgegengesetzt. Vorn dann links ("na lewo" - das war eindeutig). Dies klang seltsam, doch die Richtung hatten wir erst einmal.
Links kam natürlich kein Abzweig. Ich war die Straße erst vor zwei Monaten mit dem Rennrad gefahren, doch das war tagsüber gewesen. Ich konnte nichts wiedererkennen. Da - rechts zweigte der gelbe Weg ab. Blick auf die Karte: Ja, klar, jetzt wussten wir genau, wie wir (falsch) gelaufen waren. Wir hätten den ersten asphaltierten Weg queren müssen, nicht links abbiegen. Reine Bequemlichkeit war die Ursache. Außerdem hätte ich mir denken müssen, dass wir von rechts auf die Hauptstraße gekommen waren (ich kannte eigentlich die Gegend etwas), also hätten wir dann wenigstens nach rechts laufen müssen. OK, nun waren wir schlauer, beim nächsten Mal handeln wir richtig.
Vorn leuchtete der Himmel etwas heller. Susi bemerkte es zuerst. Wir diskutierten noch, ob dies Maxicky oder schon die EU sei, als wir Hundegebell hörten. Was wären Tschechien ohne Hunde! Sie waren schon immer Freund und Helfer des Menschen, so auch diesmal.
Lohn der Mühen
Am Hotel Maxicky liefen wir erst einmal vorbei, dann wieder zurück - das war also doch die "Badgaststätte". Und die war ein Volltreffer. Sehr kleine, sehr einfache Zimmer, aber bis auf einen etwas strengen Geruch sauber und ordentlich. Wir bezahlten pro Nase 9 Euro für die Zimmer. Da war aber ein riesiges Frühstücksbuffett mit enthalten, an dem sich so manches westliche Hotel eine dicke Scheibe abschneiden darf.
Preis/Leistung stimmten einfach, besonders in der Gaststätte. Wir völlerten phantastisch und wussten anfangs gar nicht, was wir aus der umfangreichen Speisekarte auswählen sollten. Die Kellner waren wieselflink, schauten pausenlos nach dem Rechten, das Essen wurde schnell geliefert - es passte einfach alles. Eine große Gesellschaft Deutscher - ersichtlich alle aus dem Osten - feierten, die Live-Musik war nicht zu laut, die Stimmung gut, die Deutschen führten sich auch nicht als Herrenmenschen auf. So könnte es doch öfter mal sein. Mit scharfem Kiefernschnaps (Borovicka) beschlossen wir den schönen Abend. Ekki, der schon mehr getrunken hatte als Susi und ich zusammen, protestierte: "Wollt Ihr morgen auf einem Bein laufen?" Wir wollten. Mit nur einem Schnaps pro Nase ging es ins Bett. Die Nägel der großen Zehen schmerzten recht heftig bei der Berührung mit der Bettdecke, aber sonst ging es mir noch gut. Ekki weniger, er rannte öfters hinaus. (Am Sonntag war davon aber nichts mehr zu merken.) Und über uns spannte sich zu unserer Verwunderung ein prachtvoller Sternenhimmel. Nach Theorie sollte es durchregnen. Wettertheorie schien seit dem Sommer sowieso mehr mit Esotherik zu tun zu haben ...
Das Glück des Tüchtigen
Wer nicht loszieht, kann auch kein schönes Wetter genießen - das war schon immer unser Motto. Auch diesmal wurde uns das Glück des Tüchtigen hold, aber erst am zweiten Tag: Es war Sonne, hellblauer Himmel, herrliche Herbstfarben leuchteten, und Raureif lag auf den Gräsern. Frühstück gab es erst ab 8.00, so zogen wir 9.00 los. Ich hatte vorher noch ein langes, nettes Gespräch mit einer älteren Tschechin in der Rezeption, die mir einiges über unsere gestrige Route erzählte. Der freundliche Eindruck vom Hotel wurde so noch bestärkt.
Ich hatte meine Beine mit einer Probepackung Wundermedizin eingerieben, die ich voriges Jahr beim Dolomiti erhielt und die endlich einmal verbraucht werden musste. Es stank entsprechend nach Schlangengift. Aber Susi hatte offenbar Rennpulver genommen. Wir rasselten den gelben Weg in Richtung Dolni Zleb wie die Wilden entlang. Es war eine herrliche Morgenstimmung, ein richtiger Farbkasten in diesem Herbst. Immer geradeaus weiter zum Böhmischen Tor. Zwar führten hölzerne Wegweiser dorthin, doch es war kein offizieller Übergang. Wanderübergänge gibt es zu Hauf in der Lausitz und im Westerzgebirge. Man munkelt, die Ursache sei darin zu suchen, dass unsere bisherigen Innenminister aus der Lausitz und dem Westerzgebirge gekommen sind. Wir sehen in die Röhre. Selbst der stark frequentierte und wichtige Übergang in Ostrov ist nicht offiziell. Wir brauchen dringend einen Innenminister aus der Region Sächsische Schweiz.
Direkt an der Grenze warteten zwei ältere Herren mit riesigen Bärten und großen Rucksäcken. Grenzpolizei war das nicht, sie grüßten freundlich. - Inklusive einer kleinen Abkürzung (die normale Wegführung wäre zu umständlich geworden) kamen wir schnell zur hohen Südwand des Großen Zschirnsteines, liefen links die Schlucht beim Kleinen Zschirnsteinwächter steil hoch und oben zum Gipfel. Nur 1 1/4 Stunden hatten wir für die etwa 8km gebraucht, das war wirklich fix. Gestern waren es zwei Stunden für die gleiche Strecke ...
Die Fernsicht war wie immer dort oben nicht so toll, aber nach dem höchsten Punkt des ersten Gebirges hatten wir nun auch den der Sächsischen Schweiz "bewältigt". Weiterhin flott liefen wir bergab. Der Rot-Punkt-Weg gabelte sich in zwei rote Punkte. Ein Blick auf die Karte wäre nicht schlecht gewesen, denn ich wählte die umständliche Variante, also rechts. Auf dem folgenden grünen Weg nach Westen passierte mir ein dummer Fehler: Wir bogen viel zu zeitig links ab. Dummerweise passte diese Gegend auch noch zur Karte. Wir liefen am Ende den verblichenen Rest einer Schneise zwischen Schonung und Wald steil hinab und wussten unten nicht mehr so recht, wo wir waren. Rechts, dann den nächsten steilen Berg hoch, zum Schluss etwas wild - und der nächste grüne Weg war da. Nun aber flott nach rechts. Komisch nur, dass wir auf den Kleinen Zschirnstein zu liefen. Kurzzeitig war das in Ordnung. Linkskurve wie erwartet ... wieder eine Rechtskurve ... nanu ... bergan ... nanu ... und dann dachte ich laut: "Das hier vorn sieht aus wie unser Abzweig, an dem wir gerade waren!" Er war es auch. Im Kreise gelaufen war ich seit Jahren nicht mehr.
Wir konnten aber im Nachhinein alles perfekt erklären. Und es war eine schöne Ecke :-)
Lange, lange tippelten wir nun umso schneller leicht bergab. Ich hatte wirklich total getrieft bei dem Abzweig. Klar, dass der ganz anders aussehen musste. Wir fanden dafür sofort einen praktisch nicht mehr existenten Zustieg zu einer Schneise, die teilweise steil bergan führte. Endlich wieder etwas Schlamm, das Wetter war ja viel zu gut für eine Kampfwanderung. Oben hatte der Forst gewütet, noch mehr Schlamm sorgte für Abwechslung. Wir waren nervlich bestens präpariert und ließen uns nicht schocken.
Nun ging alles nach Plan: Cottaeiche, endlich der richtige grüne Weg (leider am Ende wieder Asphalt), Cunnersdorf, den gelben Weg steil hoch und weiter am Gohrisch vorbei Richtung Königstein. Der Himmel hatte sich zugezogen, doch wir hatten wahrscheinlich noch Zeit bis zum Regen. Wir lagen gut im Rennen. Hinab zum Ort Gohrisch begann mein rechtes Knie zu zerren, eigentlich spät für diese Anstrengung. Ekki und Susi liefen vorn, ich musste etwas Tempo herausnehmen. Dann die Entscheidung: Pladerberg hinab nach Königstein, oder wie geplant die Schöne Aussicht? Beides war gleich lang. Mir waren die Treppen von der Schönen Aussicht hinab lieber, bei Susi war es genau umgekehrt, und Ekki war es egal. In Ekkis Jackentasche fand sich eine Münze - und wir liefen den Pladerberg. Eine denkwürdige Premiere: Wanderwegewürfeln.
In Königstein hatte das Hochwasser zusammen mit Bad Schandau am schlimmsten zugeschlagen. Es war wirklich verheerend. Susi wollte oben an der Palmschänke Rast machen. Diese Gaststätte war längst tot, doch Sitzgelegenheiten gab es einst noch. Susi rannte also los. Ich konnte wieder mithalten, bergan ging es meinem Knie wieder gut. Es war aber wie beim Pässefahren - es blieb nicht einmal Zeit, auf den Höhenmesser zu schielen. An der Palmschänke war nichts mit Sitzen, alles abgesperrt, und unter den vielen Schildern fehlte eigentlich nur noch eines: "Privatluft - Wanderer aus dem Rucksack atmen!"
Wir brauchten weniger als 15 Minuten bis zum Eingang der Festung. Und das am zweiten Tag mit guten Rucksäcken. Es waren knapp 200 Höhenmeter. Nun endlich die erste echte Esspause. Es war kalt (4-5 Grad), aber nicht so windig. Als wir hinab zum Parkplatz hoppelten, hörten wir einen eindeutig westsächsisch gefärbten Gesprächsfetzen: "... diese illegalen Einwanderer ..." Uns wurde bewusst, dass wir ja auch welche waren :-)
Den roten Weg ging es nun bis Thürmsdorf und hindurch - ein schöner Ort, doch schon wieder so viel Straße zu laufen - hoch zum Kleinen Bärenstein, weiter Richtung Wehlen, und dann mit Karten- und Wegweiserhilfe am Hang entlang Richtung Königsnase bei Obervogelgesang. Der Weg war erstaunlich schön, man vermutet das von unten aus dem Elbtal nicht. Es boten sich einige feine Blicke auf den gewundenen Lauf des Flusses. Aber der Weg war wirklich lang und wellte ständig etwas auf und ab. Wenig, aber nach dieser Strecke merkte man das deutlich. Endlich, 16.20 standen wir auf dem felsigen Vorsprung der Königsnase. Ganz langsam humpelten wir die Treppen hinab, die zum Glück direkt zum Bahnhof führten. Ekki sprang frohgemut grinsend hinab, ich stakste schon recht langsam, denn jetzt schmerzte das gezerrte Knie wieder stark. Susi war treppab sowieso langsam geworden. Der Weiterweg nach Pirna wäre noch ein Stück Straße gewesen. Das wollte ich sowieso nicht, ich hatte auf einen Hangweg gehofft. Den gab es vermutlich nicht. Also: Wir waren da, Plan erfüllt.
Uaah, 16.30, genau 7.5 Stunden brutto gelaufen. Netto ergäbe sich für die zwei Tage vermutlich ein Schnitt von 5km/h, brutto 4.3km/h - ein wichtiger Richtwert. Am zweiten Tag müssen wir sehr schnell gewesen sein. 36km in 8.5 Stunden brutto waren es am ersten Tag gewesen, 34.5 am zweiten, plus Anmarsch zum Bahnhof und einige Wege in Decin. Und das alles auf nur einem Bein, sprich mit nur einem Borovicka-Schnaps. Das muss erst einmal jemand nachmachen.
Saures Kompott
Klaro war das Abenteuer noch nicht zu Ende. Dafür nämlich die Zugfahrt in Pirna. Nächster Zug in 30 Minuten! Wir wussten nichts von den angekündigten Änderungen. Auf dem Bahnsteig war es zu kalt, in der Halle zwar warm, doch dort gab es nur zwei Bänke, auf denen rauchende Jugendlich saßen (natürlich war Rauchen verboten). Die Toiletten, die sonst ab 17.00 geschlossen haben, hatten wegen Bauarbeiten gleich ganz zu. Ich könnte noch viel mehr von diesem wunderschönen Ort erzählen. Nicht mal an Skinheads und beinahe täglichen Schlägereien mangelt es dort.
Im Regen kam ich 18.30 zu Hause an, aß 3 Teller tolle Lebernudeln und konnte nachts leider vor Schmerzen schlecht schlafen. Das Brennen der Füße war weniger schlimm als erwartet (nur beim Eintauchen ins Badewasser tat es tüchtig weh), doch vor allem das rechte Knie muckerte. Nun ja, es regnete inzwischen wieder, die Gelenke bekamen nun ihre wohlverdiente Ruhe. Am nächsten Abend war alles eigentlich schon vergessen.
Aber es war trotzdem ein großes Erlebnis mit vielen schönen Eindrücken - und garantiert unvergesslich. Nicht nur, weil alle Starter erstmals ankamen. (Oh Gott, wie wäre es Tom wohl ergangen ...)