@(#) Jun 28 2004, 17:53:29
Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)
Einleitung
Anfahrt (9.5.): Dresden - Jindrichuv Hradec (8.8km)
1.Etappe (10.5.): Rund um Ceske Budejovice 125km
2.Etappe (11.5.): Horni Cerekev - Pardubice/Holice 115/142km
3.Etappe (12.5.): Dobruska - Hradec Kralove 127km
4.Etappe (13.5.): Dubi - Chemnitz 108/118km
5.Etappe (14.5.): Chemnitz - Riesa 128km
6.Etappe (15.5.): Riesa - Hoyerswerda/Dresden 94km/137km/227km
Nachbetrachtung
Wie schon 2001 nahm ich auch dieses Jahr an der Friedensfahrt-Sporttour teil, d.h. wir fuhren Originaletappen der 55. Friedensfahrt mit Zeitvorsprung vor dem Feld ab, teils verkürzt. Wir waren fast die gleiche Mannschaft wie im letzten Jahr, insgesamt knapp 40 Leute und darunter dieselbe einzige Frau (Christina). Ob der Jüngste unter 30 Jahre war, weiß ich nicht; der Älteste erhöhte jedenfalls mit seinen 76 Jahren den Altersdurchnitt noch einmal etwas - und der muss ohnehin irgendwo im jüngeren Vorruhestandsalter angesiedelt gewesen sein.
Eine Rentnertour? Keinesfalls! Zum Beispiel unser Senior Erich Stammer war voriges Jahr Vierter beim Zeitfahren zu den Senioren-WM in St.Johann. Was bringen solche alten Knacker denn noch, wird mancher da fragen. Nun, z.B. im Alter von 73 auf gar nicht flachen 20 Zeitfahrkilometern einen Schnitt von über 40 km/h (da wurde er Weltmeister). Nichts Neues also - die Grauhaarigen muss der Hobbyfahrer erst einmal versägen, dann darf er weiterspotten. Natürlich gab es auch ein paar jüngere, starke Fahrer; dazu mehr im Text.
Im letzten Jahr waren es vier Etappen, diesmal sind es sechs. Wieder sind sie teilweise verkürzt, doch die Bergwertungen der drei aufeinanderfolgenden Bergetappen nehmen wir fast alle mit. Dazu unten mehr. Es wird schon anstrengend genug werden. Hauptsache, das Wetter spinnt nicht allzu sehr. Mit 235 EUR ist die ganze Sache übrigens sehr preiswert.
Weitere Einzelheiten finden sich in der Einleitung zum Bericht vom Vorjahr (vgl.a. meine Homepage).
Noch etwas zum Namen: Erst hieß die Veranstaltung Friedensfahrt-Ehrenrunde, was ziemlich missverständlich ist. Nun nennt sie sich Jedermann-Tour; das finde ich auch nicht gelungen. So ganz touristisch-jedermännlich ist sie nicht. Es wird doch oft recht scharf gefahren, es sind fetzige Berge dabei, und sechs solche Tage ohne Pause mit vielen Transfers und Stress sind eigentlich nicht Jedermanns Sache. So kommt der Name "Sporttour", den ich auf einer Ausschreibung las, der Sache schon viel näher.
Anfahrt (9.5.): Dresden - Jindrichuv Hradec: Das Himmelfahrtskommando
8.8km, Schnitt und Höhenmeter werden verschwiegen
Der gleiche Bus mit dem gleichen Spezial-Fahrradanhänger wie letztes Mal fährt auch dieses Jahr wieder durch Dresden, sehr bequem für mich. Das Wetter ist sogar viel besser, ausgesprochen sommerlich. Der Rucksack wiegt nur noch 13.5 kg - damit kann man schon die knapp 9km bis zum Treffpunkt mit dem Rennrad fahren.
Allerdings ist Himmelfahrt. Seit einigen Jahren verkrieche ich mich an diesem Tag weit hinter der tschechischen Grenze, wo die Säufer nicht randalieren, oder bleibe ganz zu Hause. Ich bin ja so froh, heute z.B. nicht Zug fahren zu müssen. An der Elbe ist es noch ruhig, allerdings sieht man gegenüber des Zentrums schon die ersten Auswirkungen: Der Weg ist dort 5-10m breit und in mehreren Zonen vollständig mit einem Meer von Glasscherben übersät. Ein Radfahrer schiebt sogar. Das sollte ich besser auch machen, allerdings finde ich am Rand noch eine Spur und fahre wie auf rohen Eiern. Eine anschließende Reifenkontrolle bleibt zum Glück ohne Befund.
9.00 Uhr ist der Bus in Leipzig mit den Sportsfreunden von ACL losgefahren, schon ab 10.00 stehe ich am Treffpunkt (man kann ja nie wissen, es darf nichts schiefgehen). 10.30 rufe ich zum ersten Mal Siggi an: Ja, wir sind kurz vor Wilsdruff. OK, vielleicht noch 15 Minuten?
Kein Bus kommt. 11.00 hält auf einmal der vertraute Golf mit dem Organisator Peter Scheunemann vor mir: Der Bus hat einen Platten am Hänger. Au weia. Der konnte wohl im Unterschied zu mir den Scherben nicht ausweichen. Aber wir haben Zeit. Das Wetter ist sehr schön.
Nach zwei Stunden Wartezeit, 12.00 Uhr, kommt der Bus endlich. Der ADAC hat sofort Pannenhilfe verweigert, als er hörte, es sei ein tschechischer Bus, obwohl Mitglieder von uns die Kosten übernommen hätten. Ich denke daran, dass es früher bei der Friedensfahrt einen Preis für den hilfsbereitesten Mechaniker gab. In Berichten wurde oft erzählt, wie westliche Fahrer darüber staunten. Ich weiß, dass das heute kein Thema mehr ist, aber so ganz schief lagen die Veranstalter mit ihrem Preis damals nicht. Die Zeiten haben sich sehr geändert.
Der eine Reifen am Hänger ist immer noch platt. Der Anhänger ist geliehen, ein passendes Ersatzrad nicht da. Wir rollen vorsichtig den Berg hoch bis zur nächsten Tankstelle. Die ist nun wieder zu neu, um ordentliches Werkzeug da zu haben. Blühende Landschaften brauchen eben ihre Zeit, bis Früchte wachsen.
Gut 1.5 Stunden wird improvisiert - der alte Reifen abgezogen, indem der Bus über das hingelegte defekte Rad fährt und so den Reifen lockert. Abenteuer gibt es bei Scheunemann-Reisen nicht selten, hier kann er wenig dafür.
Etwa 14.30 Uhr kann sich unser Himmelfahrtskommando auf den Weiterweg machen. Die Leipziger Jungs sitzen nun schon seit sechs Stunden im Bus. Wir überlegen, ob sie das mit dem Fahrrad nicht auch geschafft hätten. OK - ohne Gepäck ...
Ein Unglück kommt selten allein. An der Grenze in Zinnwald geht die Abfertigung zwar noch einigermaßen zügig, doch ein Bus vor uns blockiert den Weg, und der Fahrer ist unauffindbar. Eine weitere Stunde verloren. Es ist ziemlich warm, und ein starker Wind bläst. Hm, morgen fahren wir flach im Kreis, mal sehen.
Es nähert sich der erste Höhepunkt des Tages. Vorgeschichte: Die meisten Leipziger hatten inzwischen meinen Bericht vom Vorjahr entdeckt und sind besonders über die Passage amüsiert, wie lebhaft sie auf der "Nuttenmeile" von Zinnwald bis Dubi wurden. Protest! Denn ich wäre doch zuerst aktiv geworden! Na klar, einer muss sie doch darauf aufmerksam machen, aber was dann losging - nein, dafür kann ich wirklich (fast) nichts. Diesmal bedurfte es keines helfendes Hinweises, die jungen Damen waren schon bei der Fahrt hoch ins Gebirge das Thema des Tages. Ich sollte vor allem unbedingt schreiben, dass die vier Schkeuditzer (nur aus diesem Grund?) diesmal in der ersten Reihe sitzen. Was hiermit geschehen ist.
Die "Nuttenmeile" ist aber immer wieder kurios. Muss man mal gesehen haben. Ehemalige Imbissbuden zu Bordells umgebaut ...
Die Fahrt am Milleschauer vorbei (ein 836m hoher Vulkankegel) mit all den anderen Kegeln und Kuppen ringsum ist wie immer sehr schön. Erst letzten Samstag machte ich eine Tour durch dieses Gebirge, zum ersten Mal in diesem Jahr in kurzen Sachen. Die war aber hart - 2700 Höhenmeter / 210km, und nur am Milleschauer war schönes Wetter. Die Form dürfte nicht schlecht sein diesmal. Auch habe ich nicht so eine hässliche Erkältung wie 2001.
Vor Prag eine Überraschung: Ein Tscheche, der irgendwie mit der Organisation zusammenhängt, lädt uns in seine Raststätte zu Gulaschsuppe, Hörnchen und Bier ein. Das wird sehr gern angenommen.
Die Fahrt durch Prag ist beeindruckend wie immer (diese Straßen wurden schon zu sozialistischen Zeiten gebaut, und wie sieht es bei uns derzeit aus?), die Landschaft südlich davon sehr schön. Letztes Jahr sahen wir davon nichts, es war schon dunkel. Die Straßen locken so richtig zum Radfahren - glatt, leicht wellig, alles grün ringsum, gelbe Rapsfelder, kleine Dörfer, Wälder ...
Erst 19.30 Uhr sind wir am Hotel in Jindrichuv Hradec (sprich: Jindschichuf Hradetz, jedenfalls in etwa :-). Das scheint eine sehr hübsche Stadt zu sein, müssen wir uns morgen ansehen. Für zwei Nächte bleiben wir hier. Leider ist das Hotel auch für tschechische Verhältnisse eine Kaschemme. Das Essen geht nach meinem Empfinden noch, aber das Zimmer ist dreckig, verkommen und stinkt, die Mauern haben nasse Flecken, durch die dünne Tür dringt der Lärm ... da gibt es dort wahrlich Besseres. Na gut, Pech gehabt, Rennfahrer müssen leiden können. Auch die Profis bei der Tour de France leben keineswegs alle in Luxushotels, ich las schon ziemlich Schlimmes.
1.Etappe (10.5.): Rund um Ceske Budejovice: Die sogenannte Flachetappe
124.7 km zzgl. 4km Anwege; 1250 Höhenmeter, 26.5 km/h (27.5 ohne langsamen Anfang)
Fein, das Wetter ist herrlich, ein warmer, recht kräftiger Wind bläst von Süden. Wir fahren mit dem Bus bis nach Ceske Budejovice, der Heimstatt meines Lieblingsbieres "Budweiser". 10.00 ist Start auf dem Marktplatz (es soll der größte Barock-Marktplatz in Tschechien sein, er ist schon beeindruckend), und im Bummeltempo fahren wir hinter dem Scheunemann-Golf flach bis zum Schloss Hluboka zwecks Gruppenfoto. Der Name sagt mir nichts, doch bei ca. 2500 Burgen und Burgruinen in Tschechien und Slowakei zusammen ist das kein Wunder. Das Schloss leuchtet schon von weitem weiß über einem See, es scheint ziemlich groß zu sein. Unangekündigt geht es plötzlich mit 13% den Berg hoch. Klar, eine Burg muss doch oben stehen. Ich fahre gerade ziemlich vorn, als einer der wenigen jungen Fahrer (der schweigsame Rainer) im Affenzahn vorbeischießt. Wie sich herausstellt, ist das typisch - am Berg mit ihm mithalten zu wollen, ist wenigstens für mich chancenlos. Es scheint einer der stärksten Fahrer zu sein. Dann ist noch ein jüngerer Berliner, der immer eine schwarze Jacke mit einem Totenkopf und der Aufschrift "Pirat" darüber trägt - auch er fährt unheimlich stark. Seinen Auftritt wird er heute noch haben.
Das Schloss ist eine Überraschung, es sieht sehr englisch oder schottisch aus, inklusive zugehörigem Garten. Für die Besichtigung bräuchte man wohl viel Zeit. Im Innenhof ragt jeweils zwischen zwei Fenstern ein steinerner Hirschkopf mit echtem Geweih darauf aus der Wand. Mein Film wird alle, der zweite liegt im Hotel - hurra, ich habe heute keinen Stress mehr (denke ich).
Wir rasseln den Berg wieder hinab, und weiter geht's mit Rückenwind, endlich schneller. Die erst 13km haben wir nämlich in 38 Minuten "geschafft" (satte 20.5 Schnitt im Flachen mit Rückenwind). Es wird (noch) nicht so geknüppelt wie letztes Jahr, das Tempo bleibt leicht über 30.
Die Etappe soll nach Höhenprofil flach sein, nur eine Bergwertung II ist dabei (I ist die höchste Kategorie). Allerdings geht es durch das Vorgebirge des Böhmerwaldes, obendrein sind wir in Tschechien - ich bin misstrauisch. Rechnen wir mal mit zeitweisen Hügeln.
Nach ca. 30km knicken wir nach links ab, es steigt leicht an. Eine sehr schöne Landschaft - viele Rapsfelder, Bäume, eine kurvige und gute Straße, das Fahren ist Genuss. Die Wellen werden steiler, sogar 10% sind mal kurz dabei, aber es geht.
Langsam wird es jedoch immer welliger. Die 10%er häufen sich, dann kommen bereits 12%. Laut Profil sollen zwei kleine Berge kommen, dann ein Flachstück und danach die Bergwertung. Das haut nicht hin. Das müssen Autofahrer mit einem groben Höhenmesser aufgenommen haben, die längst vergessen haben, wie sich Berge mit dem Rennrad anfühlen. Ich vermute sogar, hier wurden einfach ein paar Daten von einer Karte genommen. Das geht immer schief, wie ich aus eigener, leidiger Erfahrung weiß.
Wie steil es bereits ist, merke ich, als mir durch unachtsames Schalten die Kette vom großen Blatt fällt (zum Glück passiert das nicht wieder). Noch fahre ich vorn mit, aber der Zug ist sofort weg. Ich habe Riesenmühe, wenigstens ein paar Fahrer vor mir zu erreichen.
Und jetzt werden es schon 14% Steigung. Uff, wer rechnet denn mit sowas. Ich komme auf dem mittleren Blatt hoch, hoffe aber, dass der "Hügel" nicht all zu lang ist, sonst versauere ich (oberhalb von 12% ist das kleine Blatt effektiver). Es geht. Zwangsläufig überhole ich dabei allerhand Leute, denn ich muss ziemlich wild treten. Aber die Form scheint sowieso ganz gut zu sein. Überhaupt - am Berg überholte ich vor einem Jahr noch selten jemanden, jetzt kommt das öfter mal vor.
Der 14%er bleibt nicht der einzige, das Gelände ist ausgesprochen tschechisch. Und das Wetter verschlechtert sich deutlich, fernere Bergkuppen steckt in verdächtig violettem Dunst. Gewitter waren angekündigt. Ab und zu gibt es ein paar Tropfen, doch die sind warm.
Offiziell müssen wir 65km bis zu ersten Verpflegung fahren, aber da hatte man wieder vergessen, die 8km extra zum Schloss Hluboka einzubeziehen. 73km trocken sind nicht so die wahre Freude, doch ich überlebe es. Das Hörnchen im Rucksack hatte ich vergessen, und als ich daran dachte, war keine Zeit mehr zum Anhalten. Seit 6 Stunden nichts mehr im Mund gehabt - ich fresse wie wild los. Vor allem auf Vollkornbrot mit Käse und Gurke stürze ich mich. Wann haben Bananen das letzte Mal so gut geschmeckt?
Anscheinend bin ich noch ziemlich vorn angekommen; Siggi aus Leipzig meint, ich würde dieses Jahr stärker fahren. Freut mich, hätte ich sonst gar nicht so gedacht, aber ... im Moment gibt es ein viel interessanteres Problem: Es sieht ganz schön lila ringsum aus, die Blitze sind schon ziemlich fotogen. Also schnell 'raus aus dem Gebirge (haha).
Jetzt gießt es doch los. Wir kommen auf eine Hauptstraße, der Regen artet in Wolkenbruch aus - ist da auch Hagel dabei? Mein Nachbar ruft: "Schnell ins Wartehäuschen!" Er hat Recht, jetzt hagelt es wirklich los. Das Wartehäuschen ist sehr breit, die gesamte Mannschaft steht auf einmal in Dreierreihen drin. Und draußen ist die Hölle los. Hagelkörner bis zu 2cm Durchmesser, teilweise beängstigend spitz, knallen auf die Straße und vor allem auf das Dach aus Hartplastik. Es klingt wie beim Gruppenschießen! Wenn der Unterstand nicht gewesen wäre ...
Die Pause dauert nicht lang, wir fahren weiter. 500m weiter ist die Straße trocken! Was mich beunruhigt: Immer noch keine Spur von der Bergwertung. Dabei ist alles schon fertig markiert (wie auf allen Etappen hier), wir haben sie keinesfalls übersehen. Laut Profil ist die Bergwertung ein Berg, das davor war flach mit zwei kleinen Wellen. Aha. Peter Scheunemann zeigt uns auf dem Atlas, was noch kommt. Grummel. Das sieht ziemlich bergig aus.
Wir fahren nach Cesky Krumlov, ich sehe rechts ein Schloss mit einer Art dreistöckigem Viadukt. Hier gibt es unheimlich viel zu sehen, aber Tschechien überfüttert einen sowieso geradezu mit historischen Gebäuden und Stadtkernen. Auch ein Radwanderer kann nur einen kleinen Teil der Dinge sehen, die man "gesehen haben muss". Vielleicht bieten Tschechien und Slowakei die meiste Architektur pro Kopf - nach Italien vermutlich. Ich muss verzichten, bei 45km/h auf der Hauptstrasse kann ich nur kurze Blicke zur Seite werfen.
Jetzt geht es richtig lang den Berg hoch. Nicht so steil, vielleicht 8%, aber endlos. Ich merke schnell, dass ich mit der ersten Gruppe nicht mehr mithalten kann. 90km haben wir in den Beinen, nicht viele, aber deftige. Eine Welle nach der anderen folgt. Immer wieder gibt es etwas Regen. Trotzdem - es ist eine schöne Ecke, auch bei Wolken und Dunst. Radfahren hier macht Spaß.
Vor der Bergwertung muss ich nochmals meine derzeitige Gruppe ziehen lassen, ich bin zu ausgebrannt und fahre mein Tempo. So langsam ist das vielleicht gar nicht - 8% mit 14 km/h, aber die anderen sind eben besser oder frischer oder beides. Oben im Ort, kurz vor der Bergwertung, nochmals 50m echt flandrisches Pflaster (Pflaster gibt es dort prinzipiell nur in alten Ortskernen). Bei richtigem Tempo ist der Berg nicht so schwer. Anscheinend werde ich gefilmt - man nimmt das nicht mehr so deutlich wahr.
In der Kurve nach der Prämie ist ein älterer Fahrer von uns gestürzt und hat sich mindestens die Rippen geprellt, wie sich später herausstellt. Er fährt trotzdem bis zum Ziel in Hoyerswerda mit. Weiter unten treffe ich Christina, die wegen gesundheitlicher Probleme eine Zeit im Auto mitfahren musste. Ich nehme sie ins Schlepptau. Es geht lange bergab, nur wenige Wellen bergauf. So halten wir das Tempo lange über 40km/h, später 37-38, erst in der Ebene mit Gegenwind sinkt es auf 30-33. Sie zieht ohne weiteres mit. Überhaupt fährt sie recht gut.
Überraschung! Wir holen auf einmal die erste Gruppe ein! Und ich dachte, wir liegen sonst wie weit hinten. Solche unerklärlichen Vorkommnisse wird es während dieser Fahrt noch mehrmals geben.
In Budweis Halt, Sammeln, plötzlich Alarm von Scheunemann: Die Profis kommen in 10 Minuten! Das kann natürlich nie sein, wir müssen immer mindestens 30 Minuten Vorsprung haben, und er würde sonst auch nie mit 15 km/h vor uns herbummeln. Hach, das ist wieder etwas zum Aufregen. Auch dieses Jahr keine gelbe Lampe auf dem Dach seines Golfs, der uns ins Ziel bringt. Das ist doch unsere Sicherheit! So heißt es eben doppelt aufpassen.
Es geht zum Ziel auf dem Markt, vorher noch einmal kurz richtig übles Pflaster, jeder große Stein hat eine andere Höhe. Anschließend drehen wir noch wie die Profis eine Runde von 5-6km durch die Stadt, endlich auch einmal mit 30 km/h. Lubos aus Bratislava, Paul und ich versuchen einen Sprint, aber vor dem Ziel steht der Stau von der Werbekarawane. Die Stimmung ist jedoch unbeschreiblich. Menschenmassen säumen die Straßen und lärmen wie irr, vor allem die HEW-Ratschen sind extrem laut. Wir sind gerade das richtige Objekt ihres "Jubeltriebs". Das versetzt einen regelrecht in Trance.
Wir suchen uns gute Plätze und warten auf die Profis, die die Runde fünfmal abfahren müssen. Einer vom polnischen Ambro-Team hat mindestens 2 Minuten Vorsprung, nach der zweiten Runde jedoch nur noch 30 Sekunden, und dann wird er schon gefangen. In der dritten Runde ist wieder ein Einzelner vorn, auch er wurde vor dem Ende der Runde wieder gefangen. Schließlich gewinnt Olaf Pollack von Gerolsteiner den Sprint. Und - STURZ! Der Dritte oder Vierte rutscht auf den Reklameflächen hinter dem Ziel weg, die anderen bremsen und schlittern auf den glatten Pflastersteinen im Regen. Massensturz mit vielleicht 60km/h! Das sieht ganz übel aus. Ich habe den ersten noch stürzen sehen, den Rest verdecken die Leute. Man sieht es aber auf dem großen Bildschirm deutlich in den Wiederholungen. Unser Interesse ist keine Sensationsgier - schließlich wollen wir nicht selbst mal so wegrutschen.
Der Auslauf für den Sprint war einfach zu kurz. Daher mußten die Profis viel zu zeitig und zu stark bremsen.
Die Leute jubeln dem Letzten wie dem ersten zu, eine Wahnsinns-Stimmung. Und die Profis sehen nach den Unwettern aus wie Grubenarbeiter, viele wirken völlig kaputt. Das sind Dinge, die man im Fernsehen nie zu sehen bekommt.
Nach dem Beladen des Hängers rollen wir die Plane herunter. Der oben beschriebene Pirat mit Totenkopf bekommt dabei einen vollen Wasserfall ab. Wir lachen alle. Pirat im Wasser.
Wir springen in den Bus und fahren im Regen zurück nach Jindrichuv Hradec. Gleich ungewaschen sollen wir essen, mir schmeckt's gut. Wie üblich könnte es die fünffache Menge sein. Anschließend Duschen oder was man so nennt. In diesem Hotel ist wirklich alles an der Schmerzgrenze. Ich habe beim Trikotwaschen Angst, das Becken könnte unter der Last des Wassers auseinanderbrechen. Mein Einzelzimmer (!) kostet nur knapp 10 EUR. Das ist nicht viel. 15 EUR und etwas mehr Komfort wären nicht schlecht gewesen.
Trotzdem: Was wir heute erlebt haben ... es war ein toller Tag. Ein Bekannter von mir hat die Flandern-Rundfahrt für Jedermann mitgemacht (265km, Pflasterberge bis 22%, meist übelstes Wetter). Er meint: Das ist noch echtes Radfahren - Blut, Schweiß und Tränen, so wie es auch die Profis erfahren müssen. Und nicht solches "Komfortfahren mit Vollpension" wie bei deutschen Marathons. Sagt er. Hat aber nicht ganz Unrecht. Da sollen wir hier doch nicht meckern.
Und es gibt noch ein Highlight. Wir machen abends individuell noch einen Stadtrundgang. In einer Stunde versuche ich, möglichst viel zu erhaschen, bis es dunkel wird. Die Stadt ist eine Sensation! Fast jede Ecke ist sehenswert! Teils uralte Häuser (eingeschossig mit Spitzdächern), verwinkelte Gäßchen, ein schönes Flußtal mitten in der Stadt, nebenan ein großer See. Selbst die Häuser weiter draußen sind keine gesichtslosen Neubauten wie in den Randgebieten größerer tschechischer Städte. Auch die anderen loben, dass es nicht steril und herausgeputzt wirkt, sondern echt. Tschechien ist eben ein Land mit sehr vielen Widersprüchen, aber für nicht so verzärtelte Naturen hochinteressant.
Eine Etappe gefahren, zwei Tage unterwegs - und schon den Alltag vollkommen vergessen. So schnell geht das. Ich bin abgetaucht in eine andere Welt.
Irgendwo habe ich heute eine maximale Geschwindigkeit von 67 km/h erreicht. Die Straßen waren allgemein recht gut, und so wird es fast immer bis zur Grenze bleiben.
2.Etappe (11.5.): Horni Cerekev - Pardubice/Holice: Jäger und Hase
115/142km, 29.3/28.6 km/h, 1320/1420 Hm
Diese Etappe soll laut Profil leicht wellig sein. Was das bedeutet, wissen wir seit der gestrigen "Flachetappe". Die Profis starten in Trebon, für uns aus zeitlichen Gründen nicht zu machen. So fährt uns der Bus auf der Originalstrecke hoch nach Horni Cerekev und schenkt uns 400 Meter Höhe. Es ist Wurstfetthimmel, der Start verläuft unorganisiert, was Peter Scheunemann später zu Recht rügt. Als ich merke, dass jeder startet, wie ihm lustig ist, schwinge ich mich auch auf das Rad und fahre flott los. Es geht wahnsinnig gut! Bei Pelgrimov habe ich schon 32.8 Schnitt, allerdings geht es auch teilweise bergab, und manchmal hilft etwas Rückenwind.
Ziemliche Wellen sind zu überwinden - wen wundert's. Das Wetter ist trüb, aber die Landschaft ist trotzdem sehr schön. Alles ist grün ringsum; Wellen, Kuppen, Höhenzüge, Wälder, gelbe Rapsfelder, kleine Dörfer, es macht richtig Spaß. Beschwingt trete ich in die Pedalen, ich bin sehr motiviert. Jürgen aus Berlin (den ich schon von der Fernfahrt Berlin-Neapel her kenne und der sowieso immer anders und zu anderen Zeitpunkten fahren will) sowie Eberhard überhole ich als letzte, dann kommt niemand mehr.
Nach 35km holen mich 6 Fahrer ein, u.a. Volker aus Köln, der schweigsame Rainer aus Berlin und der Pirat. Mann, sind die schnell. Einen Berg halte ich mit (kurz muss ich abreißen lassen, hole sie aber wieder ein), sogar die Abfahrt mit ihnen ist deutlich flotter als sonst. Später kommt ein 12%er, ein längerer Berg danach - da weiß ich gleich: Diese Truppe wird zu schnell für mich, das ist nicht meine Klasse.
Bei km 61 komme ich vom Rest gerade noch als erster an, Klaus hat mich noch eingeholt. Alle denken, ich wäre erster. Stimmt aber nicht. Nur vom Rest. Ich fresse wieder lange und ergiebig, was das Zeug hält.
Das Buffet liegt gut, es geht als erstes bergab. Ich jage wieder als erster los. Die Sonne kommt heraus, es fährt sich gut. Langsam habe ich den Eindruck, die anderen würden mich jagen, aber momentan scheint sich mein Vorsprung zu vergrößern. Ein wenig Ehrgeiz ist schon dabei, aber vor allem ist es schön, in dieser Landschaft durch Kurven und Wellen zu preschen.
Der nächste Bergrücken heißt "Eiserne Berge", nicht ohne Grund. Es geht einige Zeit 10%ig hoch, dann sehr lange mit etwa 5%. Vier Fahrer holen mich ein. Das alte Elend am Berg: Ich kann nichts zusetzen, ich weiß ziemlich genau, was geht und was nicht. Allerdings hoffe ich, dass ich oben nicht so schlimm aussah wie die vier, die mich überholten ...
Wir warten wieder aufeinander (nur Jürgen fährt schon los, aber darüber regt sich keiner mehr auf), dann geht es im Sausetempo bergab. Ich fahre hinab; selten kam die "40" auf dem Tacho so lange und so oft wie auf diesem Abschnitt, auf den Riesen-Abfahrten sind es meist 50-60 km/h. Manchmal gibt es Rückenwind. Nur etwas längere Wellen tun schon weh. Das Feld ist nicht zu sehen. Die jagen mich jetzt doch bestimmt schon.
Seit gestern sehen wir sehr viel Polizei, die Nebenstrassen absperrt, heute auch viele Soldaten. Die Organisation macht generell einen sehr guten Eindruck. Allerdings wird mir die Polizei zum Verhängnis. Zwei Polizeiautos sperren eine Einfahrt ab, und dadurch sehe ich nicht, dass die Straße geradeaus weiterführt (obwohl ich den Pfeil bemerkt habe). Ein kurzer Verhauer kostet mich einige Zeit. Doch gleich bin ich in Pardubice. Ich nehme etwas Tempo heraus. Völlig überraschend kommen auf einmal Karle und andere links an mir vorbeigezogen, dann das ganze Feld. 300m später Halt. Ich habe sie nicht gesehen, daran muss der Verhauer Schuld sein. Sie sind sehr stolz, mich doch gefangen zu haben. Und ich freue mich, dass die Flucht "eigentlich" geglückt ist. Auch sie sind 55-60 gefahren - aber bestimmt nicht in der Ebene ... Ist alles nicht so ernst zu nehmen, ein sportlicher Vergleich, mehr nicht. Fettes Lob von vielen Seiten. Nehme ich gern an, offenbar war ich heute gut drauf. Bei 1320 Höhenmetern auf 115 km 29.3 Schnitt zu erreichen - trotz teilweiser Fahrt bergab - das ist sicherlich einer meiner schnellsten Abschnitte bisher.
Man überredet mich, zwecks Zielsprint meinen Rucksack abzugeben. OK, mache ich, sieht so "verwanzt" aus, sagt Siggi. Ich soll zum Lohn für die Flucht als erster über die Linie. Hat eben etwas Symbolisches.
Mit immerhin 30 km/h fahren wir hinter dem Auto durch die Stadt. Auf der Zielgeraden geben wir Gas - 46 oder 47 km/h werden es, dann Notbremsung: Da stehen schon wieder Autos im Ziel. Einer fährt zuerst links vorbei: "Du solltest doch Zwinki vorlassen!" Na, das ist aber nun wirklich egal. Viel weniger egal war uns wohl das Jubeln der Leute, das mir noch lauter und wilder als gestern erschien. Huch, die heben einen ja richtig ins Ziel.
Wir warten wieder auf die Profis - Olaf Pollack gewinnt erneut den Sprint - und teilen uns dann: Die meisten fahren mit dem Bus nach Holice zum nächsten Quartier, eine größere Gruppe (ich auch) mit dem Rad dorthin. Das Wetter ist nämlich inzwischen ausgesprochen angenehm und sonnig geworden.
Ich fahre an zweiter Position hinter Lubos und begreife, warum mein schlanker Freund Tria-Peter von ihm immer so schwärmt. Denn in der Ebene bei Windstille hinter Lubos's Rücken mit 30 km/h zu fahren, gehört eindeutig in den Bereich der Fettverbrennung, das hat noch nichts mit Grundlagentraining zu tun. Wir fahren an der berühmten Pferderennbahn von Pardubice vorbei. Die ist wirklich groß.
Die neue Pension ist prima, nur das Essen reicht nicht für unseren Hunger. Dafür gibt es noch Spanferkel am Grill (das Ferkel ist aber mindestens 1m lang!), die Tschechen singen, gute Stimmung, alles sehr laut und lustig.
Mein Fahrrad hat auf dem Weg nach Holice Geburtstag gehabt: Einmal um die Erde ist es nun gefahren, genau 40000 km (in 4 1/4 Jahren). Es spendiert dafür jedem eine Krokantpraline, die es vorsorglich kaufte. Einen besseren Anlass als diesen hätte es sich für seinen Geburtstag gar nicht aussuchen können. Das Vorderrad ist bis auf einen Konus noch das alte und wurde noch nicht nachzentriert. Auch der Lenker ist noch der erste, ebenso die Bremsschalthebel. Die Pedale (PDM 747) leben schon 33000 km ohne Wackeln und Zucken. Dabei ist es eigentlich ein Stahlrad mit billigen RSX-Komponenten ...
Die gestern gestürzten Profis sind alle noch im Rennen - nur Schürfwunden und Prellungen. Unglaublich. - Übrigens ist es etwas völlig anderes, ob man die Fahrer nur im Fernsehen sieht (und üblicherweise nur kurz) oder in Natura. Das ist wohl jedem klar. Aber ebensolch ein Sprung ist es, wenn man die Etappe soeben selbst gefahren ist. Das ist schon ein besonderer Moment. Und wenn die Profis dabei einmal nur 10 km/h schneller als man selbst sind, darf man berechtigt stolz sein.
3.Etappe (12.5.): Dobruska - Hradec Kralove: Im Frühtau zu Berge
127km, 23.2 km/h, 1720 Hm ansteigend
Heute beginnt die richtige Fahrt, die erste Bergetappe. Das Höhenprofil sieht furchterregend aus: Zwei Mordszacken hintereinander, beides Bergwertungen der ersten (höchsten) Kategorie, beim Anstieg zur ersten Spitze (angeblich 30km nur bergan, von 200m auf 955m) gleich noch zwei Bergwertungen der Kategorie II eingebaut. Nach einer langen Abfahrt und einer Welle eine Bergwertung II und ab in's Ziel, leicht abfallend. Wegen der bisherigen maßlosen Untertreibung bei den Profilen haben wir alle ganz schönen Bammel. Obendrein wartet am Folgetag die eigentliche Härte auf uns.
Und trotzdem freue ich mich auf diese Etappe besonders. Es geht ins Adlergebirge, das ich noch nicht kenne und das sehr schön sein soll. Man erzählte, vor ca. 2 Wochen hätte dort noch 1m Schnee gelegen. Das ist durchaus möglich; man darf es nicht mit den Alpen vergleichen. Im Riesengebirge - sozusagen nebenan - liegt die Baumgrenze bei 1100m, und auf der Schneekoppe (1600m) gibt es außer groben Granitblöcken gar nichts weiter. Bekannt ist das Adlergebirge als sicheres Skigebiet.
Das irre zeitige Frühstück - schon 5.30 Uhr - im neuen Quartier ist gut, nur die Marmelade fehlt (es gibt nur Herzhaftes). Aber im Auto warten große Nutella-Büchsen auf ihre Leerung. Wir helfen uns selbst. Ach ja, und der Kaffee ist dieser ekelhafte lösliche, der immer so künstlich schmeckt. Es gibt besseren in Tschechien.
Man frotzelt kräftig herum ob der bevorstehenden Schwierigkeiten. Wenn man die Leipziger Rasselbande so akzeptiert, wie sie ist und die vielen kleinen (offenbar nicht so ernst gemeinten) Sticheleien nicht ernst nimmt, ist es wirklich ganz lustig und unterhaltsam. Als altgediente Renner (es sind viele ehemalige Spitzenleute dabei, vgl.a. den Bericht vom Vorjahr) kennen sie sich in der Profiszene bestens aus, und man erfährt so allerhand Interessantes. Auch, wie unsagbar viel sich bei Training und Ernährung in den letzten 10 Jahren geändert hat. Und über die heutigen Zustände. Nichts für's Internet; zum Nachweis der Kompetenz sei nur angeführt, dass Ernst ein Telekom-Rad fährt, das Steffen Wesemann die halbe Tour de France nutzte ...
Wir sitzen im Bus nach Dobruska. Das Wetter ist einigermaßen sonnig, von den Bergen sieht man noch nicht viel. Im Bus die übliche Lautstärke (man erklärte mir, dass alte Männer schwer hören und daher so herumbrüllen müssen, aber es liegt wohl doch mehr am Temperament unserer Fahrer). Wir sind da! Auf einmal wird es ganz still, sehr im Unterschied zu den Vortagen. Sieh an, die alten Männer können auch schweigen.
Wolken, Sonne, wenig Wind, die Fahrt beginnt. Leicht ansteigend geht es los. Wie immer ist die Strecke schon markiert. Ich fahre nicht zu schnell, denn ich habe erst recht einen Heidenrespekt vor der Strecke (an langen Bergen bin ich relativ langsam), doch noch halte ich mich im ersten Drittel auf. Eine schöne Fahrt.
Die erste Bergwertung ist nur ein Anstieg unter endlos vielen, die zweite ebenso, beide sind unkritisch bei unserem Tempo. Wir biegen auf einen asphaltierten Weg ab, halb Radweg, halb Fahrweg. Klaus, Paul und ich schließen uns zusammen. Klaus fährt eigentlich stark, aber irgendwie wurde es ihm zuviel. Dabei haben wir nach Aussage von Peter Scheunemann erst 15 der 30km Anstieg hinter uns. Der Weg führt über eine Wiese, ein rotes Kirchlein steht vor dem Wald. Ein herrliches Bild, wir fotografieren uns gegenseitig. Soviel Zeit haben wir allemal. Zum Wandern wäre mir das alles wohl zu brav, doch zum Radfahren ist es phantastisch.
Es geht hinab auf eine große Straße, die teils steil hinabführt. Aha, das könnte das "Plateau" des Profils sein. Andere dachten hier sogar, sie wären falsch. Aber die Markierung ist eindeutig und gut.
In Destne - einem bekannten Wintersportort - beginnt offensichtlich der große Anstieg, von 600 auf 955m. Nun schön die Kräfte einteilen, sich ja nicht von den anderen verrückt machen lassen. Es ist noch nicht der letzte Berg.
In dichtem Wald schlängelt sich die Straße mit ziemlich konstant 8-10% den Berg hoch. Paul fällt hinten heraus, Klaus zieht langsam vorn weg. Ich begreife mit der Zeit, dass hier wirklich Straßenbauer am Werk waren und das in Nordböhmen obligatorische dicke Ende fehlen könnte. Das wäre ja fein.
Ein Mountainbiker mittleren Alters (für unsere Gruppe entschieden zu jung) arbeitet sich mit ziemlich hoher Trittfrequenz und ziemlich kleiner Geschwindigkeit den Berg hoch. Hohe Trittfrequenz erfordert einen guten Kreislauf, sagte Udo Bölts einmal. Man sieht es: Der arme Kerl läuft fast über vor Schweiß. So schlimm sehe ich hoffentlich nicht aus. Ich zeige ihm den erhobenen Daumen: Du schaffst es schon. Er strahlt, so weit er noch strahlen kann. Radfahren ist in Tschechien ein echter Volkssport, man merkt es überall, vor allem am Verhalten der Autofahrer.
Zwei tschechische Rennradler vor mir hole ich nicht ein, wir halten den Abstand. Ich höre lieber auf meinen Atem und meine Beine, als zu beschleunigen. Ich fahre hier kein Rennen, und nicht zuletzt müssen wir 6 Tage durchhalten.
Der weiße Strich ist da, Klaus natürlich auch (er hatte wenige 100m Vorsprung). Ich komme dazu, den Fotoapparat aus dem Rucksack zu ziehen und die Ankunft der schwarzgelben Hornisse namens Paul festzuhalten. Kurze Pause, kurze Labe. Es ist trüb, aber man sieht gegenüberliegende Bergzüge. Der Wald ist noch dicht hier oben in 955m Höhe.
Auf ziemlich welliger Straße (offenbar Frostbuckel) geht es nun lange bergab. Anfangs sehe ich rechts tatsächlich Schnee, der Straßengraben ist an einer Stelle dick mit Firn gefüllt. Am Schanzenhang in Destne - nur 600m hoch - lag übrigens auch noch ein weißer Streifen.
Es geht einigermaßen flach zwischen zwei Bergrücken entlang - der rechts oben ist das Adlergebirge, die Häuser links und die Straße gehören schon zu Polen. Vorn schimmert hell ein viel höherer Gebirgszug. Für einen Moment denke ich an die Westtatra. Alte Erinnerungen werden wach, denn in der Hohen Tatra lernte ich vor über 20 Jahren das alpinistische Klettern und verlebte mit polnischen Freunden ein paar der schönsten Zeiten. Die Alpen sind insgesamt viel toller und schöner und wilder (obwohl die Hohe Tatra auch sehr schroff ist und mit manch einem Alpengebirge mithalten kann). Aber die Erlebnisse damals - auch die gefährlichen und unangenehmen - lassen sich wohl nicht mehr übertreffen. Ich erlebe einen der Momente, deretwegen sich solch eine Fahrt lohnt, gleich mit wieviel Unanehmlichkeiten.
Das alles geht mir so durch den Kopf, während ich Paul und Klaus hinterherfahre, denn Fotografieren kostet schließlich Zeit. Es ist übrigens egal, dass das da vorn nicht die Westtatra sein kann, sondern das Altvatergebirge ist, wie ich später lerne ...
Schluß mit lustig, es geht rechts hoch zur zweiten Bergwertung. Wir starten in größerer Höhe als bei der ersten Bergwertung, doch die Strecke ist kürzer, also fürchte ich einen schmerzhaften Stich. Wer will, kann außen um diesen Berg herum fahren. Wir drei natürlich nicht, wir fühlen uns doch noch ganz gut. Die Straße ist sehr schmal, Peter Scheunemann kann mit seinem Auto nicht mehr wenden und muss im Rückwärtsgang herausfahren. Zum Glück hat er noch etwas zu trinken - schwarzen Traubensaft, den besten meines Lebens. Oder zumindest auf dieser Friedensfahrt. Oder wenigstens heute zwischen zwei Bergwertungen.
Mit der Kraft der zwei Beeren stürzen wir uns in das große Abenteuer. Vorerst aber geht es sehr, sehr zivil mit 5% bergan. Wir fahren schön gleichmäßig, so um die 14 km/h - wer weiß schon, was da noch kommt. Es bleibt Luft für eine gelegentliche Unterhaltung. Dichter Buchenwald umgibt uns, ein felsiger Bach fließt eine Schlucht hinab, kein Zeichen von Leben sonst. Wieder ganz anders als der erste große Berg, aber noch angenehmer und schöner.
Allmählich begreife ich, dass auch hier wahre Straßenbauer am Werk waren und es hier wohl kein dickes Ende geben wird. Nicht einmal als es hell wird und der Wald sich lichtet, ist die letzte Kurve steiler. Klaus sagt mir: "Zwei Bier, und ich schenke Dir die Prämie." Hm, sage ich, so wird das also gemacht, aber ich habe da noch eine andere Lösung - und sprinte los, was das Zeug hält. 100m vor dem Strich kann er mich da natürlich nicht mehr einholen, selbst wenn er schneller den Berg hochgekommen wäre. Außerdem - ich bin allemal jünger :-)
Zwei Bier gerettet, ich mache pro forma noch zwei Fotos. Der flache Huckel links vom Pass müßte der Mückenberg sein. Die Baumarmut hier würde ich Umweltschäden zuordnen, der Höhe nur bedingt.
Es folgt eine sehr lange, wunderschöne Abfahrt über endlose Serpentinen. Die Sonne scheint in diesem Gebirgsteil wieder und läßt die frisch belaubten Buchen hellgrün zwischen den dunklen Fichten an hohen, steilen Hängen strahlen, darüber große Dampfwolken am blauen Himmel: Ein Anblick zum Erleben, nicht zum Fotografieren. Teilweise liegt aber etwas Splitt oder Sand in manchen Kurven, ich bin vorsichtig beim Abfahren. Einmal noch halte ich an und fotografiere, obwohl es in Blickrichtung nicht so sonnig ist. Wer eines aufregenden Lebens müde ist und sein Auskommen gesichert hat, kann sich in dieser Ecke niederlassen.
Endlich das Buffet. Der gewohnte Heißhunger bei mir, obwohl schon nicht mehr so schlimm. Zwei Tschechen auf dem Rad mit Gepäck werden gleich mit bewirtet. Immerhin gehören wir zur Friedensfahrt. Ihre Schaltung ist von Favorit, man jubelt. Denn in der DDR gab es nichts, man importierte nach Möglichkeit (und natürlich illegal) die tschechischen Favorit-Schaltungen.
Das folgende "Flachstück" besteht aus den sattsam bekannten, durchaus nicht flachen Wellen von 50-100m Höhe. Viel zu wenig, um von den "Profilanten" der Streckenplanung überhaupt wahrgenommen zu werden. Rotkäppchen erscheine! Denn Rotkäppchen-Schilder kündigen die Bergwertung an. Wir haben inzwischen eine größere Gruppe gebildet. Endlich, die Bergwertung - keine Probleme, nur eine Welle unter endlos vielen.
Die Straße wird naß. Nicht rechtzeitiges Kommen sichert trockene Hosen. Die erste Gruppe taucht vor uns auf. Wieso denn das? Angeblich hatten sie sich untergestellt und sind auch einmal langsam gefahren, aber es ist einfach unklar. Wir fahren vorbei. Haben die anderen keine Lust mehr?
Klaus und ich fahren gerade vorn, ich seitlich versetzt, als der Untergrund nicht nur mit reinem Wasser benetzt sein muss. Ich höre jedenfalls wilde Protestschreie von hinten, dann wird es mit einem Male ruhig. Als ich kurz in die Linie seines Hinterrades komme, begreife ich den Tumult. Mein schönes gelb-weißes Friedensfahrttrikot!
So fahren wir zu zweit bei inzwischen schönem Wetter in Richtung Hradec Kralove. Die Straße macht eine Linksbiegung, der Pfeil zeigt jedoch geradeaus. Irgendwie ist das sehr komisch. Hat hier einer am Pfeil gedreht? Blick auf die Karte ... hm, es könnte schon geradeaus weitergehen ... eine ungefähre Orientierung habe ich, und der Ortsname (Belec) stimmt auch. Die Straße ist herrlich und führt durch sonnigen Wald, doch ein einziger rosa Pfeil würde unsere Stimmung noch deutlich verbessern. Es kommt aber kein Pfeil. Stress, die Unruhe lässt mich vorn fahren (Klaus spielt da kollegial mit mit ;-), mit 30-35 km/h gegen leichten Wind.
Nach vielleicht 7km treffen wir auf eine Straße - hurra, ein Pfeil - wir sind richtig! Nun ist die Fahrt im Nachhinein wirklich sehr schön gewesen.
Das übliche Sammeln am Ortseingang, dann zügig ab in die Stadt auf abgesperrten Teilen großer Schnellstraßen mit ampelfreien Kreuzungen. Zum Markt, wo das Ziel ist, geht es hoch. Die Zielankunft ist berüchtigt wegen des Holperpflasters nach belgischem Vorbild. Tatsächlich, es haut ganz schön. Wir fahren noch eine Runde durch die Stadt (die Profis müssen das mehrmals erleiden). So richtig klappt das nicht, wir verfahren uns sogar einmal, allgemeines Geschimpfe: "Wie im Kindergarten."
Dennoch kommen wir wieder zum Marktplatz hoch und genießen nun schon in der dritten Stadt das Bad in der Menge. Eindeutig - Radsport hat hier Tradition, die Friedensfahrt ist ein Symbol wie eh und je geblieben, und die Leute schauen nicht nur auf den Sieger. In solch einer Menge wird auch 1 Stunde Warten auf die Profis nicht lang, zumal Family Frost für leibliches Wohl sorgt (ich werde für die Werbung nicht bezahlt, aber ein Eis ist jetzt genau das Richtige).
Auch den Profis geht es auf dem Pflaster nicht gut; interessant, wie unterschiedlich sie dort fahren. Als Bergetappe war's wohl zu leicht, sie kommen fast geschlossen an. Aber auch die paar Abgehängten werden noch angefeuert. Wer sich bis Anschlag quälend und schwitzend die erste Bergwertung hochmüht, weiß eben auch die Anstrengung der Letzten noch zu schätzen. Sofakartoffeln vor dem Fernseher haben da eine andere Weltsicht. Schon die Art der Zurufe am Straßenrand zeigt dem Fahrer, wieviel die Leute vom Leiden wissen ...
Olaf Pollack schafft den Hat-Trick und wird zum dritten Mal Etappensieger. Der Standplatz ist sehr günstig, wir sehen alle in langsamem Tempo von Nahem: Pollack sieht auch ungewaschen noch gut aus. Fagnini erkenne ich weit hinten - der schwarzen Schicht auf seinem Gesicht nach ist er auch während der Etappe oft hinten gefahren, er wirkt arg abgekämpft.
Wie üblich fahren wir auf der noch abgesperrten Strecke zurück. Heute gibt es Probleme, aber wir schmuggeln uns durch. Kurz vor dem Bus hält uns ein Polizist an. Ich verstehe zwar die Sprache nicht so recht, doch den Inhalt wohl: Hier dürfen wir nicht fahren. Eigentlich hätte ein Fingerzeig auf unsere Startnummer am Rahmen genügt, aber er begreift auch so ungefähr, was los ist. Und dann kommt das in Deutschland Unmögliche: Er stoppt den Verkehr auf der einen Hälfte der sechsspurigen Schnellstraße, damit wir trotz ausgeschalteter Ampel auf die andere Seite kommen. Zum Glück weiß ich, was tschechisch "Danke" heißt ...
Heute habe ich einen leichten, aber deutlichen Sonnenbrand bekommen, trotz Creme jeden Tag. Dieses Jahr bin ich leider erst vor einer Woche zum Fahren in kurzen Sachen gekommen, obwohl es schon schlechtere Frühjahre gab.
Wir erfahren, dass die Profis angeblich fehlgeleitet wurden, sie kamen über eine andere Route als geplant in die Stadt. Was wirklich passiert ist - ich weiss es nicht. Möglicherweise hat jemand einen Pfeil gedreht, ohne sich darüber im Klaren zu sein, was er da anrichtet.
4.Etappe (13.5.): Dubi - Chemnitz: Die Königsetappe
108/118km, 23.5 km/h bis Ziel, 1670/1790 Hm
Kein Abführmittel wirkt zuverlässiger als das Wort "Königsetappe". Hätten wir gewußt, was wirklich auf uns zukommt - unsere Därme hätten sich im voraus nach außen gestülpt. Und dennoch waren die Berge bei weitem nicht so schlimm wie erwartet, ähnlich wie im Adlergebirge.
Sechs Bergwertungen stehen auf dem Programm, zwei davon der ersten Kategorie. Die erste gehört zur Erzgebirgs-Südseite. Das sind eigentlich die "alpinsten" Berge der weiteren Dresdner Umgebung. Das Erzgebirge fällt vom Kamm nach Norden relativ sanft ab, nach Süden hin sehr schroff. Bisher kenne ich fünf Anstiege: Zum Schneeberg von Jilove hoch - 3km 12%, dann 6-10%, dann 12%, Ende 18%; zum Schneeberg von Bela aus - 2km 11% durchgängig, dann ansteigend, gleiches 12-18%-Ende; den Ossek-Berg: 3km 5-10%, dann 16%, dann 3km 12% durchgängig. Naklerov: 3.5km 12%. Schließlich fuhr ich vor einer Woche extra den Berg von Krupka zum Mückentürmchen hoch, weil ich dachte, das sei unser Weg heute: 1.5 km erst 12, dann 14%, Rest wider Erwarten nur 8-10%. Alle Berge so 5-6km lang.
Nun fahren wir aber von Hrob zum Stürmer nach Nove Mesto hoch, auch von 300 oder 400m auf 850m. Warum sollte es dort leichter sein? Und kaum Einrollen, gerade so 3-4km!
Die zweite schwere Bergwertung soll in Krumhermersdorf bei Zschopau sein. Kenne ich nicht, aber Zschopau ist mir radfahrmäßig ein Begriff: Alles sausteil dort.
Damit nicht genug. Wir müssen erst von Holice bis nach Dubi bei Teplice mit dem Bus fahren. Für Regeneration bleibt uns deutlich weniger Zeit als den Profis! Dafür haben wir jeden Abend unser Budweiser (oder auch mehrere). Irgendwo muss es ja ausgleichende Gerechtigkeit geben.
Also, 4:25 Uhr nach einer eher hin- und hergeworfenen als durchgeschlafenen Nacht aufgestanden, Packen, alles verstauen, 5.30 Uhr Frühstück. Punkt 6.00 Abfahrt. Etwa 250km Strecke warten auf uns. 9.00 sollen wir in Dubi sein, möglichst vor 9.30 Uhr starten. Das ist nicht allzu reichlich. Die Profis fahren 100km mehr ab Mlada Boleslav u.a. über Ustek, Lovosice und die E55 nach Teplice. Ich beneide sie nicht. Flach ist es dort nicht (bis 12%), obwohl keine Bergwertungen enthalten sind - aber ein saumäßiger Verkehr, den ich auch in Tschechien meide. Für uns bleiben 130km Berge übrig, das reicht für den sogenannten Hobbysportler.
Wir sitzen im Bus, babeln ein bisschen und dösen. Draußen liegt noch dichter Nebel auf dem Boden, eine schwache Sonne strahlt hier und da eine Burg auf einem Berg an. Prag ist passiert, nun noch Wellen, Milleschauer-Gebirge, Teplice und Start.
Peng!! Ein Kanonenschlag mit anschließendem lauten Rumpeln reißt uns aus allen Träumen. Was war das? Ein Reifenplatzer? Unserem Fahrer bleibt auch nichts erspart. Er fährt in die erste Tankstelle und wieder heraus. Warum? Was ist los? In der zweiten bleibt er stehen. Aha, es war kein freier Platz an der ersten.
Er schraubt den hintern Zwillingsreifen des Busses ab und dann den zweiten: Ein Loch, groß wie zwei Fäuste, klafft darin, die Drahtseile im Gewebe hat es einfach zerfetzt. Das muss eine unheimliche Wucht gewesen sein, die so einen Reifen explodieren ließ. Das Profil ist aber noch sehr gut. Das Geheimnis des Knalls findet sich in der Seitenflanke: Der dürfte nicht zum ersten Mal runderneuert worden sein, der Gummi ist schon leicht rissig. Trotzdem ist ein Prüfsiegel drauf.
Ich verstehe nicht genügend von Autos, die anderen auch nicht alle. Uns interessiert vor allem, wie es mit dem Zeitplan aussehen wird. Der Wechsel geht relativ zügig vonstatten, doch über eine halbe Stunde dürften wir mindestens eingebüßt haben.
Endlich weiter, der Milleschauer kommt in Sicht. Seine Spitze kratzt in den Wolken - 836m, so hoch müssen wir jetzt. Ich habe sogar Hand- und Überschuhe mit, vor einer Woche waren die noch bitter nötig.
Es gibt noch mehr Abwechslung. Einer hat seinen Personalausweis irgendwo verloren und weiß nicht, wie er über die Grenze kommen soll.
Naja, und schließlich ist die Streckenbeschreibung falsch, wie ich gestern abend herausbekam. Das hätte heute früh eigentlich nochmals laut und deutlich angesagt werden müssen. Jürgen aus Berlin fährt schon los, also garantiert falsch. Aber er wollte sowieso nicht "richtig" fahren, nur jeden Tag woanders sein, wie er erklärte. Irgendjemand muss ihm auch erzählt haben, die Straße sei sehr schlecht. So'n Quatsch. Viele wollen heute sowieso anders fahren. Aber über wenigstens einen großen Berg müssen sie alle. Und die Nuttenmeile mit einem großen Laster nach dem anderen - ob das das Wahre ist?
Die Sonne drückt richtig, es riecht nach Gewitter. Bloß nicht auf der Hochfläche, dort kann es gefährlich werden! Auf dem Parkplatz taucht urplötzlich der dicke Tscheche auf, der uns auf der Hinfahrt so vorzüglich bewirtete. Und was hält er in der Hand? Den verlorenen Personalausweis! Peter Scheunemann und er haben offenbar klammheimlich organisiert, dass der Ausweis im richtigen Moment am richtigen Fleck wieder auftaucht. Ein Riesen-Hallo!
Wir fahren los, biegen links auf die 27 ein und "wellen" uns durch bis nach Hrob. Wir fahren genau ins Schwarze hinein, der Berg Burak (Stürmer) ist gerade noch zu erkennen. Hurra, die Markierung ist da, mein Tipp war richtig, es geht los.
Es geht aber sehr zivil los, nur 5%, eine sehr glatte Straße. Vielleicht wurde sie auch extra für die Friedensfahrt hergerichtet. Wir haben unterwegs nicht selten Kehrmaschinen gesehen auf der Strecke, viele Straßen waren frisch repariert. Und besser als unser derzeitiges Flickwerk. Diese Strecke hier scheint sogar total neu zu sein.
Die 5% sind gewiss eine Irreführung, denn wir fahren friedlich in einem tiefen Tal hoch. Oben kommen die Serpentinen, dort wird es bestimmt steil. Doch vorerst kommen keine Serpentinen, sondern Regen. Eine ganze Reihe von Leuten will sich unter die großen Buchen stellen und abwarten. Wer wie Eberhard und ich letztes Jahr den Supercup in Seifhennersdorf mitgemacht hat, weiß, dass Regen auch 180km lang anhalten kann - sehr stürmischer sogar. Der Regen hier ist senkrecht, nicht so stark und warm. Also weiter. Einige überholen mich oder fahren vorn weg, von denen ich das auch erwarte. Andere Leute, die eigentlich deutlich schneller solche langen Berge hochkommen müssten als ich, scheinen zu warten oder nicht die rechte Lust zu haben oder vorsichtig zu sein oder was weiß ich.
Ich fahre jedenfalls meinen Stiefel wie wohl die meisten im Moment. Nicht gerade gemütlich - 8% mit 14 km/h, 5% dazwischen mit bis zu 20 km/h. Kein Problem bei kurzen Wellen, doch nach 4-5 km Daueranstrengung sieht die Welt anders aus. Heute aber erstaunlich gut!
Die Serpentinen winden sich gleichmäßig nach oben, die Straße ist exzellent und um diese Zeit praktisch verkehrsfrei. Langsam begreife ich, daß wohl auch das ein völlig untypischer Berg werden könnte. Aber halt, jetzt kommt das Schild "12%". Nun haben bekanntlich alle Schilder in Nordböhmen diese Aufschrift, vermutlich wegen des Stammwürzegehaltes im Bier. Stimmt, mehr als 8% werden es wieder nicht, nur in einer Kurve kurz 12% - lächerlich. Unten sehe ich eine Gruppe fahren. Ob die mich einholen? Normal wäre es ja. Also einen Zahn zugelegt.
Fast hätte ich Christian noch vor der Bergwertung erwischt, ich hatte mich schon leise herangepirscht. Aber er fährt stärker, eindeutig. So werde ich vermutlich Achter. Übrigens gehört Christian auch schon der weißhaarigen Altersklasse an. Er zeigt aber noch ein paar Mal seine Klasse - andere bestätigen mir, dass er wirklich gut ist.
Für diesen Berg brauchte ich wirklich kein drittes Kettenblatt. Das dürfte der leichteste Anstieg von der Südseite sein, obendrein der angenehmste.
Auf der Höhe ist es viel wärmer als erwartet, ich kann in den kurzen Sachen bleiben; der Regen hat auch aufgehört. Einer kommt von hinten vorbeigebraust. Die Grenze passieren wir problemlos, den Ausweis will der Beamte allerdings sehen ...
Etwas wellig bis leicht bergig geht es hoch nach Neuhermsdorf und dann auf der Route, die Colmnitzer RTF-Teilnehmern gut bekannt sein dürfte, hinab zum Teichhaus und weiter bis Rechenberg-Bienenmühle. Etwa 400m Höhenverlust. Aber eine sehr lange, sehr schöne Abfahrt. Endlich ist diese Miststraße ordentlich hergerichtet, noch vor zwei Jahren hieß es dort höllisch aufpassen. An der geschlossenen Bahnschranke in Rechenberg treffen wir die erste Gruppe.
Die nächste Bergprüfung (Kategorie II), der Klötzerberg, ist RTF- und Supercupteilnehmern ebenfalls wohlbekannt. Ich sagte zwar, die 15% seien nicht ernstzunehmen, aber viele hatten offenbar doch etwas Bammel. Gut, der Berg hat 2km und ca. 260 Hm, allerdings nur einmal ganz kurz 14% und einmal etwas länger 13%. Ich fahre wieder meinen Stiefel. Oben eine lange Abfahrt über Cämmerswalde nach Neuhausen. Lutz aus Berlin schließt sich an; er kann bestimmt schneller fahren als ich, aber er will gar nicht. Er erzählt, dass andere vorn den Berg so hinabheizten, dass sie bald platt sein werden. Stimmt, wir überholen unterwegs ab und zu ein paar Plättlinge.
Die Bergwertung II nach Seiffen hoch ist kurz; ich erwarte sie deswegen recht steil. Auch hier täusche ich mich, es geht auf dem mittleren Blatt bis hoch, nur zum Schluss scheinen es 12% zu sein (genau kann ich es nicht messen, mein Lenker muss sich etwas verdreht haben, die Libelle zeigt jetzt vermutlich 5% zu wenig an. Das kommt selten vor; Hauptsache, man weiß es zu deuten).
In Seiffen große Reklame; Pulsschlag (ein Verein oder vielmehr Sportladen, bekannt u.a. für seine überteuerten RTF's) veranstaltet heute einen großen Bergsprint auf diesem Abschnitt - bestimmt nicht umsonst. Ein großes Spaßbad ist da, eines von viel zu vielen in Sachsen. Wimpel an der Straße wie in alten Zeiten - fein, nur wäre in der anschließenden scharfen Rechtskurve ein Strohballen viel wichtiger gewesen! Das ist wirklich kreuzgefährlich! Solche krassen Widersprüche fallen mir im Erzgebirge leider immer wieder auf.
Vor Olbernhau Buffet, wir sehen noch die Gruppe vor uns (die ersten?). 50km haben wir hinter uns. Ich esse erst einmal gründlich, denn wer weiß, ob es noch einmal etwas gibt. Im Plan ist ein zweites Buffet nach der zweiten Kategorie-I-Bergwertung vorgesehen. Doch Plan ist Plan, und Tour ist Tour. - Wie immer ist das Buffet sehr lecker. Neuerungen des Jahres sind: Tschechische Hörnchen mit Fleisch und Salatblatt sowie etwas Remoulade drin, Marmeladenschnitten mit Gummibärchen (das ist der Clou!) oder auch Sonnenblumenkernen; Pflaumenmussemmeln, auf die ich eine Scheibe Käse lege, was mir Erikas offenes Misstrauen einbringt. Hm, nie in der Slowakei gewesen?
Lutz und ich bleiben zusammen. Olbernhau, Pockau - kilometerlang bergab. Ich spende gern Windschatten; bis jetzt lief es ja sehr gut und viel leichter als gedacht. Typische Geschwindigkeit: 35 km/h.
Nach Pockau gehen die besseren Anstiege los, teils sogar im Höhenprofil vermerkt. Typischerweise 10% bergan, eine Welle nach der anderen, insgesamt etwas steiler als in Südböhmen. Zwischendurch überholen wir Plättlinge sowie Eberhard, einen der vielen "Andersfahrer". Nach 80 km sehen wir links Karle mit einer Reifenpanne basteln. Ich helfe mit meiner Pumpe. Wie oft versagte schon bei anderen die Luftpumpe, und ich musste mit meiner kraftsparenden Doppelkolbenpumpe aushelfen. Karle ist übrigens sehr stark, er dürfte einen ziemlichen Vorsprung gehabt haben. Klar ist er älter als ich; es ist ja schon kurios, dass ich bisher mit einem Jüngeren (Lutz) fuhr ...
Wir sind gerade fertig, als ein Tross mit Scheunemann-Auto kommt. Krisensitzung! Wir sind zu spät dran! Die zweite schwere Bergwertung müssen wir wohl auslassen. Die Rechnung ist ziemlich eindeutig, schweren Herzens heißt es ja sagen. Ich kenne mich am besten aus in der Gegend (jedenfalls im Groben) und soll die Gruppe durch eine Abkürzung führen.
Nach Waldkirchen stürzen wir lang und steil ins Zschopautal hinab. Links zeigt endlich mal ein Pfeil hoch nach Krumhermersdorf. Schade, geht nicht mehr. Geradeaus über die Brücke hinweg geht es wieder steil hoch, und siehe da, erwartungsgemäß der nächste Pfeil, den die Profis nach Absolvierung der schweren Prüfung sehen werden. Meine Führungsaufgabe ist erledigt, ich darf mich wieder dem Bolzen widmen. 12%ig geht es los, viele haben sich verschaltet. Auch ich musste erst einmal im Stehen auf das mittlere Blatt gehen. Die Rampe ist kurz, da brauche ich kein kleines Blatt. Der Rest des langen Berges ist flacher als erwartet, so 8% bis max. 10%, am Ende nochmals 12%. Christian, mit dem ich zusammen fuhr, bleibt zurück. Rechtskurve. Die anderen zweifeln, aber ich kenne die Strecke, und das Scheunemann-Auto steht auch schon dort. Vorn sprintet Karle mit einem anderen wie wild um die Bergwertung. Das sind noch locker 1000m, steiler, als sie aussehen. Haha, ein Bagger versperrt die Weiterfahrt, Rennen neutralisiert. Kaum sind die zwei vorbei, geht die Jagd wieder los. Da komme ich nicht mit, ich begnüge mich mit meinem sicheren dritten Platz.
Genussvoll rauschen wir steil von Witzschdorf nach Dittersdorf hinunter. Die Strecke ist eng, es gibt Gegenverkehr, ich stelle nicht wie einige wenige neue Geschwindigkeitsrekorde auf. Unten habe ich die Meute sowieso wieder ein. Jetzt wird richtig gerast. Ein Bluff-12%er - nur 10 Höhenmeter - hält keinen auf, aber an solchen Rämpchen mache ich Plätze gut. Jaja, der Ehrgeiz scheint jetzt bei allen da zu sein. Ständig wird neu gesprintet, 35 km/h ist schon langsam.
Erdmannsdorf, links hoch, letzte Bergwertung! Kategorie II, aber lang. Au, tut das weh. Einige fallen zurück, ebenso bleibe ich hinter anderen hoffnungslos zurück. Die Steigung geht so bis 8%, ist aber endlos. Ich schwitze trotz der kurzen Sachen und des sehr trüben Wetters wie verrückt. Rolf, mit dem ich letztes Jahr so schön sprintete (und der in den 60ern mal gegen Täve Schur im Sprint gewann), kämpft wie immer verbissen, ich komme nicht heran (manchmal schaffe ich es). Sein hellgrüner Windstopper entfernt sich ganz langsam. Auch Ernst im Telekom-Trikot auf dem Wesemann-Rad zieht vorbei. Ich hefte mich optisch an sein Trikot. Der Schweiss rinnt mir in die Augen, ich kann kaum noch etwas sehen. Jetzt weiß ich endlich, wozu diese rosa Trikots gut sind, Ernst kann ich noch ausmachen.
Endlich ist die Quälerei zu Ende, oben Treff 10km vor dem Ziel. Ha, die anderen sehen aber auch nicht gut aus. Schweißperlen an der Nase, Flecken im Gesicht, gebückte Haltung. Ich hätte augenblicklich die Kamera zücken und fotografieren sollen - mit Teleobjektiv. Drei Minuten später ist das Schlimmste schon vorbei.
Seit der Grenze keine Pfeile mehr (mit einer Ausnahme im Zschopautal), keine Schilder, nur immer wildere Autofahrer. Ein Chemnitzer warnt uns immer wieder vor dieser Strecke, hier seien schon viele totgefahren worden.
Endlich kommen weitere versprengte Truppen. Ein Wunder, dass sich so viele Leute auf so vielen Strecken zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort treffen, meint auch Peter Scheunemann. Mit seinem "Leitgolf" - ohne gelbe Rundumleuchte, dafür mit winkender Hand und Blinklicht - geht es nach Rom, Verzeihung, nach Chemnitz. Aber die Verkehrsverhältnisse in dieser ach so wunderschönen Stadt werden wohl eines Tages römisches Niveau erreichen, wenn das so weitergeht. Vorerst genießen wir jedoch das ulkige Gefühl, dass Ampeln immer dann rot werden, wenn wir heranfahren. Und es gibt schier unglaublich viele Ampeln in dieser phantastischen Stadt. Auch der Straßenbelag bietet geradezu mordsmäßige Abwechslung. Den größten Mordsspaß bereiten allerdings die Autofahrer selbst. Rasen, Lückenspringen (warum nur seitlich und nicht von oben?), Bremsen, ungeduldiges Hupen, überall Stau. Alte Häuser, vieles noch so, wie ich es vor 30 Jahren in der Oberschulzeit erlebte. Endlich die Zielgerade, 180 Grad Wendekurve, eine total verunglückte Einfahrt, keiner nimmt Notiz. Irgendwie alles in Auflösung! Man beschließt, die Einfahrt der Profis nicht abzuwarten. So ein Mist. Ich kenne mich nicht mehr aus, wir müssen noch nach Oberrabenstein. In diesem Verkehr fahre ich nicht allein hinterher. Also der Gruppe nach.
Der Leitgolf bleibt wie alle anderen Vierräder sofort in einem hoffnungslosen Stau stecken. Es geht überhaupt nicht mehr vorwärts. Das hat nichts mit der Friedensfahrt zu tun, das ist hier immer so in der Rush Hour. Wir Radfahrer suchen uns einen halblegalen Weg rechts davon. Einer kennt sich aus und wird uns führen.
So schlimm wie in Rom ist es bei weitem nicht, aber es reicht. Enge Straßen, nur rote Ampeln, durchgeknallte Autofahrer, Staus, Gestank, Lärm, öde Straßen bis zum Gehtnichtmehr ... einfach verheerend! Mit der Arbeit sieht es hier ähnlich aus, weiß ich aus anderen Quellen. Wen wundert's, dass die Einwohnerzahl seit der Wende von 300.000 auf 200.000 geschrumpft ist. Frühmorgens sind ganze Straßenzüge dunkel, wie ich auf Busfahrten bemerkte.
Der Campingplatz Oberrabenstein trägt seinen Namen zu Recht - er liegt wirklich oben, es geht nochmals ein paar Berge hoch (nach meiner Messung 125 Hm ansteigend). Wir schlafen in kleinen Bungalows zu zweit, bis auf eine Glühlampe ohne fließend Strom. Der Waschraum wimmelt von Verbotsschildern. Zu spät schlug meine Frau zu Hause vor, ein weiteres darunterzuhängen: Bei Zuwiderhandlung wird ohne Anruf geschossen.
Jaja, wir sind wieder daheim, ich fühle mich wohl.
Es folgt der obligatorische Grillabend. Gegrilltes ist bekanntlich nicht gerade die geeignete Radsportnahrung, aber das haben wir schon immer so gemacht (ich kenne es von vor 2 Jahren) und machen es auch weiter. Büchsenbier finde ich eklig, vor allem, wenn man Nicht-Biertrinker ist und vorher tagelang ausgerechnet mit echtem Budweiser verwöhnt wurde.
In Olbernhau gab es einen Unfall. Auch Lutz und ich fuhren die Sprintwertung, ohne Sprint, aber wenigstens die Originalstrecke. Dazu mussten wir in verkehrter Richtung durch eine Einbahnstraße (der Polizeipräsident möge Nachsicht mit uns Sündern haben). Am Ende kam eine Hauptstraße, wo wir wirklich erst einmal abbremsen mussten. Genau das hatte einer von uns nicht getan, der in einer Gruppe mitsprintete. Er kollidierte mit einem Auto. Sein Gesicht sah aus, als wäre er durch die Frontscheibe gegangen, aber es lief noch einmal halbwegs glimpflich ab. Was mit dem Fahrrad wurde, weiß ich nicht, doch der Unfall bedeutete das Ende der Tour für ihn. Man darf die StVO eben nicht vergessen, selbst wenn in der Ausschreibung noch vor zwei Jahren "auf gesperrten Strecken" stand. Programm ist Programm, und Tour ist Tour. Wir haben der Polizei versprochen, ab jetzt an Ampeln zu warten.
Der tschechische Busfahrer bringt das Gepäck zum Platz. Es war nicht so geplant, offenbar sollten die drei Begleitautos den Transport übernehmen. Einige riesige Radtaschen verhinderten dies. Das machte ca. 250 EUR extra. Wer bezahlt die? Wir werden es sehen. Dumm von den Teilnehmern, die wussten, dass wir einen Fahrradhänger haben und keine Taschen brauchen; dumm vom Veranstalter, der keine Gewichtsbegrenzung und keinen Hinweis in die Ausschreibung aufnahm; besonders dumm, dass wieder alles erst im letzten Moment geklärt wurde. Es ist immer alles ganz knapp und gerade noch mal gut gegangen. Wann geht es mal nicht gut? Man sollte sein Improvisationstalent nicht übermäßig ausreizen.
Diesmal werden die Taschen gesondert von Chemnitz nach Hoyerswerda transportiert.
Die Runde über Krumhermersdorf wäre übrigens doch drin gewesen. Ohne Panne hätten Lutz und ich sie wie andere vor uns sowieso gefahren. Vier Mann haben die Originalstrecke kennengelernt und erzählten, der Berg sei endlos lang gewesen mit sehr schlechtem Straßenbelag und oben sehr steil. "Sehr steil" hätte ich gern genauer gewusst, doch Schätzungen sind nicht viel wert - Christian wollte die kurzen 12% vor der vorletzten Bergwertung z.B. zu 15% machen. Das hätte ich mit dieser Übersetzung garantiert nicht mehr so gut getreten.
Bei der echten Friedensfahrt hat es zwei Ausreißer gegeben: Piotr Przydzial von CCC Polsat und ein Tscheche. Beide sollen Hand in Hand über die Ziellinie gefahren sein. Nach Reglement hätte das die Disqualifzierung bedeutet, aber es ist sehr löblich, dass die Jury ein Auge zudrückte: Die Geste ist geradezu symbolisch für dieses Rennen, das ursprünglich zwischen Polen und Tschechien ausgetragen wurde; die DDR kam erst nach Jahren und Vorbehalten hinzu. Auch wenn derzeit ringsum nur deutsche Reklame zu sehen ist.
5.Etappe (14.5.): Chemnitz - Riesa: Rennen und Genießen
128 km, 24.6 km/h, 1430 Hm
Früh ist sehr schönes Wetter, die Luft fühlt sich angenehm lau an. Ich befürchte sogar eine Hitzeschlacht. Ich bin grausam verquollen, die Augen sind immer mehr gereizt. Das kann die dauernde Anstrengung sein, ein massiver Pollenbeschuss (meines Wissen habe ich keine spürbare Allergie), eine unterschwellige Erkältung - etwas Husten kam in der Nacht - oder der ewige Fahrtwind trotz Brille (wir hatte ja auch sehr viel Seitenwind). Aber sonst geht es mir gut - Knie, Rücken, Hintern, Beine, Hände, Nacken: Alles in Ordnung.
Die Profis müssen heute von Zwönitz aus ins Erzgebirge und den abartigsten aller Berge, den ich bisher fuhr, gleich zweimal absolvieren: Den Teufelsstein bei Bernsbach, am Ende mit 1km pausenloser, 18%iger Steigung bei miesem Kleinkopfpflaster (vorher 14%, 10%, 14% auf 2km). Zwei von uns haben voriges Jahr dort nicht geschoben, wahrscheinlich Christian und ich (ich mit 26:24 Übersetzung, und trotzdem musste ich einmal anhalten). Ich bin überhaupt nicht böse, dass uns diese Quälerei erspart bleibt, auch wenn wir den Berg diesmal frischer angehen würden als letztes Jahr.
Es bleibt uns aber die Augustusburg vom Zschopautal aus, vom Fluss bis hoch in den Burghof. Das soll fett sein, versicherte mir Mitfahrerin Mary, dort kommt beim MTB das Vorderrad hoch.
Vor dem Vergnügen kommt jedoch die Arbeit, und die heißt heute: Ausfahrt aus Chemnitz. Peter Scheunemann hat früh eine neue Strecke erkundet, nicht durch die Stadt wegen des irren Verkehrs (Eberhard meinte: "Ich muss nicht nochmal in diese Stadt, 5 Jahre TU Chemnitz reichen mir!" - Mir zwei :-) Er ist sichtlich beeindruckt, was sich früh auch dort "draußen" noch so abspielt.
Die inzwischen "beruhigte" Fahrt konfrontiert uns mit rücksichtslosen Autofahrern, die sich derart im Lückenspringen übten, dass ich schon an Meisterschaften im Slalomfahren glaube. Immer wieder jaulen links von uns Motoren laut auf. Man überholt sich gegenseitig äußerst riskant und schert manchmal erst knapp vor dem Gegenverkehr ein. Wie hoch ist hier bitte die Arbeitslosigkeit? Ich sehe da einen Zusammenhang.
Die zweite besondere Freude ist Wilma im Auto vor uns. Zwischen 10 km/h und 40 km/h ist bei ihr alles drin, unabhängig von der Steigung. Wie schnell wird sie wohl als nächstes fahren? Trotzdem klebe ich lieber an diesem Auto, als in solchem Verkehr abgedrängt zu werden. Die Gruppe hängt öfter hinten. Ich fühle mich in der Nähe der Stoßstange sicherer. Einmal in Rom gewesen, für immer geheilt.
Die Strecke ist recht bergig, abwärts wird schnell gefahren, bis Tempo 65. Klar, dass die Autos links von uns nur so vorbeiflitzen. Es geht leicht abwärts bis Erdmannsdorf. Offenbar bin ich mit vorn, denn die anderen ringsum treten in die Pedalen, als wäre der Rest der Strecke flach. Die Orientierung fällt oft nicht leicht, denn kein einziger Pfeil ist zu sehen. Das passt auch prima zum ganzen anheimelnden Ambiente, das uns seit gestern nachmittag umgibt.
Und schon geht es hoch zur Augustusburg. Eine ganz normale Serpentinenstraße, so bis 8% (mein Lenker ist inzwischen festgeschraubt, die Libelle stimmt wieder :-). Der Berg ist lang und gut zum "Aufwärmen". Sonst fahre ich so etwas langsamer, aber die anderen machen mich natürlich auch verrückt. Nicht zuletzt bin ich hier, um mich mal so richtig auszureizen. Man braucht beides - allein gegen sich selbst fahren und mit den anderen heizen. Aber nicht zu oft. Ist ja nichts Neues, das findet sich in jedem Lehrbuch.
Solche Gedanken habe ich beim Berganfahren natürlich nicht. Ich fahre 36:24 mit ca. 14 km/h, also knapp 80er Kadenz. Die Wattzahl mögen andere ausrechnen; als Bruttogewicht inklusive Rucksack und Bekleidung darf man momentan wohl 93-95 kg ansetzen (bei 8% Steigung).
Im Ort Halt, denn es gibt wie immer keinen Pfeil. Fragen hilft nicht allzu viel. Die Leute sind wohl nett, doch wo die Friedensfahrt langgeht - äääh ... Einer kennt den Weg hoch zur Burg. Neues Kalksandsteinpflaster wie auf hochmodernen Radwegen ;-), mittelsteil. Rechtskurve, Kleinkopfpflaster mit großen Fugen, sehr steil, jetzt geht's los! Schnell das kleineste Blatt aufgelegt, erst einmal 26:21 und schneller getreten. 13%, 14%, es rattert ziemlich. Zwischendrin eine Fernsehkamera; möglicherweise filmt man mich - wer nimmt das jetzt noch wahr. Linkskurve, grobes Pflaster, noch einen Tic steiler, so an die 15%, das Burgtor naht. Hinter mir ackert einer. Ich ackere auch. Nein, jetzt will ich mich nicht mehr fangen lassen. Hechelnd, immer schneller tretend hinein in den Burghof. Ich müßte etwa der Vierte sein. Völlig ungewohnt für mich schweren Brocken.
Wie schön, dass die anderen auch nicht gerade locker-luftig aussehen. Ernst hat die Farbe seines Telekom-Rades angenommen (mit starkem Braunstich), das Rad ist aber deutlich trockener. - Eigentlich sollte hier Sammeln sein. Nur war vor der Burg eine Schranke, da kommt das Auto nicht durch. Auch fahren nicht alle über die Burg. Ich ziehe mir ein Unterhemd an, denn es ist deutlich kühler geworden.
Die Leisten für den Sprintbereich sind schon aufgestellt, also geht es offenbar zu diesem Tor wieder hinaus. An der Mauer wird gerade eine Matratze aufgestellt (aha! Hier denkt man mit!), folglich nach links. Rechts erkundet einer eine Sackgasse, links hält uns eine rote Ampel auf. Ich fotografiere die Gruppe zusammen mit einem Schild "Und wohin jetzt?". Unter der Ampel steht vorsorglich "Lange Rotphase", doch auch diese geht zu Ende. Hinab, und nun? Links? Rechts? Ja, wohin jetzt? Die Leute wissen auch nichts, aber wo Flöha liegt, das wissen sie. Also auf nach Flöha.
Wir fahren eine stressige Bundesstraße, oft sehr flott. Vor allem Christian macht erstaunlich Tempo. Unsere alten Cracks meinen, die ganze Tour sei wirklich keine Jedermannfahrt mehr, das sei überhaupt nicht gemütlich, sondern öfters wie Wettkampf. OK, das ist mir Recht als typischer Alleinfahrer, das brauche ich mal.
Die Orientierung bleibt schwierig, die Symbole auf der Beschreibung sind manchmal unklar, die Strecke wird am Abend vorher auch nicht genau erklärt. Wir verpassen so die Bergwertung in Döbeln. Die Hauptschuld tragen trotzdem die fehlenden Pfeile. Welch ein Unterschied zu Tschechien! Allerdings - wir sind verdammt zeitig losgefahren. Musste das sein? Wegen gestern? Ich hätte es mir selbst ausrechnen können. Aber so gut kannte ich die Strecke auch wieder nicht. Ich habe nicht schnell genug geschaltet, ebenso wie die anderen, als der Plan bekannt gegeben wurde.
Ein kräftiger Rückenwind heizt das Tempo noch mehr an. Durch die ziemlich hohe Geschwindigkeit (ich wüßte gern den Schnitt auf der B 169!) regt mich der starke Verkehr nicht so auf wie sonst. Schön ist es trotzdem nicht. Mehr Sport als Genuss. Nach 60km das Buffet.
Vor Ostrau sollen wir rechts abbiegen in die Lommatzscher Pflege (ein sehr großes landwirtschaftliches Gebiet, daher der Name) und eine Extra-Runde drehen, damit die Tour nicht zu kurz wird. Schön. Zwar bin ich dort schon einmal mit dem Rad durchgefahren und war nicht so begeistert, doch das kann subjektiv sein.
Nur: Wo ist "vor Ostrau"? Wir biegen rechts ab, fragen ein paar Mal, fahren Wellen bis zu 10% Steigung durch recht angenehmes Gelände. Ich revidiere mein Urteil über die Lommatzscher Pflege. Der Rückenwind treibt sogar noch mehr. Wir müssen aber noch zurück. Vorgesehen ist eine Weiterfahrt ab Ostrau.
Das Gerangel um Plätze geht wieder los. An einer steileren Welle höre ich hinter mir ein Geräusch. Aha, da will einer zuerst auf die Kuppe. Nicht umdrehen, sich nichts anmerken lasen, dafür im richtigen Moment ein flotter Antritt, und ich bin mit ein paar Metern Vorsprung oben. Das war wohl Karle. Wir nähern uns dem schweigsamen Rainer. Karle: "Los, den schaffst Du!" - "Nein", meine ich, "wenn der antritt am Berg, habe ich keine Chance." Karle vor, lautlos, und schon ist er vorbei (Karle dürfte übrigens 20 Jahre älter als Rainer sein). Das war der Überraschungseffekt. Am nächsten Berg ist Rainer gewarnt, und Karle guckt in die Röhre, wie ich es ihm prophezeite.
Wir sind viel zu schnell, viel zu zeitig. Nach einhelliger Meinung eines harten Kerns suchen wir uns jetzt ein Eiscafe. Das gibt es garantiert in Lommatzsch, in den anderen Orten ist nach Aussagen der Einwohner nichts los (so sieht es oft auch aus). Der Eis-Drang läßt uns ahnungslos eine vorgesehene Spitze im Weg abschneiden. In Lommatzsch fahre ich zum Glück gerade als erster, als ich ein Schild "Cafe Picasso" sehe. Wo gehört ein Friedensfahrer unter dem Symbol der Friedenstaube denn hin, wenn nicht ins Cafe Picasso?! Meine Schulter hängt jetzt noch ganz schief, so habe ich mir darauf geklopft. Das Cafe ist nämlich ein Volltreffer. Sehr gut eingerichtet, sehr preiswert, große Auswahl, freundlich. Einige essen erstmals auf dieser Tour die obligatorischen Spaghetti mit viel Käse. Die Portionen sind so groß, dass sie nur mühsam alle werden. Das will etwas heißen bei unserer Vorgeschichte. Mein Großhirn befiehlt mir die Bestellung eines Schokoeisbechers und eines Capuccinos. Auch dies ein Volltreffer. Herrje, kann Radfahren einen Spaß machen.
Es ist warm geworden, ich kann das Unterhemd wieder ausziehen. Bei Gegenwind geht es halbwegs richtig auf schöner Route zurück zur B169. Wir fahren nicht schnell, aber die anderen haben offensichtlich einen noch viel volleren Magen als ich und bummeln regelrecht. Da fahre ich eben ein paar Hundert Meter vornweg und suche den Weg. Der schöne Schnitt. Erst kämpfen sie wie die Stiere, nun wird der ganze Erfolg versaubeutelt. Nein, diese Radfahrer.
Endlich kommt Chaos in die Restordnung. Wir treffen woanders auf die B169 als vorgesehen (abgekürzt!), Pfeile sind keine da, aber andere Fahrer tauchen auf einmal auf. Jeder ist anders gefahren, jeder sitzt in einem anderen Cafe. Ein Teil soll schon im Ziel sein. Wo eigentlich Treffpunkt sein soll, wenn die 10km-Marke noch nicht aufgestellt ist: unklar. Anruf per Handy: Wo seid Ihr? Breites Grinsen, Christina zeigt nach vorn. Wir sitzen auf und fahren 500m weiter. Aha, da finden sich noch ein paar Versprengte. Da unten im Cafe sitzen Siggi und andere. Nein, Peter, Du brauchst nicht hinzugehen, der Manni ist schon unterwegs. Wir fahren los! Halt, halt, wir sind noch nicht alle! Entwarnung! Es geht doch los! Primaaa!
Scharfer Rückenwind, leicht bergab, da sollte man schon mit 25 km/h fahren. Volker und der Pirat rufen: "Nutzt doch den Radweg!" Stimmt, da ist keiner auf diesem schönen Asphaltband, vor allem kein Schwerlastverkehr. Ha, so wird der Leitgolf zu höherem Tempo gezwungen :-) Aber die anderen hinten bummeln. Immer noch satt?
Die logische Fortsetzung des bisherigen Ablaufs besteht darin, dass wir in Riesa aus dem Zielbereich wieder herausfahren. Die letzten werden die ersten sein, das Auto kann gar nicht mit. Und ich habe meinen Rucksack noch auf. Prompt wird das vom Animator dumm kommentiert (der Kommentar ist wie immer unter aller Sau, in Tschechien hätte ich ihn wenigstens nicht verstanden). Und wir haben noch sooo viel Zeit. Es gibt aber schöne Videowände, wir können am Telekom-Stand alles recht gut verfolgen (die mdr-Videowand bringt nur den Moderator-Ton zu den Bildern und auch viel Müll zwischendurch). Unsere alten Haudegen unterhalten sich wieder mit diversen bekannten Persönlichkeiten des Radsports (Andreas Petermann ist z.B. ein guter Bekannter von ihnen), es wird nicht langweilig. Milram-Molkedrinks werden verteilt; wir trinken soviel, dass wir langsam zu Bodybuildern mutieren müssten.
Endlich kann ich das Begleitheft zur Friedensfahrt mit vielen interessanten Daten und Informationen kaufen. Als Autor weiß ich, dass der Preis von 2.50 EUR nur symbolisch ist - entscheidend ist der Anteil der Reklame dabei.
Ausgerechnet in der "Sportstadt Riesa" ist die Zuschauerresonanz dürftig. Es ist sehr anerkennenswert, wie sich die Initiatoren in der ehemals zweithässlichsten Stadt der DDR (nach Weißenfels) um ihren Ort bemühen - er sieht inzwischen schon um Größenordnungen besser aus -, aber zur Friedensfahrt haben sie zu wenige mobilisieren können. Das war in Zwönitz ganz anders, und auch Hoyerswerda wird Zuschauerrekorde schlagen.
Viele wohnen im Bootshaus direkt an der Elbe. Das Quartier ist sehr fein, das Essen auch, wir sind zufrieden. Leider wollen viele heute schon abspringen. Ich weiß nicht warum, doch dadurch geht ein von Dieter aufwändig organisierter Transport in die Brüche. Dieter ist sauer, andere sind sauer, man druckst herum, streitet sich. Die Stimmung ist etwas gedrückt. Ich sehe nicht durch, denke aber daran, dass vorgestern bei der Stadtrunde in Hradec Kralove einige über den "Kindergarten" spotteten ...
Wie gesagt - die alten Männer erzählten mir doch immer wieder, dass man seine Eigenheiten bekommt. Nehmt sie, wie sie sind, sie haben trotzdem noch einen goldigen Humor, jedenfalls die Jungs vom ACL.
Ich gehe nochmals an die Elbe. Ein warmer Wind weht kräftig von West. Morgen wird es eine feine Fahrt gen Osten. Der Mond hängt tief als Sichel am Himmel, gleich daneben die Venus und darüber wohl der Jupiter. Schlagt Euch nicht die Köpfe ein, Leute, die Fahrt ist trotz allen Chaos doch herrlich und ein Riesenerlebnis. Genießt sie - soviel wie in diesen sieben Tagen erlebt man doch sonst in einem ganzen Monat nicht. Vor allem nicht, wenn man faul am Strand liegt (das könnte ich nicht).
Peter Scheunemann gibt die Teilnahmeurkunden aus sowie ... das Begleitheft zur Friedensfahrt. Schön, aber das hätten wir so gern schon am ersten Tag gehabt. Damit hätten wir auch die Streckenführung viel besser verstanden.
94km/137km/227km, 31.4(33.0)/30.0/28.2 km/h, 400/1050Hm
Heute gibt es früh ein Mannschaftszeitfahren, das die Polen eindeutig dominieren. 14.30 werden die Profis mit Rückenwind gen Hoyerswerda starten. Diese Etappe ist wirklich flach. Zwar fahre ich allein keine Bundesstraße, doch die einzigen Hügel bzw. Berge bei Kamenz und Königsbrück kenne ich. Und Rückenwind, heissa, das wird fein.
Nur warum wir schon 9.00 starten sollen, verstehe ich nicht. Im Plan stand: Wir sehen uns das Mannschaftszeitfahren an, aber nicht bis zum Ende. Kein Wort mehr davon. Ich war nicht dabei, als die Organisation besprochen wurde, aber es hat schon keiner mehr etwas gesagt. Ist ihnen das bereits egal?
Das Wetter ist schön, der Rest-Haufen (ca. 20 Leute) findet sich an der Brücke. Halt, halt, wir sind noch nicht alle - nein, wir sind doch schon alle - die ersten sind schon vorn - am Ende bilden wir wieder eine lange Zweierreihe. Einrollen. Schön, aber warum wieder so langsam? Bei dem Rückenwind?
Ich will mich sowieso "abmelden". Um die Zeit auf angenehme und sportliche Art totzuschlagen, hat Peter eine schöne Runde ab Kamenz über Elstra eingebaut. Die kann ich nur empfehlen (sie gehört nicht zur Originalstrecke). Aber ich werde sie nicht fahren, denn das Vergnügen habe ich heute später. Mary rief gestern abend an, dass sie und Frank heute doch nach Hoyerswerda kommen können, um die Etappe live mitzuerleben. Da könnten sie mich eigentlich gleich mit nach Hause nehmen, doch sollen sie sich lieber auf meinen Rucksack beschränken: Ich möchte bei dieser Form und diesem Wetter lieber selbst nach Hause radeln. Das geht zwangsläufig auch über den Kälberberg bei Elstra. Insgesamt wird das ein sehr schönes Zeitfahr- und Härtetraining. Im Juni erwartet mich beim Staffeltriathlon in Moritzburg ein welliges, windgefährdetes 180km-Zeitfahren, da kann ich gar nicht genug vorher machen.
Nach 10km und satten 22.2 Schnitt bin ich auch satt, fahre vor zu Peter, sage den anderen, dass sie mich nicht unbedingt jagen müssen, und fahre dem Wind entsprechend davon: So, dass es auf 90-100km bis Hoyerswerda ein anständiger Schnitt wird, und dass die Kraft noch für mehr als 200km am Ende reicht.
Hei, das geht fein. Es ist noch wenig Verkehr, die Wellen sind kaum spürbar, nicht selten erreiche ich 44 km/h ohne besondere Anstrengung. So schön kann kräftiger Wind sein, wenn er endlich mal von hinten bläst. An den flachen Bergen von Königsbrück und Kamenz nehme ich das Tempo etwas heraus, um ja nicht zu versauern. Den Sprint in Königsbrück fahre ich ab, auch wenn ich mich dabei schon wieder in einer Einbahnstraße versündigen muss. Einige Leute feuern mich an. Bei Koitsch, kurz vor meinem Stamm-Halt bei Theos Bistro, habe ich den Buffet-Wagen eingeholt. Erika spielt auf empört: "Aba nee, det kann doch nich sein! Jetz gibts noch nischt! Hier haste was für Deinen Rucksack!" - und will mir eine viel zu große Schachtel mit Käsesemmeln einpacken. Dafür ist mein Campingbeutelchen zu klein. Ich esse eine Semmel und packe mir vier Riegel ein. Einen Apfel steckt sie mir noch zu.
Vor Hoyerswerda wird der Verkehr unangenehm, es ist wirklich nur noch Sport auf dieser Straße, kaum Genuss. Die Polizisten an der Einfahrt zum Zielbereich sind sehr nett: "Wollnse das schon mal abfahren?" Na klar. Ich erkläre grob, dass die anderen später kommen. Auf der kurzen Strecke bereits erste Anfeuerungsrufe. Von wegen Saupreißn.
93.75km bis ins Ziel, 31.4 Schnitt. Wenn ich aber die 10km Bummelei am Anfang abziehe, komme ich auf 33.0 Schnitt. Oi, so schnell war ich noch nie allein auf längerer Strecke, aber ich hatte auch nie so schönen Rückenwind. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass doch 400 Hm zusammenkamen und der Wind auch mal von der Seite und sogar etwas von vorn kam (oder fehlte). Also - getan habe ich schon etwas dafür.
Verpflegung: Eine halbe Käsesemmel, ein Apfel. Und 1/2 Liter getrunken. Noch vor zwei Jahren wäre ich damit glattweg zusammengebrochen.
So, es ist 11:52 Uhr, die Profis kommen frühestens 16.30. Ich schicke erst einmal eine SMS an Siggi (ob er sie gelesen hat? Antwort kam keine) und mache mich dann auf eine geplante Erkundungstour zum Senftenberger See. Es ist kalt und dunkler geworden, ich ziehe mich wärmer an. Zieleinfahrt zurück, Kommentare: "Nanu, erst in Gelb, jetzt in Grün?" Es beginnt etwas zu regnen, aber warm und nicht lange. Ich biege von der B96 rechts ab nach Seidewinkel und fahre eine sehr schöne, leider nicht ganz ruhige Straße durch den Wald bis Geierswalde. Der Name ist Programm: Im Gleitflug segelt ein Raubvogel neben mir eine ganze Weile her. Ich teste sein Tempo: 25 km/h. Ansonsten komme ich gegen den Wind noch deutlich schneller voran.
Weiter nach Großkoschen. Vor der B96 hauen mich 200-300m garantiert echtes Brandenburger Ur-Feldsteinpflaster um. Normalerweise helfen 35 km/h auf diesem Gelände. Hier hat jeder Stein eine andere Höhe. Das ist zu fett. Da war Hradec Kralove noch besser! Ein Stück am Rand, ein Stück in der Mitte, das Rad tanzen lassen, aber nicht zu sehr - sonst fällt es auseinander. Schade, das einzige miese Stück auf der ganzen Tour.
In Großkoschen zweige ich zum Senftenberger See ab (kurz vor dem Ortsausgang rechts) und sehe mir das Meer von Nahem an. Ein breiter Sandstrand, Wellen, Kiefernwald - wie Ostsee. Rechts ein Schild "Textilstrand". Keiner zu sehen. Da brauche ich den anderen Strand auch nicht zu suchen.
Ich rieche einen guten Radweg hinter dem Parkplatz und finde ihn auch. Er schlängelt sich vollkommen einsam in Seenähe durch den Wald und ist teils so glatt, dass ich kein Rollgeräusch mehr höre, wenn der Wind gerade einmal einhält. Die eine Frau, die ich überhole, muss ganz schön erschrocken sein ... Es geht an einem vielleicht 30m hohen Aussichtsturm vorbei, später an verschilften Ufern und ruhigen Seitenarmen des Sees. Bei Niemtsch komme ich wieder auf eine Straße. Laut Karte kann das zwar gar nicht sein - ich hätte über Wasser fahren müssen - aber ich bin trotzdem dort. Nun südwärts über Peickwitz und Hosena nach Lauta, das fast so schön wie Chemnitz ist. Vor vier Jahren absolvierte ich hier 180 sehr schmerzhafte Kilometer beim gleichen Wind wie heute, allerdings kam der Wind damals von vorn. Und es gab hier Mietwohnungen ab 4 DM pro Quadratmeter (ich vermute, die werden bei Vermietung ausgezahlt). Das Schild ist weg, einige Häuser sind restauriert, aber Mieter werden noch gesucht. Vermutlich auch Arbeitsplätze.
Ich bleibe auf der B96 und rolle zurück nach Hoyerswerda. Die etwas vollschlanke (das ist nicht spöttisch gemeint) Polizistin steht noch da - nein, unsere Leute sind noch nicht hereingefahren. Es ist schon 14 Uhr! Als sie hört, dass ich vom Senftenberger See komme und noch nach Dresden will, fällt sie fast um. Die Extra-Runde war tatsächlich 54km lang. Aber schön, und ich kann jetzt neue Tourvarianten planen. 148km stehen auf dem Tacho, der Schnitt steht noch bei genau 30.0 km/h. Das ist schon etwas fairer.
Frank und Mary kommen 5 Sekunden nach mir mit dem Auto an. Das ist Perfektion. Sie sahen mich noch einbiegen. Unsere Fahrer stehen angeblich vor dem Ort. Wir reservieren uns einen Platz direkt am Zielstrich. Es wird wieder schön warm. Plötzlich ruft es von der anderen Seite "Zwinki!" Das ist Erika vom Buffet, ich verstehe sie nicht. Mühsam schlage ich mich auf die andere Seite durch: Lubos habe auf mich gewartet, er wollte doch mit mir zum Zug! Das ist total schiefgelaufen, denn Frank und Mary wollten ihn doch mitnehmen. Später heißt es, unsere Truppe würde in einem Cafe sitzen. Es gibt viele Wahrheiten auf dieser Tour, die sich nicht alle prüfen lassen, und manche Dinge wie das unerwartete Auftauchen einzelner Fahrer, die nie dort hätten sein dürfen, werden weiterhin zu den ungelösten Rätseln des Universums gehören.
Ich hole meinen Rucksack, esse zwei halbe Käsesemmeln, schnappe mir eine Banane aus dem offenen Hildesheimer Auto und ziehe Leine. Nun kann nichts mehr passieren. Am Wurzener Stand hole ich mir vier von den teuren, aber guten Schoko-Getreide-Riegeln, die es noch nicht zu kaufen gibt. Die bleiben für Extremtouren. Karle drohte mir schon mit einem. Wir wollen uns im Juli zusammen mit Tria-Peter wiedersehen. Na warte, Karle, jetzt habe ich auch Deine Wunderwaffe.
15.30 erst kommen unsere Mannen und drehen noch die Profi-Runde durch die Stadt. Ich bin zum ersten Mal Zuschauer, die Einfahrt verpufft aber ziemlich. Da war nichts angekündigt. Ich verabschiede mich schon von möglichst allen und suche wieder den Stammplatz bei Mary und Frank.
16.40 kommen die Profis. Von der Seite sieht man überhaupt nichts! Der Platz in Hradec Kralove - von vorn in einer Kurve - war dagegen optimal. Jacek Mickiewicz von Polsat gewinnt den Sprint. Die Polen sind nicht zu schlagen dieses Jahr, Olaf Pollack kann stolz sein auf seine drei Etappensiege.
Lieber Kommentator in der Kabine, der Du auch die Siegerehrungen ansagst. Deine Informationen sind zwar um Größenordnungen besser als die des Animators auf der Bühne, aber zu Deinen Aufgaben gehört auch, Namen so auszusprechen, dass die Betroffenen sich selbst wiedererkennen - egal, wo sie herkommen. Der polnische Überflieger heißt Piotr Przydzial, gesprochen "Pjotr Pschü-Dchahl", das "Dch" etwa wie im englischen "Jam" (ganz perfekt wäre ein englisches "w" statt des "l", aber das muss nicht sein). Und nicht Prischtal, Pritschal oder sogar Pisch-Tal, wie ich es nun schon den dritten Tag höre. Was würdest Du sagen, wenn die Tschechen einen Olaf Polatzk aufgerufen oder von Thomas Ljese gesprochen hätten? - So, das musste einmal gesagt werden. Ach ja, und der Ausspruch "Was brauchen wir den Giro, was brauchen wir die Tour de France - wir haben die Friedensfahrt" erinnert mich stark an die Zeiten, als es noch die drei großen "U's" gab: USA, UdSSR und Unsere DDR. Fakt bleibt jedoch, dass die Friedensfahrt eines der wirklich traditionsreichen Rennen ist und nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden kann, wie das einige Funktionäre ganz offensichtlich wollen. Auch die viel langweiligere Deutschlandtour - kommerzialisiert bis Anschlag - schafft das nicht. Es gibt nicht nur die BRD und SAT1. Und nicht zuletzt dient die Friedensfahrt wirklich der Völkerverständigung, auch wenn dieses Wort zu DDR-Zeiten leider zur Phrase verkam.
Natürlich kann es sein, dass auch die Friedensfahrt einmal stark kommerzialisiert wird. Ich hoffe nur, dass unsere Sporttour dann nicht einen solchen Charakter wie die zur Deutschland-Tour gehörige Jedermann-Tour bekommt. Es muss nicht immer ganz so abenteuerlich und unberechenbar wie jetzt sein, aber bei Fünf-Sterne-Hotels und dem Verlust jeder Kameradschaftlichkeit würde ich der Veranstaltung fernbleiben, es gibt andere Möglichkeiten für Abenteuer.
Nach 17.00 mache ich mich auf den Heimweg. Ein Stück die B97 zurück, dann entsprechend dem Wind und den Bergen über Wittichenau zickzack in Richtung Panschwitz-Kuckau. Einmal verfahre ich mich. Orientierung in Wittichenau war schon immer ein Kunststück, ohne Fragen ging es nie.
Das Fahren gegen den Wind wird sehr schwer. Ab km 170 hänge ich etwas. Die Hänger kamen dieses Jahr so um km 130-140, also bin ich schon besser, vor allem nach dieser flotten Fahrt. Ich fresse die Sonnenblumen-Müsliriegel-Krümel aus der Hülle und muss leider einen Wurzener Riegel anreißen. Den brauche ich jetzt und nicht im Juli zum Karleversägen.
Wer ein Tempo um 30-45km/h gewohnt ist, dem erscheinen 25 km/h schneckenhaft und 20 km/h erst recht. Es beginnen die ersten leichten Lausitzer Landschaftswellen. Weit, weit vorn zeigen sich blaue Bergrücken - das sind Kälber- und Schwarzenberg bei Elstra, da muss ich noch drüber, bevor kleinere und schärfere Hügel losgehen.
Uff, es geht schlecht. An der Wallfahrtskirche bei Rosenthal ein kleiner Stich, der fiel trotzdem schon mal schwerer. Oben muss eine Bank sein - ja, sie steht noch. Pause, trinken, Getränk nachfüllen aus der kleinen Reserveflasche. Ich müsste eigentlich essen, aber noch einen Wurzener? Da entdecke ich eine dunkle Banane oben im Rucksack. Huch, wo kommt denn die her? Ich stehe vor der Kirche unter dem Christuskreuz. Ob die etwa? Nein, doch nicht, mir fällt das Hildesheimer Auto wieder ein. Von oben kam nur die Erleuchtung. Ein Wurzen-Riegel muss trotzdem noch dran glauben.
Endlich, Elstra. Den langen Kälberberg komme ich noch leidlich hoch, er hat am Ende nur 8%. Aber 14 km/h wären jetzt zuviel, das sind wohl eher 11. Bergab trete ich nicht mehr mit. Jetzt geht es nur um möglichst effektives Fahren, Kräfte sparen, um lange Strecken gut zu überstehen.
Nach 190km läuft es wieder etwas besser. 9% komme ich schon wieder mit dem zweitgrößten Ritzel (36:21) hoch. Auf kurzen Distanzen natürlich, doch lange Berge kommen jetzt nicht mehr. Alles ist schon Heimspiel, ich bin auf meinen Stammstrecken und kann mir die Kräfte gut einteilen. Die tiefe Sonne lässt die Landschaft in herrlichen Farben leuchten. Von irgendwo klingt eine Kirchenglocke. Es ist 19.00 Uhr.
Nach Oberlichtenau der letzte Halt - und der letzte Wurzen-Riegel. Ich werde mir für Juli eine neue Geheimwaffe ausdenken müssen. Aber der Riegel muss weg, ich schwebe 12cm über dem Hungerast. Es wird kühl. Erstmals auf der ganzen Tour seit Himmelfahrt ziehe ich den langärmligen Windstopper an, um nicht zuviel Wärme zu verlieren (und die lange Hose natürlich). Weiter geht's. Zum Überholen einer ziemlich schnell fahrenden Frau auf dem Fahrrad reicht es noch ...
20.17 Uhr komme ich zu Hause an mit 28.2 Schnitt und 227km auf dem Tacho, etwas weniger als erwartet (ich habe die Heimfahrtstrecke relativ gut gewählt). Auf jeden Fall hat der Rückenwind geschoben, aber auf dem Rückweg war der Gegenwind auch nicht von schlechten Eltern. Ich bin natürlich sehr alle, nur es ging mir schon schlechter. Besonders weh tut nichts, ich schlafe auch ganz gut. Die gut gewürzten Makkaroni zuvor machen mir jedoch deutlich, was mir die ganze Zeit fehlte. Sie schmecken mir vorzüglich.
Das war heute ein ideales Zeitfahrtraining für den Juni (die fünfte 200er seit Ostern, plus eine 180er am Gründonnerstag). Ein wirklich schönes Erlebnis mit abwechslungsreicher Landschaft und vielen, vielen Eindrücken. Ich bin immer knapp unter dem Limit geblieben, es ist alles gut gelaufen. Eine geruhsame Tour wäre für mich heute der totale Frust gewesen. Zum Abschluss will ich mich einfach mal richtig anstrengen. Das Gewicht bei Ankunft ist mittlerweile sommerlich, aber mehr als 1 kg dürfte ich trotzdem nicht verloren haben.
Reichlich 870 km und über 8000 ansteigende Höhenmeter sind auf den 6 Etappen zusammengekommen sowie unzählige Erinnerungen: Die riesigen Hagelkörner im Vorgebirge des Böhmerwaldes; das dreckige Zimmer in Hradec Kralove; Lubos' breiter Windschattenspender-Rücken; die Jagd hoch zur Augustusburg; der herrliche Eisbecher in Lommatzsch; die unzähligen Witzeleien und kleinen Gezänke der ACL-Bande; das herrliche Licht auf der Heimfahrt am letzten Tag zurück in die Heimat; die grünen und gelben Hügel in Tschechien, zwischen denen sich das graue Band der Straße durchschlängelt; das Altvatergebirge vom Adlergebirge aus, und wie lebendig die alten Erinnerungen plötzlich wurden; das Jubeln der Massen in den drei tschechischen Städten; der brennende Schweiß in den Augen auf der letzten Bergwertung vor Chemnitz; der Reifenknaller nach Prag; die Jagd des Hasen vor dem Feld in Richtung Pardubice; die unvergessliche Stadt Jindrichuv Hradec ... was habe ich vergessen? Ach so, natürlich die Nuttenmeile zwischen Zinnwald und Dubi.
Wenn man so etwas einmal richtig erlebt hat, muss man es immer wieder tun.