Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)
Rad fahre ich schon seit dem 6. Schuljahr, später auch eine Art Sport-Rennrad, aber daß "richtiges" Rennradfahren so viel Spaß machen kann und ich mich noch so steigern kann, hätte ich nicht gedacht - schließlich hatte ich mit 45 erst ordentlich damit angefangen. Die Ziele wurden also immer größer, 200km waren längst keine Kunst mehr, doch Berge fallen mir mit meinen 80-82 kg und kurzen, kräftigen Beinen chronisch schwerer als den jungen, dürren Spunden mit ihren 65 kg Lebendgewicht ;-) Aber gerade die Berge sind schön. Und Radmarathons in den Alpen vereinen in gewissem Sinne beide meiner Leidenschaften: Alpinismus und Rennradfahren.
Seit 2 Jahren steigerte ich relativ systematisch meine Leistung am Berg, um endlich einmal den Dolomitenmarathon zu schaffen, von dem alle begeistert schwärmen. Und sie haben recht. Er ist das Highlight. Dieses Jahr traute ich mich endlich heran. Ob ich ihn in 10 Stunden schaffen würde? Ich hatte keine Ahnung. Beim Dreiländergiro voriges Jahr kam ich erst kurz vor Kontrollschluß an. Allerdings fuhr ich ihn wegen Magenproblemen fast nüchtern ...
Nach einigem Hin und Her stand endlich fest, daß Ralph und Alex mitfahren würden, und auch ein Quartier war gebucht. Also, der Transport war gesichert, die Form gut, wie sich erst vor einer Woche beim üblen Seifhennersdorfer Supercup 2001 mit 3500Hm zeigte - es konnte losgehen.
Nichts ist schöner als früh aufzustehen, vor allem für mich, wo ich doch selten vor Mitternacht zu Bett gehe. Aber wenn es zum Dolomiti geht, steht man auch einmal 4.30 auf, denn Punkt 5.00 kommt Ralph mit dem Auto vorgefahren. Reichlich 700km sollen es von Dresden bis nach La Villa in der Nähe der Sellagruppe sein. Wir rechnen mit maximal 10 Stunden Fahrt.
Dank der noch unbekannten Autobahn über Regensburg und einer cleveren Umleitung über Dörfer jenseits des Münchener Außenrings schaffen wir es in 9.5 Stunden bis zur Startnummernausgabe in Pedraces. Hier beeindruckt mich zum ersten Mal die Organisation - es klappt alles perfekt. Mein Trikot ist doch etwas eng, denn die italienische Größe L entspricht nicht der deutschen. Der Umtausch geht sofort und routiniert über die Bühne. Und Alex, der unabhängig von uns beiden anreiste, ist auch schon da. Wir suchen zunächst unser Quartier im nächsten Ort, das sich nach einigem Suchen und Fragen auch findet. Ideal gelegen - wir brauchen zu unserer Startgruppe nur den Berg hinabzufahren. Alles palleti. Und wundervolle Berge ringsum - links die Kreuzkofelgruppe (?), rechts die Sella, noch mit Schnee bedeckt. Helle Felsen heben sich vor schwarzen Wolken ab, ich mache gleich zwei Fotos vom Balkon aus.
Es ist ein seltsamer Effekt - nur bei langen Autofahrten, und auch nur bei der Anreise, bekomme ich hinterher manchmal bösartige Kopfschmerzen. Das wurde mir schon zweimal zum Verhängnis beim Radfahren in den Alpen. Am nächsten Tag stellen sich dann meist Magenprobleme ein. Bei anderen Verkehrsmitteln oder auch bei der Rückfahrt geht es mir gut. Und auch heute fangen die Schmerzen schon wieder an. Gleich eine Aspirin genommen. Doping? Egal, brauche ich sonst nie, doch die Kopfschmerzen müssen weg.
Abends treffen wir uns mit drei Helden des Rennradforums, und zwar Bobbel, MouRa und andi. Diese drei fahren in einer anderen Leistungsklasse und reden von Zeiten unter 6 Stunden. Ich wäre ja schon über 8-9 froh. Wie schnell Ralph und Alex sein werden, wissen beide noch nicht, es ist auch für sie eine neue Erfahrung - vielleicht noch "neuer" als für mich. Aber Ralph ist eine Art Leistungssportler, und Alex kann zumindest auf mittellangen Strecken und am Berg sehr schnell sein.
Das Gespräche drehen sich zuerst um die Abfahrten, die bei Nässe gefährlich werden. "Brutale Kurven", meinte andi wohl. Ich denke an die grausam kurvigen und welligen 1300Hm hinab vom Umbrailpaß nach Santa Maria beim Dreilängergiro vor einem Jahr. Dort blieb man selbst bei der Abfahrt eher beim 20er Schnitt ...
Nässe ist nämlich ein interessantes Thema, denn momentan entlädt sich gerade ein schweres Gewitter. So schwer, daß zwei Kartons mit hochhackigen Schuhen von oben auf die Markise stürzen. Und ich dachte bisher, hier gäbe es nur Steinschlag. Schuhschlag ist mal was neues. Ein Omen? Aber was soll es bedeuten?
Der nächste Punkt ist das Höhenprofil. Wie schon bekannt, wird der Giau als sechster Paß der Scharfrichter. Knapp 1000Hm und immer so um die 9%, lautet die Angabe. Das ist das, was mir eigentlich besonders schwer fällt. Ich denke an die unangenehme Glocknerstraße (konstant 12% auf 12km) und an das Penser Joch von Sterzing aus (1400Hm, fast konstant 10% ab Beginn des Anstiegs). Der Giau ist etwas niedriger. "Aber Du fährst Dich ja vorher blau," meint andi. OK, er muß sich mit seinen Zielen vorher besonders blau fahren, ich werde mir möglichst viel Kraft aufsparen. Hoffentlich klappt das.
Ich esse eine riesige Pizza, die dank meines Kuhmagens tatsächlich verschwindet. Auch die letzten zwei Tage bestanden im wesentlichen aus leckeren Eierteigwaren. Wenn das nicht hilft! Bobbel kritisierte mich zwar später (er glaubte, die Magenprobleme kämen daher), doch wie man mir erzählte, hatte er die ganze Zeit begierig auf meine Pizza gestarrt (Ralph übrigens auch, s.u.). Ich habe das alles nicht mitbekommen, weil ich doch selbst dauernd auf meine Pizza starrte.
Abends muß ich noch eine Aspirin nehmen. Ich bin gar nicht für die chemische Keule, aber der Kopf tut schon wieder weh. Das schwere Gewitter kommt wieder, es blitzt und knallt ziemlich heftig. Ist morgen früh vorbei! Die anderen beiden trauen mir nicht recht, doch ich denke, Alpenwetter verstehe ich besser als das Wetter in Dresden. Optimismus ist doch sowieso angesagt. Ich stopfe mir Ohropax in die Ohren. Das Knistern deutet Ralph am nächsten Morgen als nächtliches Riegel-Essen. Nee, mein Freund, ich bin nudelsatt, im wörtlichen Sinne.
Wir essen in aller Ruhe Frühstück. So richtig viel bekomme ich nicht hinunter. Also doch die obligatorischen Magenprobleme. Draußen ziehen immer mehr Radfahrer vorbei. 7000 Leute müssen ja irgendwie zusammenkommen. Wir haben keine Eile, wir brauchen ja nur ein wenig bergab zu rollen zum Start. Das Wetter ist allerdings nicht so toll: Es regnet leicht, und es sind 12 Grad.
Bergab rollen zum Start ist gut. Das Ende der Schlange vor dem Einlaß zur Zufahrt zum Startblock zur Zufahrt zum Start hat bereits unser Haus erreicht und wächst schwindelerregend schnell. Wir trennen uns und beginnen den Tag mit - Schieben, rechts vorbei.
Ich komme relativ gut zum Startblock, während oben noch Gedrängel herrscht. Also, nächstes Mal eher ... Der Regen wird heftiger. Nicht schön. Diverse Ansprachen in Italienisch und Deutsch, auf der Wiese steht schon ein Hubschrauber für etwaige Unfälle. Der Regen wird noch heftiger. Noch weniger schön! Jetzt gießt es sogar. Was soll's, so sind die Alpen. Zumindest ist es noch nicht kalt.
Dann kommt es genau wie beschrieben - ein Priester spricht sein Gebet (ich erkenne es nur am "Amen"), ein zweiter Hubschrauber kommt geflogen, und mit lautem Gejubel wird das Rennen eröffnet. Zuerst fährt die vordere Gruppe, von der wir nichts sehen, doch als wir "Pinarellis" dran sind, rührt sich bei uns hinten noch lange nichts. Das ist eigentlich nicht tragisch, denn dank eines Transponders am Vorderrad läuft die Uhr für jeden erst beim Überqueren der Startlinie los. Aber ein Mitfahrer meint, daß diese ganze Verzögerung bei der Schlußzeit nicht mit angerechnet wird. Und das macht mir Sorgen - ich habe ja keine Ahnung, wie schnell oder eher langsam ich sein werde. Wir steigen links über die Absperrung und mischen uns in den Strom. Ich versichere hoch und ehrlich, daß ich's nie wieder tun will ... jedenfalls nicht beim Dolomiti ;-)
Es regnet so stark, daß ich nicht einmal richtig mitbekomme, wie sehr wir bis Corvara ansteigen. Außerdem sind wir ja noch frisch. Im Unterschied zu RTFs und Supercups geht es bemerkenswert diszipliniert los. Keine Sturzgefahr! Nur die erste Panne nach wenigen 100m ... naja, bei 7000 Leuten greift schon die Statistik.
In Corvara oder irgendwo kurz dahinter hört der Regen auf. Die Wolken orgeln um die Berge, es sieht toll aus. Alpen sind eben selbst noch bei Regen schön, im Unterschied zu Seifhennersdorf vor einer Woche :-(
Es geht hoch zum Campolongo-Paß, nie übermäßig steil, maximal kurz 10%. Mir geht es noch nicht so besonders, aber es könnte schlimmer sein. Ich überhole einen Einbeinigen - ja, wirklich, an Stelle der linken Wade hat er einen Stahlstab, der irgendwie auf der Pedalachse befestigt wird. Man erzählte mir, auch er hätte die große Runden gefahren, nur kann ich es mir einfach nicht vorstellen. Und in unserem Quartier wohnt ein 75jähriger, der "bloß" die Sellarunde (also die kleine Runde) fährt. Aber die muß man erst einmal bringen. Gerade sie bringt die meisten Höhenmeter pro Kilometer, ungleich mehr als andere schwere Touren! - Soviel also zu einigen Teilnehmern.
Bei der Abfahrt reißen die Wolken langsam auf und geben ein erstes Panorama frei. Schon wegen dieser Blicke lohnt der Dolomiti. Überwältigend! Dabei war ich schon in dieser Gegend auf Klettersteigen unterwegs und habe viel Schönes gesehen. Doch es ist jedesmal anders.
Steile Abfahrt nach Arabba, und sofort geht es wieder hoch - genau wie beschrieben, es gibt kein Ausruhen. Der Aufstieg zum Pordoi-Paß beginnt. Die Wolken ziehen immer höher, die Felsen strahlen hell, und gegen die Sonne zeigt sich ein "postkartenreifes" Panorama. Schon das macht Spaß. Und der Paß fährt sich gut. Er ist allerdings nicht ganz so leicht wie erhofft mit seinen reichlich 600Hm. Vor allem das Ende zieht sich hin. Das Ende eines Passes scheint überhaupt immer die Hauptsache zu sein. Auf halber Höhe überholt mich übrigens Ralph auf der linken Straßenseite (er sieht mich nicht) in ziemlichem Tempo. Das wundert mich wenig. Es ist zu befürchten, daß er dieses Tempo fast bis zum Ende durchziehen kann.
Irgendwo schmeißt jemand einen Silvesterknaller hinter die Leitplanke. Peng!! Bis ein Fahrer mit plattem Reifen absteigt - da begreife ich: Reifen geplatzt. Ich erlebe es zum ersten Mal.
Oben ein beeindruckendes Bild: Man kann bis hinab nach Arabba sehen, und eine endlose Schlange windet sich die Serpentinen hoch. Durch die gegenläufigen Bewegungen erscheint das geradezu unwirklich.
Wieder eine tolle Abfahrt, ich komme abermals zum Umschauen. Ich denke schon, daß ich Abfahrtstechnik einigermaßen beherrsche, nur so schnell wie viele andere traue ich mich nicht abzufahren. Mir ist das einfach zu riskant. Die Straßen habe einige Risse und Löcher, teils etwas Sand auf der Fahrbahn. Da fühle ich mich nicht so sicher. Vielleicht gehen mir durch langsamere Abfahrten 15 oder gar 30 Minuten verloren, doch ich muß das Rennen nicht gewinnen - ich will gesund wiederkommen können.
Die Strecke ist allerdings mit der oben erwähnten vom Umbrailpaß nach Santa Maria nicht zu vergleichen. Hier gibt es durchaus längere Geraden und auch ganz gut zu fahrende Kurven. Es ist also angenehmer als beim Dreiländergiro.
Gerade diese Abfahrt führt unter riesigen Wänden entlang, die ich bisher nicht von Nahem gesehen habe. Eine irre Ecke, es liegt noch viel Schnee oben. Und sofort geht es wieder hoch zum Sellapaß. Vorher eine Verpflegungsstation. Ich versuche etwas zu essen, es geht noch nicht recht. Hauptsache, Trinken.
Auch der Sellapaß läßt sich gut fahren. Ich bin zwar nicht so toll drauf, doch wie gesagt könnte es auch schlimmer sein. Den berühmten Blick auf Langkofel, Fünffingerspitze und Plattkofel kenne ich schon, doch heute habe ich ihn mir "erarbeitet". Es wird übrigens ziemlich kalt und windig, wie nach den Gewittern wohl zu erwarten war.
Die Abfahrt ist wirklich saukalt am Anfang, doch das gibt sich schnell. Ich bin die Straße schon einmal hinabgelaufen, aber Fahren geht definitiv besser :-) Viele Fahrer jagen wieder vorbei. Bei den Abfahrten wird oft recht knapp überholt, ohne daß das immer notwendig ist.
Weiter unten ein Geröllfeld, darauf steht der Hubschrauber. An der Leitplanke ein Fahrrad, hinten wird gerade ein blutender Fahrer zum Hubschrauber geführt. Alex hatte die Sache genauer beobachtet und gesehen, daß ein Rad unter der Leitplanke durchrutschte und diese sogar verbogen war. Ob der Rennfahrer sie verbog, weiß ich nicht - ob er dann noch hätte mit Hilfe laufen können? Ein Polizist bremste uns energisch: Langsamer fahren! Für eine Weile wirkte es auch ...
Der Anstieg zum Grödnerhoch beginnt. Theo aus dem Forum hatte natürlich Recht mit seiner Höhenangabe von 1871m - mein Höhenmesser zeigt wohl 1860m oder ähnlich (es sind also nicht 1624m wie im Höhenprofil angegeben). Weiter oben Verpflegung. Ganz wenig kann ich schon essen. Und trinken! Denn ich habe ziemlich geschwitzt, ich bin relativ warm angezogen mit 3 Schichten am Oberkörper. Die Tischreihe ist so lang, wie man es bei 7000 Teilnehmer erwartet ... Es klappt alles recht gut, und ausnahmslos alle Helfer sind flink und freundlich.
Wie alle liegt auch diese Verpflegungsstelle sehr gut, denn danach folgt ein längeres Flachstück. Es geht unter phantastischen Wänden entlang. Ich muß ständig meine Blicke zwischen Straße und Felsen wechseln. Mann, ist das wieder toll hier. Dieser vierte Paß ist wirklich relativ leicht, wie angekündigt. Aber daß die Straße so schön ist ...
Oben vor dem Joch Fotografen. Wir können uns die Bilder am Ziel aussuchen. Leider finde ich mein Foto nicht. Vielleicht schickt man mir eines zu, denn wir müssen die Startnummer sichtbar vorn am Lenker befestigen.
Die Abfahrt vom Grödnerhoch ist wiederum herrlich - was sonst? Unten fahren wir durch das Ziel der kleinen Runde. Oi, der Höhenmesser zeigte irgendetwas über 1900Hm an, offiziell sind es 1757. Ob er spinnt? Aber eigentlich sind die Batterien noch gut. Ich vermute, hier fehlte das erste Stück von La Villa aus. Die Höhenangaben zwischendurch stimmen alle sehr gut.
Auch die "kleine" Runde, die mit ca. 1900Hm auf 57km eher "kurze Runde" genannt werden sollte, lohnt sich, absolut!
So, die erste Runde ist geschafft. Ich wollte Kraft sparen, doch es war trotzdem recht schwer. Soviele Höhenmeter auf so kurzer Strecke bin ich ja auch noch nie gefahren.
Gleich nach dem "Restart" kommt das steilste Stück der Fahrt: 20m oder sogar etwas mehr garantierte 14% Steigung - uuuunheimlich schwer ;-) Ich fahre immer noch auf dem mittleren Blatt, meine kleinste Übersetzung bisher entspricht 39:26. Vielleicht hätte ich etwas kleiner fahren sollen, aber ich fühlte mich so besser.
Nochmals den Campolongo hoch. So richtig gut geht es nicht, die Beine sind ein bißchen weich. Es wird zu warm. Ich ziehe erst einmal das lange Trikot aus, die Sonne ist doch längst da. Auf dem Paß Verpflegung, ich versuche mich an zwei kleinen, leckeren Schokowaffeln. Zweimal muß ich mich danach sehr beherrschen, um sie nicht wieder herauszubringen. Das macht mir Sorgen. Ein ziemliches Tief! Was mache ich bloß gegen diese "Anfahrtsprobleme"?
Erneut Abfahrt nach Arabba. Auch hier wieder, wie bei jeder Abfahrt, sehe ich einen Krankenwagen "Patroullie" fahren, um gleich bei einem Unfall zur Stelle zu sein. Auch der Hubschrauber steht immer in Reichweite. Perfekt organisiert!
Unten geht es diesmal links ab, die einzige Rollstrecke, obwohl eigentlich eher flache Abfahrt. Jetzt steigt der Schnitt endlich etwas. Vorn trohnt mächtig der Monte Pelmo über dem Tal - gigantisch. Später zeigt sich rechts die Civetta mit einer der größten Wände in den Dolomiten. Rechts geht es steil hinunter ins Tal, auf grünen Wiesen leuchten die Gehöfte. Was für ein herrlicher Flecken Erde.
Ein Anstieg, danach Verpflegung. Mir geht es etwas besser. Möglicherweise hat mich eine komische braune "Biene" ins Bein gebissen, doch wenn, dann nur wenig. Es muß was drin gewesen sein in dem Stich. Es ging plötzlich besser. Und ich konnte sogar etwas essen - ein, zwei Bananenstückchen vielleicht.
Nach der Verpflegung geht es bergan. Kommt jetzt etwa schon der Giau? Und vorher die Verpflegung?? Natürlich nicht, es geht alsbald wieder bergab, danach folgt der Abzweig der 110km-Tour mit 3000Hm. Aber vorher ziehe ich endlich meine langen Hosen aus, obwohl es auf dem Giau bestimmt kalt werden wird. Ich unterhalte mich mit einem anderen Fahrer, als ein dürrer junger "Hüpfer" vorbeifährt, sich umdreht und offensichtlich zu meinem Gesprächspartner sagt: "So blöd möchte ich auch mal sein. Hat Dir das schon mal jemand gesagt?" Wir schauen uns völlig verständnislos an. Es gibt eben überall Blödköppe. Bis auf die Magenprobleme und ein paar rasante "Abfahrer" blieb das der einzige negative Moment während der ganzen Tour.
Wir fahren rechts weiter bergab, in Richtung der immer größer werdenden Civetta.
Der Giau beginnt. Wie bei allen Pässen vorher, haben auch hier die Veranstalter ein großes Schild montiert mit Angaben zu Höhe, Länge und durchschnittlicher Steigung. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie gut das alles läuft!
Nach Autokarte ist eine maximale Steigung von 12% zu erwarten, und das stimmt auch. Aber jetzt wird es Zeit für das 3.Kettenblatt. Ich lege 26:21 auf und komme damit gut über die Runden. Immerhin so gut, daß ich eine ganze Reihe Fahrer überholen kann - und ich werde natürlich auch überholt, so geht es den ganzen Tag.
Es ist nicht so schlimm wie erwartet. Penser Joch und Glocknerstraße waren definitiv brutaler. Hier sind Kurven überhöht, in Lawinengalerien sinkt die Steigung manchmal auf 6%, es gibt anfangs sogar zwei, drei Brücken mit ebenen Stellen zum "Ausruhen". Diese kleinen Abwechslungen machen das Leben viel leichter! Viele schinden sich wirklich übel. Jetzt lobe ich mein gemäßigtes Anfangstempo. Die Magenprobleme spüre ich für's erste nicht mehr, und ich kann langsam und relativ gleichmäßig fahren - vielleicht so 7 km/h, vielleicht etwas schneller (in der Tat, s.u.). Das erscheint langsam, doch wir haben ja noch nicht einmal 100km weg und trotzdem schon deutlich über 3000Hm! Manche halten oft an, kaum einer schiebt: Auf 10km Länge bringt das nichts. Es geht hoch bis auf über 2200m.
Mit dem Trinken habe ich Probleme. Nach einigen Schlucken bekomme ich ziemliche Atemnot. Ich nehme mir vor, nach über der halben Strecke anzuhalten. 5km unter der Paßhöhe ist es soweit, und ich lasse meinen Körper erst einmal etws zur Ruhe kommen. Endlich kann ich richtig trinken. Die Pause ist sehr kurz, hilft aber ungemein.
Gleichmäßig arbeite ich mich hoch. Natürlich ist es eine Schinderei, was sonst. Aber ich habe mich schon mehr geschunden. Es ist nicht der schlimmste Paß, auch unter diesen Bedingungen nicht. Erstmals ahne ich, daß ich meine Kräfte richtig eingeteilt haben könnte und innerhalb der Kontrollzeit bleiben werde.
Andere ärgern sich über die letzten Spitzkehren oben, weil der Anstieg kein Ende nehmen will. Stimmt, die letzten 500m sind unglaublich lang. Aber ich freue mich trotzdem über die Serpentinen, denn dadurch wird es nicht steiler. In Tschechien hätte man hier garantiert wieder "Diretissima" gebaut, die Berge haben dort meist ein dickes Ende.
Es ist wohl der dritte Paß über 2000m und insgesamt schon der sechste, aber moralisch der höchste Punkt. Wenn man den Giau geschafft hat, geht es auch weiter. Ich trinke viel und entdecke Fruchtsaft, den ich mir verdünne. Zu meiner Überraschung steht Alex noch da. Ich hatte schon befürchtet, ihn nicht mehr zu sehen ... Er fährt los, ich verpflege mich noch etwas. Mit dem Essen klappt es jetzt etwas besser, wenn auch nur etwas.
Die Abfahrt übertrifft alle vorigen nochmals. Bei diesem Wetter mit Wolken und klarer Sicht einfach gigantisch. Mir fällt gar kein anderes Wort mehr ein dafür. Doch: Überwältigend!
Während der Abfahrt zwei Schilder: 10% Gefälle. Wie witzig :-) Und obendrein sind es die falschen Schilder, die zeigen eigentlich eine Steigung an (oder ist das in Italien anders herum? Ist mir noch nie aufgefallen ...). Bei der Abfahrt soll es noch einen Unfall gegeben haben.
Der Falzarego-Paß ist mit 12km Länge und knapp 5% Steigung angegeben. Das hilft: Wenn es steiler wird, dann gewiß nicht lang. Und das kommt auch gut hin. Mir fängt es an, besser zu gehen. Ade, 3.Blatt, Du hast mir am Giau gute Dienste geleistet. Jetzt gehen 7-10% wieder mit dem mittleren Getriebe. Ich kann doch immer wieder viele Leute überholen. Das beflügelt natürlich. In der Mitte sogar Flachstücke. 23km/h empfinde ich mittlerweile schon als schnell. Au weia.
Ein ziemlich böser Gegenwind beginnt zu blasen, der Himmel ist inzwischen bedeckt. Regen zum Ende - das fehlte noch.
Mann, hier schinden sich ja viele. Ich versuche, etwas Windschatten zu ergattern, nur die Schattenspender sind mir dann doch zu langsam. Also fahre ich allein vor - auch langsam, relativ aber schneller.
Ca. 3km unter dem Paß ziehe ich mir die langen Hosen wieder an. Es ist abzusehen, daß es sehr kalt wird. Das war richtig, oben ist es sogar recht alpin. Naja, der Falzarego ging doch ganz gut.
Aber das Höhenprofil hatte am Falzarego keine Spitze, sondern ein schräges Dach. Dieses Dach müssen wir nämlich noch fahren, hoch auf den Valparola, wieder auf über 2200m. Die Durchschnittsteigung ist angeblich 6%, die effektive nach einem flacheren Anfang scheint mir eher 10% zu sein. Und dazu bläst der Wind jetzt richtig böse und kalt von vorn. Das tut uns allen weh. Jeder kämpft für sich. Bis mir endlich einfällt, daß ich ja noch ein 3.Kettenblatt habe. Also flugs auf 26:21 geschaltet, und das Leben wird wieder schön. Und ich werde in keiner Weise langsamer dadurch, wie leicht festzustellen ist.
Mir der Zeit liege ich immer noch gut - also, ich schaffe es. Ist das schön.
Eine riesige Abfahrt. Der Blick schön wie immer. Mittendrin wieder so ein Silvesterknaller. Oh verflixt, hoffentlich ist jetzt nichts passiert. Hinter der Kurve steht ein Fahrer mit geplatztem Hinterreifen. Zum Glück hinten, sonst hätte er kaum Chancen gehabt. Er schiebt bis zum nächsten Reparaturstützpunkt, oder bis Hilfe eintrifft. Hier kann man vermuten, daß er zu lange hintereinander gebremst hat. Aber bei der Auffahrt zum Pordoj?
Wir fahren an unserer Pizzeria vorbei - juchhu, heute abend sehen wir uns wieder - ... ach ja, jetzt müssen wir noch nach Corvara. Ging es da nicht ein wenig bergauf? Waren diese Berge heute früh auch schon so steil? Nee, der Regen hatte die doch plattgewaschen ...
Aber ich kann noch allerhand Fahrer überholen, einfach, weil es Spaß macht. Zum ersten Mal tauchen wieder "Zivilautos" auf. In der Tat, es waren alle Straßen abgesperrt, bis auf das letzte Stück im Ort am Nachmittag! Wo gibt es so etwas sonst? Beim Nove Colli, erzählt man; eben auch in Italien ...
War dieser Abschnitt heute früh auch so lang? Bestimmt nicht, denn da war es kälter. Und Wärme dehnt bekanntlich aus. Aber schließlich komme ich doch noch ins Ziel. Mal sehen, ob ich noch schnell fahren kann. Schwamm drüber. Kann sein, ich komme kaum noch auf 40 Sachen.
Geschafft - in 8:43 Stunden mit allen Pausen, die reine Fahrzeit betrug wohl 8:07, was einen Schnitt von 17.2 km/h ergibt. Meine langsamste Radtour, nur fehlt jeder Vergleich. Nein, nicht nur in der Schwierigkeit ist der Dolomiti toll (natürlich gibt es noch Schwereres), sondern auch in Landschaft, Atmosphäre, Organisation. Alles stimmte, was man darüber erzählte, alles. Und die Veranstalter geben sich wirklich alle Mühe. Das ist wirklich die 80 DM wert.
Gleich nach der Ziellinie hilft mir jemand, meinen Transponder abzuschrauben und gibt ihn mir. Damit schiebe ich 10m weiter und erhalte von netten jungen Damen :-) 20000 Lire Kaution gegen den Transponder zurück. Außerdem gibt es das Finisher-Abzeichen dazu. Das ist hochwichtig: Es besteht ein großer Unterschied zwischen Trikotträger und Finisher ;-)))
Nächste Reihe junger Leute: Eine Flasche Enervit zum Trinken. Die brauche ich jetzt wirklich.
Und jeder, der die Ziellinie überquert, wird angesagt - sofort und in der Sprache seines Landes. Dank Elektronik klappt das reibungslos. Schon hängen die Ergebnislisten aus, so weit sie bereits feststehen. Ich staune immer noch. Beim Dreiländergiro hatte ich ein halbes Jahr oder länger darauf gewartet. In einem Büro hängen schon die fertigen Streckenfotos. Leider finde ich meines nicht.
Apropos Elektronik: Offiziell sind es 4375 Höhenmeter. Andere behaupten, es seien nur 4100, oder sogar 4000. Mein Höhenmesser zeigt 4368 - natürlich glaube ich jetzt dem Veranstalter :-) Ich weiß nicht, ob der Start letztes Jahr auch schon in La Villa war. Das waren doch einige Höhenmeter. Von Corvara aus würden locker 200Hm fehlen, da wir diesen Teil zweimal fuhren.
Ein Italiener stellt sein Pinarello neben mir ab. Es entspannt sich ein wohl typischer Dialog. Er: "Are you tired?" - "Of course, but I am happy." - "I too." Wir sind alle happy ... wenn ich in die Gesichter schaue ...
Ich radele zurück zum Quartier und treffe den Niederländer von unserem Frühstückstisch. Er wirkt ganz munter und fährt den Berg zur Kirche noch recht flott hoch, jemandem hinterher. Ich fahre lieber langsam und will austrudeln. Der Eindruck täuschte gewaltig: Der Niederländer war total platt, wir haben ihn danach nicht mehr gesehen. Sein Gefährte, ein Amerikaner, muß es aber ganz gut überlebt haben.
Ich lasse mir noch Nudeln, Bier und Apfelstrudel schmecken, die alle Teilnehmer danach bekommen, und abends sitzen wir wieder in der Pizzeria. Diesmal verschlingt Ralph meine Megapizza vom Vorabend (d.h., die gleiche Sorte :-), und ich wähle ein kleineres und teureres Nudelgericht, das recht exquisit ist. Der erste Liter Rotwein geht auf mich. Ich habe mein größtes Ziel im Radsport erreicht, und dazu noch in ganz gutem Zustand. Mit den Magenproblemen muß ich eben vorerst leben. Ein Hungerast kündigte sich nicht an.
Ralph ist wohl unter 6.5 Stunden gefahren und hat nur 14 Minuten für die Pausen gebraucht. Wenn man bedenkt, daß er noch gar nicht lange Rennrad fährt (nach eigenen Aussagen beherrscht er noch nicht mal den runden Tritt), kann man sein Leistungsniveau erahnen ... Aber wir waren ja gewarnt :-) Probleme hatte Ralph ganz anderer Art: Auf dem Giau zündete sich doch ein Rennfahrer (!) direkt neben ihm eine Zigarette an. Da ist ihm richtig schlecht geworden.
Alex fuhr 8:21 brutto, hat mich wenigstens nicht total versägt :-) Aber was soll's, wir freuen uns doch alle, daß wir es geschafft haben. Ich freue mich obendrein, daß ich meine Kräfte offenbar richtig einteilte, mir geht es noch leidlich. Ohne Magenprobleme und mit mehr Risikobereitschaft bei der Abfahrt wären bei mir vielleicht 30 oder gar 60 Minuten weniger drin - na und? Es war nicht knapp und hat ungeheuren Spaß gemacht. Und: Zum ersten Mal steht fest: Nächstes Jahr wieder.
Ralph hat von der schönen Landschaft genauso viel gesehen wie ich. Es ist also möglich, schnell zu fahren und trotzdem noch etwas zu sehen, das beruhigt mich irgendwie ungemein. Er ist sogar so hingerissen, daß es jetzt gar nicht mehr zum Frankenwald-Marathon will. Das gefällt mir nun weniger, denn ohne ihn stirbt diese Veranstaltung auch für mich. Aber erst einmal überschlafen.
Alex erzählt noch eine nette Anekdote: An einer der 1000 Kehren standen wieder einmal Zuschauer und feuerten die Fahrer an: "Los Jungs, bravo!" Keiner antwortete, jeder kämpfte mit sich. Da fragte ein Zuschauer: "Spricht denn hier keiner Deutsch!" Plötzlich fast alle: "Jaaa!!"
Übrigens haben mit größter Selbstverständlichkeit die Geschäfte in den Orten geöffnet. Insbesondere ein Radladen, in dem ich endlich einen langärmligen Windstopper von Briko für nur 55 DM bekomme - unglaublich wenig, abgesehen davon, daß ich mich interessierende Modelle in Geschäften bisher noch nicht sah.
Während wir noch shoppen, wartet zu Hause in meiner Mailbox längst das Ergebnis - noch am gleichen Abend wurden die Resultate ins Internet gelegt und persönliche Daten an die jeweiligen Teilnehmer verschickt: Zeiten sowie Plazierungen absolut und in der Altersgruppe, Fahrzeiten für Giau, Campolongo und die kleine Runde. Sieh an, meine Durchschnittsgeschwindigkeit am Giau betrug sogar 8km/h, trotz der Pause. Wie man sich verschätzen kann :-) Etwa 400 Leute waren noch hinter mir auf der langen Strecke (ich bin 2900. von 3300). Nichts für den Ehrgeiz, aber ein gewisses Polster.
Ein letztes Beispiel für den vorbildlichen Service: Man konnte sich für einen kostenlosen Service anmelden, der einem unterwegs per SMS die augenblickliche Platzierung auf das Handy schickt. Auch das klappte reibungslos.
Wir schlafen gut, ich wache ärgerlicherweise von allein schon 5.30 Uhr auf. Schon 7.00 starten Ralph und ich zur Heimfahrt. Ich werde es den Bauarbeitern im Tunnel in Zwischenwasser ewig danken, daß sie heute die Straße sperren. Dadurch "mußten" wir nämlich über das Grödnerjoch fahren, bei wunderbarer Morgenstimmung. Wenigstens einige Fotos lassen sich aus dem fahrenden Auto heraus schießen.
Und schon 14.45 stehe ich mit meinem Fahrrad vor dem Haus. Ralph meint: "Da kannst Du ja noch eine Rekom-Tour machen, die Dir sonst fehlen würde." Ach richtig, der Marathon war ja erst gestern. Eine lockere, langsame Tour ist das allerbeste Mittel gegen jeden Muskelkater, vor allem wenn man fast 8 Stunden fest im Auto sitzen muß.
Es sieht zwar arg bewölkt aus, doch mir kann jetzt ja nichts mehr passieren: Ich habe einen langärmligen Windstopper. Auf zur Rekom-Tour bei 20 Grad. Natürlich im neuen Trikot, auch wenn es noch nicht gewaschen ist. Heute treffe ich sowieso keinen, da brauche ich das Finisher-Abzeichen nicht anzustecken ;-)
Das Trikot fährt fast von allein. Ich brauche so gut wie nicht zu treten und bin trotzdem schnell. Schon das Trikot vom Dreiländergiro wirkte Wunder, und das hier erst ... Von wegen Rekom: 59km mit 28.7 Schnitt (bergig!) - na gut, davon sind 22km/h Rekom und 6.7km/h gucken, ob es noch geht ... es geht.
Am ersten Arbeitstag begreife ich, wie brutal frühes Aufstehen wirklich sein kann. An einem Lichtmast prangt ein Schild: "Willst Du mehr, als diese Welt Dir bieten kann?" Ja, die sollten mal den Dolomiti fahren!
Und nächstes Jahr wieder. Was sonst?
Nach Rückkehr stellt sich heraus, daß ich wohl einen anderen Fahrer bei dem Unfall nach dem Sellajoch gesehen habe, der vielleicht in den Sturz mit verwickelt wurde. Der "wirklich" Gestürzte ist im Krankenhaus an seinen Verletzungen gestorben. Eine bittere Pille.