@(#) Jun 28 2004, 17:53:29
Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)
Einleitung
Anfahrt (15.5.): Dresden-Tabor
1.Etappe (16.5.): Tabor-Plzen 130km
2.Etappe (17.5.): Chodov-Zwickau 123km/163km
3.Etappe (18.5.): Wellsdorf-Gera 129km
4.Etappe (19.5.): Reibitz-Potsdam 117km
Seit 1984 ist es Tradition, Originalstrecken der Friedensfahrt touristisch abzufahren. "Touristisch" heißt allerdings nicht unbedingt "gemütlich", sondern nur: Ohne Zeitnahme, doch mit Mindestgeschwindigkeit, denn wir fahren 2-3 Stunden vor den Wettkämpfern her. Aus diesem Grund werden einige Etappen auch verkürzt, denn 239km wie etwa von Zdar nach Plzen sind für uns nicht innerhalb des Zeitrahmens zu schaffen.
Veranstalter sind u.a. das Kuratorium Friedensfahrt und der RKB Berlin-Brandenburg; Organisator ist in bewährter Weise Peter Scheunemann. Weiteres findet sich in der Einleitung zu meinem Bericht von der Fernfahrt Berlin-Neapel. Im Unterschied zu dieser wurde aber deutlich schärfer gefahren, was u.a. auf das teils grauhaarige Teilnehmerfeld zurückzuführen ist. Daß die Grauhaarigen die Schlimmsten unter den Radsportlern sind, ist allgemein bekannt :-) Nach und nach begriff ich auch, mit wem ich mich da eingelassen hatte ...
Aber dazu im Text. Wir waren etwa 30 Leute, einer davon weiblich. Die Kosten hielten sich mit 370 DM für alles sehr niedrig, und insgesamt war die Veranstaltung doch sehr gelungen. Kritik wie an o.g. Fernfahrt kann ich diesmal nicht äußern.
Entgegen den Ankündigungen waren die Strecken nicht vollkommen abgesperrt. Allerdings bahnte man uns mit Blinklicht, Hupen und Winken den Weg über rote Ampeln, "schob" den Verkehr zur Seite und öffnete Absperrungen für uns (alles war mit den Organisatoren der Friedensfahrt abgestimmt). Der größte Teil der Strecke war bei unserer Durchfahrt schon markiert.
8km, 17 km/h :-))
Wir haben einen tschechischen Bus mit speziellem Anhänger für Radtransport gemietet, der in Potsdam startet und über Leipzig und Dresden fährt. So habe ich es als Dresdner besonders bequem mit der Anreise. Das Gepäck bleibt diesmal im Rahmen - weniger als 15kg im Rucksack -, und so gondele ich in besagtem Schnitt auf herrlichen Radwegen (mit Kanten, Dreck, Fußgängern und anderen üblichen Radweg-Einlagen) quer durch Dresden. Die Ankunft des Busses ist etwas unbestimmt, dadurch muß ich zeitig los. Unterwegs erfahre ich, daß ich mir Zeit lassen kann. Aber weniger als 17er Schnitt sind auch mit unbequemem Rucksack und auf Radwegen einfach nicht drin.
Die folgenden 90 Minuten nutze ich ausgiebig, um das Leben an einer Bushaltestelle zu beobachten, und wie Regen aussieht, wenn man im Trockenen sitzt. Dank moderner Technik (Handy!) klappt die Koordination sehr gut, und ich kann kurz vor dem beginnenden Wolkenbruch wohlbehalten in den Bus schlüpfen. So kann's weitergehen.
Im Bus keine Bekannte, aber man sieht es den Gesichtern sofort an: Alte, gediente Ausdauersportler, vor allem der Leipziger Club ACL (sowie Berliner). Aus den Gesprächen schließe ich schnell, daß es erst jetzt Hobbysportler sind - oder jedenfalls fahren sie nur noch Seniorenrennen ... Ich bin mit 48 zwar auch nicht mehr jung, doch kein solcher alter Haudegen wie viele im Bus hier.
In den Sturzfluten, die draußen herabstürzten, sehe ich einen guten Bekannten sich auf dem Heimweg per MTB den Berg hinaufquälen. Er sieht irgendwie nicht sonderlich glücklich aus. Wieder kommt moderne Technik zum Einsatz: Ich gebe seiner Lebensgefährtin per Handy einen Streckenbericht live. Sie legt schon mal die Handtücher zurecht.
An der Grenze in Zinnwald regnet es nicht mehr, aber 9 Grad (in 900m Höhe) sind auch nicht gemütlich. Ich komme dort praktisch nie vorbei. Die Leipziger auch nicht, und so sehen wir den berühmten Straßenstrich nach Teplice zum ersten mal live: An jeder Biegung eine Holzbude, aber ohne Bratwurst, dafür mit verglastem Anbau, in dem man die Schönen betrachten kann. Eine stand in Reizwäsche in der Tür und machte winkend tänzerische Bewegungen. Unsere grauhaarigen Bolzer zeigen plötzlich eine erstaunliche Vitalität. Na, wenn die so fahren, wie sie jetzt lebhaft sind ... (und das bestätigte sich, leider!).
Die Blicke im Böhmischen Mittelgebirge nach dem Unwetter sind teils umwerfend schön. Schon das lohnt die Fahrt. Vor Prag übersieht unser Fahrer einen Pkw von rechts. So beobachte ich zum ersten Mal in der Realität, welch lange Rauchfahne ein Autoreifen beim Bremsen ziehen kann. Ich dachte, das würde immer nur im Film dank Pyrotechnik so aussehen - geradezu unwirklich! Aber das Auto kommt noch vor uns zum Stehen. Ein Glück, ich sitze nämlich vorn rechts ...
Wir fahren durch Prag, es ist schön wie immer. Prag ist einfach beeindruckend! Und die Gewerbegebiete südlich davon erinnern an alles Mögliche, nur nicht an ein armes Osteuropa.
Erst gegen 22.00 treffen wir in Tabor weit südlich von Prag ein. Unser Motel macht einen sehr guten Eindruck, der durch das Essen ausdrücklich bestätigt wird. Mit meinem Zimmerkollegen Wolfram aus dem Erzgebirge verstehe ich mich auf Anhieb gut. Auch so passen wir gut zusammen: Er schnarcht, und ich huste die ganze Nacht. Meine sehr heftige Erkältung ist nämlich noch nicht ganz abgeklungen. Ich hatte mit erst vor 3 Tagen eine kleine Tour getraut (auf der es mir noch schlecht ging), allerdings vor zwei Tagen bei irrer Sicht eine irre Bergtour, die ich schon ganz gut überlebte.
1.Etappe (16.5.): Tabor-Plzen 130km
130km, 27.8km/h, 1200Hm
Auch das Frühstück im Motel ist sehr gut - wo Essen doch eine der wichtigsten Beschäftigungen des Radsportlers ist, spielt das eine Hauptrolle. Entgegen allen Prognosen strahlendes Wetter. Wir bauen in aller Ruhe die Räder zusammen und fahren deutlich eher als geplant, nämlich schon 9.15 Uhr, los.
Nichts wird mit dem noch soeben versprochenen Fotohalt in Tabor (die Stadt soll sehr schön sein). Durch Pannen bei der Abstimmung mit unserem Bus (der uns zwei Tage begleiten wird) fahren wir außen herum, wo es nicht besonders sehenswert ist. Der Wind bläst kräftig von vorn. Wir haben sehr gute Fernsicht, es sind angenehme Temperaturen; man kann gerade so kurz fahren.
Die ersten 10km fahren wir hinter dem Auto her, wie üblich ein ziemliches Gebummel mit 21.6 Schnitt (ich registriere das verärgert; wegen der verpaßten Stadtdurchfahrt grummele ich sowieso etwas herum). Auch ich brauche lange zum Warmfahren, meist sogar 40km. Und nach diesem total verregneten Frühjahr bin ich noch nicht intensiv gefahren, von Bergtouren einmal abgesehen. Jetzt wird es aber Zeit, und ich fahre erst einmal vorn mit. Alsbald wird man schneller. Im Unterschied zu Berlin-Neapel sind hier vorwiegend gute Fahrer dabei. Wenn der Gegenwind nicht so stark drückt, wird in der Ebene schon mal mit 40 gefahren, und beim Einholen von Gruppen steigt mein Tempo kurzzeitig auch auf 50.
Das Gelände ist wellig, doch Steigungen bleiben wohl unter 8%. Es fährt sich wunderbar - endlich der ersehnte Frühling, um den uns auch noch der April komplett betrog. Links hinten sieht man offenbar schon dem Böhmerwald, der ziemlich weit entfernt sein muß. Überall blüht es, Rapsfelder strahlen intensiv gelb.
Das einzige Buffet kommt erst nach 70km - reichlich spät! Ich hatte nichts zum Essen einstecken können und bin ja auch noch nicht lange schnell gefahren dieses Jahr. Nach 50km mußte ich erst einmal abreißen lassen und komme so kurz hinter der 2.Gruppe an. Der Zeitunterschied ist nicht sehr groß, und zwei Drittel des Feldes sind schon da: kein großes Leistungsgefälle! Unsere einzige junge Dame ist wohl noch nicht da und auch einer mit einem Bauch, wie ich ihn hoffentlich niemals bekommen werde. Die letzten treffen allerdings nach 20 Minuten oder sogar später ein. Trotz der Bummelei am Anfang erreichen wir 29.1 Schnitt. Ohne diese ergibt sich rechnerisch knapp 31 Schnitt, bei Gegenwind und in ziemlich welligem Gelände, wohlgemerkt. Aber es macht Spaß.
45 Minuten Pause sind lang. Es geht schwer los, ich habe immer noch Wattebeine. Dieses ungute Gefühl beschleicht mich dieser Tage immer wieder einmal, wird aber seltener. Mangelndes intensives Training und der Rest vom Infekt spielen gewiß eine Rolle.
Die erste Gruppe ist nach der Pause nach eigenen Aussagen Renntempo gefahren. Es half ihr wenig, denn ein Kamerateam stoppte sie und ließ sie immer wieder ins Bild hineinfahren (natürlich gaaanz langsam :-).
Auf den letzten 20km treiben wir das Scheunemann-Auto vor uns an, doch bitte schneller als mit 22km/h zu fahren. Die übliche Krankheit. Insbesondere das Kopfsteinpflaster im Stadtkern (obwohl in relativ gutem Zustand) verlangt entweder maximal 15km/h, oder mindestens 30km/h. Nie rattert es mehr als mit 20km/h.
Das Ziel wird noch aufgebaut. Den Zielstrich überfahren wir trotzdem. Die Profis sind schon in Zdar gestartet und haben 239km in den Beinen. Christian Lademann von Agro-Adler gewinnt den Spurt. Wir treiben uns noch ein wenig in Nähe der Mannschaftswagen herum (unsere Leipziger kennen viele aus der Aktiven-Szene), sehen, daß auch Profis nicht nur Spezialnahrung essen, sondern ebenso ganz profanen Apfel- und Kleckselkuchen, und steigen dann wieder in den Bus, der uns 80km weiter nach Chodov bringt, damit die nächste Etappe nicht gar so hart wird.
Von der Fahrweise auf tschechischen Straßen mal abgesehen (Radfahrer leben dort viel sicherer als in Deutschland, Autofahrer nicht unbedingt), ist der Transfer sehr schön, landschaftlich ein Leckerbissen. Ich war noch nie in dieser Ecke. Plzen (Pilsen) selbst ist im Zentrum schön, außen allerdings häßlich, so wie viele Städte in Tschechien.
Unser Hotel "Nautilus" ist noch moderner als das Motel, aber nicht so perfekt. Für Radsportler trotzdem eine luxuriöse Unterkunft. Und ein großes Bier kostet hier 15 Kronen, also unter 1 DM (in Grenznähe 25 Kronen, immer noch halb geschenkt). Die ganze Truppe ist wirklich recht nett. Man unterhält sich auch dann noch sehr angeregt, wenn kein Straßenstrich wie vor Teplice da ist; die guten Leute schwatzen sogar noch während schneller Fahrt ... ein ehemaliger DDR-Meister ist dabei, soviel weiß ich schon. Er sieht aus wie Burt Lancaster, frappierende Ähnlichkeit.
Mir geht es den Umständen entsprechend noch sehr gut. - Mit dem Gepäcktransport gibt es ein paar organisatorische Probleme, doch die löst Peter Scheunemann wie üblich. Hätte er gewußt, wie preiswert der tschechische Bus ist (pro Nase und Tag zwischen 10 und 20DM), hätte er ihn wohl die ganze Zeit gemietet.
Ingolf, den ich schon von Berlin-Neapel her kenne, trifft ein. Er ist mit Rennrad und Gepäcktaschen in zwei Tagen von Cottbus nach Chodov gefahren. Der erste Tag mit 110km recht flach ging noch, aber am zweiten hatte er von Meißen über Annaberg 160km nur steile Berge unter den Rädern. Eine tolle Leistung. Aber er kann ja sehr gut bergfahren.
2.Etappe (17.5.): Chodov-Zwickau 123km/163km
123km/163km, 21.8 km/h, 2300Hm/2800Hm (Königsetappe)
Ich hatte erst eine unruhige Nacht befürchtet, denn wir schlafen über Kegelbahn und Disco. Doch so schlimm wird es nicht. Wolfram und ich husten und schnarchen uns friedlich an. Er hat ohnehin einen begnadeten Schlaf.
Als ich früh mein Rad aus der Tasche packe, ist das Hinterrad platt. Weiß der Teufel, warum. Ich überlege nicht lange und ziehe gleich einen neuen Mantel mit auf, denn der alte hat unglaubliche 9000km gehalten (auch über Schotter, einen total nassen und sandigen Winter und nicht zuletzt Berlin-Neapel). Ist übrigens ein Vittoria Action HSD, hatte nur eine Panne (Durchstich).
Es steht die Königsetappe der Friedensfahrt an. Wir fahren sie verkürzt, nehmen jedoch alle Schwierigkeiten mit. Zunächst geht es hoch zum Sattel hinter dem Fichtelberg (knapp 1100m), die schweren Berge kommen aber erst danach.
Peter Scheunemann fährt heute früh noch nicht voran, denn er schaffte abends und nachts Gepäck nach Zwickau. Wir irren ein wenig umher. Meine wenigen Brocken Tschechisch und eine freundliche Passantin führen uns bald auf den rechten Weg. Dicke Wolken hängen am Himmel, es ist ziemlich kühl. Da wird es oben sehr kalt sein!
Bis zur Grenze ist eine Bergwertung der zweiten Kategorie zu bewältigen. Die Anstiege sind sehr lang, aber nicht unmenschlich, so bis 8%. Es geht auf teils schmalen Straßen hoch, man kehrt gerade noch die Fahrbahn vom Splitt frei. Autos gibt es fast keine. Die Ortschaften sind teilweise wenig ansehnlich, aber herrlich in steilen Tälern gelegen. Ich bin an langen Bergen nicht schnell und fahre gar nicht erst weiter vorn mit. Das macht ja nichts, denn an der Grenze treffen wir uns laut Plan wieder, und Bergkönig war ich noch nie (außerdem sind einige noch langsamer :-).
Oben an der Grenze: Pustekuchen! Keiner da! Und meine langen Sachen sind im Auto! Doch wo ist das Auto? Es steht schon da, ich sehe es nur nicht, hier geht es organisatorisch doch mal durcheinander. Einen Fahrer von uns hole ich ein. Nach der Grenze fährt er den pinkfarbenen Pfeilen hinterher. Das ist falsch. Aus PR-Gründen drehen die Profis unten durch Oberwiesental eine Schleife, die wir uns schenken sollen. Doch er war schon den Berg hinuntergerauscht, bevor ich rufen konnte. Das ging einigen so, die nicht in den Streckenplan schauten. Sie kamen in den Genuß starken, kalten Gegenwindes am endlosen Anstieg zurück zum Fichtelberg, um dann dort zu landen, wo sie starteten. Doch es sind ja gute Fahrer, die vertragen das ;-)
Riesenabfahrt durch Tellerhäuser bis Rittersgrün auf guter Straße. Es gibt wenig Autos, doch nach 1.5 Tagen Tschechien merkt man leider sofort den Unterschied in der Fahrweise. Schon vor der Grenze überholte mich ein ASZ-Auto in Höllentempo auf schlechter Straße, daß es nur so krachte (diese ASZ-Fahrer fielen mir gleich mehrfach auf).
Endlich Buffett. Dank des "Tricks" mit dem Befolgen der Streckenbeschreibung haben wir die Spitzengruppe überholt. Jaja, nicht nur in den Beinen soll man es haben :-)) 50km sind um, noch geht es uns gut. Peter Scheunemanns Golf trifft ein und mit ihm meine langen Sachen. Warum hatte ich sie nicht im Rucksack gelassen. Anfangs ulkten manche natürlich über meinen Rucksack, aber da ich mit ihm doch noch leidlich gut fahre, wird er nach zwei Tagen akzeptiert. Auch wenn es "so verwanzt" aussieht, wie ein Siggi sarkastisch bemerkte. Ist ja nicht böse gemeint.
Weiter in schneller Abfahrt, im Ort Kleinkopfpflaster. Uh, so etwas in dieser Länge gab es in Tschechien nicht. Allerdings sind wir schon falsch, die ersten übersahen eine Markierung (oder lasen die Beschreibung nicht, die allerdings unklar war). Jedenfalls landen wir in einer Baustelle, die alle ohne Murren und Knurren durchqueren, einschließlich Herabreichen der Räder an einer steilen Stelle.
Es geht weiter bei Kälte und Wind im Zickzack durch das Westerzgebirge. Allmählich soll die "böse Überraschung" kommen, ein 18%er, Bergwertung der ersten (höchsten) Kategorie. Dummerweise fahre ich gerade da vorher ziemlich schnell beim Einholen eines anderen Fahrers.
Links geht es ab über Bahngleise, und schon kommt ein Schild "14%". Oh, es geht los. Sollten eigentlich 18% sein ... ich lege sicherheitshalber schon mein 3.Blatt auf. Es sind übrigens einige Dreiblattfahrer dabei. Auf den Nutzen kommen wir noch zu sprechen. Jetzt interessiert nur eines: Es geht hoch nach Bernsbach, der "üblen Überraschung", wie die Medien ankündigten.
Der 14%er zieht sich, wie erwartet schweben viele Fahrer mit größeren Gängen an mir vorbei. Ich traue dem Frieden nicht, das Tempo ist doch relativ hoch. Wo sind die 18%?
Nach einigen 100m läßt die Steigung etwas nach, so auf etwa 10%. Seltsamerweise überhole ich einige Fahrer. Die waren wohl am Anfang zu schnell. Das ist bestimmt noch nicht alles. Vorn fahren einige trotzdem noch flott, die kriege ich nicht mehr ein. Will ich ja auch gar nicht.
Und jetzt wird es wieder steil, wieder zeigt meine Libelle 14%. Uff, das tut weh, aber es geht noch. Hoffentlich nicht so lange wie unten. Die Fahrer vorn ziehen weg. Ist ja nicht schlimm, ich bin nicht so schnell am Berg.
Die 14% waren doch lang, jedenfalls gemessen am Säuregehalt der Oberschenkel. Eine Hauptstraße, über die ich schon nicht mehr schnell fahren kann, dann ein Schild "18%" - auweia! - und ganz mieses Kleinkopfpflaster - auweia!! - und ein Bergwertungsschild "1000m" - auweia!!!
Sofort 'runter von 26:21, 26:24 einlegen, meine allerallerkleinste Übersetzung. Wenn das mal gut geht. Für Rennfahrer Kinderübersetzung, aber immerhin noch 1.5mal größer als bei MTBs, und auch die haben hier bestimmt noch zu tun. Genauer gesagt, deren Fahrer.
Es geht wahnsinnig schwer. Ich keuche schon wie wild. Allerhand Leute stehen in den Gärten und an der Straße: "Das kommt erst noch!" Klaro. Und die Fahrer vor mir kämpfen wir die Tiere ... stop, der erste steigt ab. Was, jetzt schon? ;-) Da muß ich natürlich weiterkämpfen. Einer nach dem anderen springt ab. Diese Buckelei und Ratterei ist bei wirklich 18% (die Libelle zeigt's an, und offenbar ist das sogar noch knapp bemessen) eine Qual. Zwei Fahrer sehe ich vor mir. Alles alte Knacker (wo sind die Jungen?). Die werden gleich um die Ecke verschwinden. Erst zieht sich die Straße nach links - einer steigt ab. Der andere kämpft eisern weiter mit seinen Spinergy-Rädern. "Die rollen besser," hat er vorgestern gesagt. Auch hier? Er holt weit nach links aus - clever, clever ... und steigt ab. Das demoralisiert. Kann man das überhaupt noch fahren? Was hat er von dort aus gesehen? Bloß nicht aufgeben.
Nach der Kurve sehe auch ich, was zu erwarten ist: Der Berg geht genauso weiter, wie er anfing, endlos. Alles in in mir schreit, ich ringe verzweifelt nach Luft. Weiter, weiter. Manchmal habe ich 8km/h, manchmal wohl bloß reichlich 5. Aber wenn ich einen Schiebenden überhole, bin ich noch deutlich schneller. Radfahren ist eben die effektivere Fortbewegungsart. Daß Effektivität derartig weh tun kann ... ich habe mich schon so oft unsäglich gequält, aber das hier schlägt ja alle Rekorde. Und wir haben schon 90km in den Beinen, nicht gerade flache.
Hältst Du an, hältst Du nicht an? Erst mal ein Stück weiter. Ein verlockender Gartenzaun. OK, noch 50m, die Luft ist fast alle. Stop, 'runter vom Rad, nach Luft japsen. Vielleicht zwei Minuten hänge ich über dem Lenker gebeugt, dann muß es weitergehen. Die Zuschauer sitzen ja schon auf den Rängen und warten auf ihre Gladiatoren. Alles egal jetzt. Hauptsache, irgendwoher noch Luft kriegen.
Das Aufsteigen bei solcher Steigung kenne ich, ich komme problemlos weg (ich fahre MTB-Pedale PDM 747, das macht sich jetzt bezahlt). Dann ein Schild "500m". Nicht denken, kämpfen. Hätte ich mich nicht früher schon ein paar Mal an Rampen bis zum Umfallen geschunden - ich würde nicht glauben, daß ich durchkomme. Aber dieser Zustand im bereits infraroten Bereich ist stabil, es geht immer weiter. 100m, sagt das Rotkäppchen-Schild (Rotkäppchen-Sekt hat bei der Friedensfahrt immer etwas mit Klettern zu tun). "Gleich geschafft!" tönt es von rechts. Haben die eine Ahnung, wie lang 100m sind. Wow, Asphalt! Aber der ist keine Erlösung mehr, wie sonst an normalen Bergen. Akku leer, ich fahre nur noch mit Solarenergie.
Mitfahrer Klaus, ein munterer Berliner und mal nicht grauhaarig, ist schon oben und guter Dinge, denn er schob (und fuhr lange vor mir in den Berg ein). Er sieht meine Quälerei, reißt gleich den Fotoapparat heraus und macht ein schönes Bild von mir. Ah, ich freue mich schon darauf. Nur jetzt noch nicht.
Auch die letzten 50m, vorbei an anderen vor uns, die schon an einem Bierzelt sitzen, sind noch die Hölle. Uaaaah, oben. Es zieht gewaltig, es ist kalt, die Windräder drehen sich sehr schnell. Wir sind auf über 700m Höhe angekommen, der Start lag bei etwa 375m - auf 3km Strecke mit flacherem Mittelstück.
Tja, ich wollte doch intensiv fahren dieser Tage. War das intensiv? Ich glaube fast, ja ... Jetzt bin ich erst einmal platt. Wieder 50m zurück, zu den anderen ans Bierzelt (die "Schieber" trinken wohl sogar Bier, für "Fahrer" wäre das der sichere Ehrentod). Setzen, trinken. Mehr geht nicht. Meingott, dieser Berg schlägt wohl wirklich alle Rekorde. Das saumiese Pflaster macht ihn ohnehin 2-3% steiler, und dann noch über 1km Strecke, nach dem 2km Berg unten mit zweimal 14%, und das nach ... nein, nicht daran denken, es kommt ja noch eine Bergwertung der Kategorie I. Der Rennfahrer muß vorwärts denken.
In beginnendem Regen geht es bergab - natürlich nicht, ohne zwischendurch noch ein wenig anzusteigen. Aber was sind jetzt schon 10%, das sind doch nur Wellen. Wir passieren eine für jagende Felder sehr gefährliche Umleitung durch den Wald (ob es dort Stürze gab, weiß ich nicht) und schießen dann weiter zu Tal.
Nach Aue die nächste Bergwertung Kategorie I. Angeblich nochmals 18%, aber das stimmt nicht - es sind "nur" 15-16%. Diesmal ist die Straße asphaltiert, und es wiederholt sich das gleiche Spiel: Unten ziehen viele vorbei, ganz allmählich steigt meine Relativgeschwindigkeit zu ihnen (ob ich schneller werde, wage ich zu bezweifeln!). Uff, das ist wieder so ein langer Berg. Das 1000m-Schild kommt weit, weit oben. Aha, die ersten schieben wieder. Einer gleich in Socken, weiße Socken mit schwarzer Sohle.
Ingolf, ein sehr guter Bergfahrer, kämpft sich durch. Normalerweise hat er am Berg eine höhere Geschwindigkeit als ich. Aber nicht mehr lange. Dann schiebt er auch. Immerhin hat er noch Luft zu sagen: "SPD-Schuhe sind eine feine Erfindung!" Ich nicke, habe aber bereits keine Luft mehr, um "Dreiblattkurbeln auch!" zu antworten.
Alles schiebt, bis auf Wolfram. Der geigt die Straße von rechts nach links, aber er kämpft sich durch, ganz eisern. Später erklärt er: "Ich konnte doch nicht absteigen, von mir waren vielleicht ein paar Kumpel am Berg - wenn die das gesehen hätten!" Wolfram kommt bis hoch, ich auch. Eigentlich wieder eine Wahnsinns-Schinderei, aber im Vergleich zum vorigen Berg einfacher, deutlich einfacher.
Oben antworte ich Ingolf endlich. Er meint nur "das besagt gar nichts!" und zeigt auf seine - Dreifachkurbel. Wolfram fuhr übrigens 33:28, ich wieder 26:24, also eine knapp 10% kleinere Übersetzung, was in diesem Bereich allerdings viel ausmacht.
Zwei Mann sollen am ersten Berg nicht geschoben haben. Der andere hat aber auch angehalten und nach Luft gejapst. Das beruhigt mich. Vielleicht waren es auch 3 oder 4 Leute, vielleicht haben sie am zweiten Berg geschoben - eigentlich egal, der Prozentsatz entscheidet, und die entsprechende Übersetzung. Ich wüßte nur zu gerne, wer es mit einer Zweifachkurbel geschafft hat ...
Wir sind dann noch irgendwie nach Zwickau gekommen. Ich weiß noch, daß es weit war, daß es bergig war, daß ich vorn fuhr, über die Ziellinie "medienwirksam" sprintete (aber ich kam nur noch auf 40km/h) und dabei einen schwerhörigen Triefkopf fast noch anfuhr, der mein Brüllen nicht hörte.
Das Wetter ist inzwischen schön geworden. Auf uns wartet eine lange Pause, bis es erst 18.00 mit dem Bus nach Wellsdorf bei Greiz weitergehen soll, in ein Schullandheim. Viele Cracks meinten vorher: "Die 35km fahren wir lieber auch gleich mit dem Rad, so lange gammeln wir nicht im Ziel herum!" Nach unserer Ankunft reden eigenartigerweise nur noch Ingolf und ich davon ...
Die Profis kommen an, und was auch unseren alten Haudegen den letzten Nerv zieht: Die haben 39 Schnitt gehabt - wir knapp 22. 10km/h Differenz wären normal, aber das geht an die Nieren. Na gut, na gut, wir sind durch eine Baustelle geschoben ;-) Weiter unten mehr zum Thema Profis und Schnitt.
Die Leipziger begrüßen überschwenglich Axel Peschel, Friedensfahrtsieger von 1968 und Radsportlegende. Er macht einen ein sehr netten und umgänglichen Eindruck, unsere alten Hechte stellen sich gleich für ein Gruppenfoto mit ihm auf. Axel Peschel meinte über die heutige Etappe, daß er noch gar nicht wußte, daß es hier derartige Berge gibt.
Ingolf und ich machen uns auf den Weg. Ruhige Fahrt ist angesagt, es werden auch nur 22 Schnitt, aber was heißt 40km ruhige Fahrt bei straffem Gegenwind und Bergen bis zu 12% (einmal). Der Wind zaubert ja aus 2%ern schon 6%. Oder meine Libelle ist verstellt. Ich glaube nicht, denn der 12%er hatte nicht mehr.
Wir fahren durch Greiz, in dem die bitterbösen GRZ-Autos wohnen. Das Greizer Schloß mag ansehenswert sein, doch was ich sonst so von der Stadt mitbekomme ... nun weiß ich, warum ich Greiz noch nicht kannte.
Ingolf ist auch platt (man beachte seine 2 Tage Anreise), und ich schiebe mir kurz vor dem Hungerast den allerletzten Riegel aus privaten Beständen zwischen die Zähne. Immerhin überstehen wir einen vielleicht 10km langen Anstieg, immer mit 1-3%, ganz gut. Es lohnt sich aber. Es sind schöne Ecken dabei, in denen ich noch nie war.
Unser Ziel ist das Schullandheim in Wellsdorf, eine sehr freundliche und saubere Unterkunft mit hervorragendem kalten Buffet abends. Ingolf und ich sind sogar noch lange vor den anderen da. Diese mußten zuerst zu einem Shakehand mit dem Zwickauer Oberbürgermeister ... na danke ... aber es gab dabei viel Gutes zu essen ... ooooh ... OK, wir waren eben die harten Sportler :-) Mit 40km und 500Hm mehr - wir haben jetzt 163km und 2800Hm drauf, ich bin platt und glücklich.
Die Leipziger sprachen heute mit einem Fahrer vom Team Wiesenhof (zu dem Erik Poitschke zählt, der momentan noch das Gelbe Trikot trägt). Der Fahrer hatte am 18%er von Bernsbach aufgegeben und war ganz geknickt. Von ihm oder von anderen Aktiven hörten unsere Leipziger, daß einige Fahrer meinten: Wären nicht die vielen Zuschauer und das Fernsehen gewesen - wir hätten am liebsten auch geschoben. Das mildert die 17km/h, die sie schneller waren als wir, ein kitzeklein wenig.
3.Etappe (18.5.): Wellsdorf-Gera 129km
129km, 24.4km/h, 1400Hm (Die Steile Wand von Meerane)
Die Friedensfahrer haben heute vormittag ein schweres Zeitfahren, wir ersetzen diese Runde durch die Strecke Wellsdorf-Plauen. Damit es nicht zu gemütlich wird, geht es gleich mit einem kleinen 10%er los. Schön zum Warmfahren. Nach 13km zeigt der Höhenmesser schon 240Hm an. Aber es geht.
Die Gedanken sind sowieso nicht bei der Gegenwart, sondern in der Zukunft: Heute kommt die berühmt-berüchtigte Steile Wand von Meerane dran. Ich weiß dank Internet (mein Dank an Prowler aus dem Rennradforum!) und Wolframs Ortskenntnissen ziemlich genau darüber Bescheid: Man kommt um die Ecke und sieht den Mordsberg mit einem Mal, 12% auf schlechtem Pflaster, dann ganz kurz etwas flacher und dann kurz 16%. Absolut gesehen zwar nicht die Hölle, aber ein Kult. Dort haben bei der Friedensfahrt schon bis zu 20000 Menschen gestanden (und auch diesmal soll der Berg wieder ganz dicht gesäumt gewesen sein). Viele demoralisierte Fahrer haben dort früher geschoben. Damals fuhr man aber größere Gänge. Und - die Fahrer kamen alles andere als frisch dort an.
Wir haben zwar kleine Gänge und teilweise sogar Dreifachkurbeln, doch das Gefühl des "Nichtfrischseins", das werden wir heute auch kennenlernen. Nach den gestrigen Qualen. Das fehlende Zeitfahren machen wir mit ein paar Wellen und unserem schlechteren Trainingszustand wett. Ach ja, und vorher kommt ja wieder eine Bergwertung der ersten Kategorie. Aber kein Mensch interessiert sich dafür. Höchst eigenartig.
Wir jagen durch die Ortschaften. Alle sind unruhig. In Schmölln wieder so ein Schild "Rotkäppchen-Sekt in 1000m". Meint einer: "Jetzt müssen wir sprinten." - "Nein," sage ich, "daß mußt Du nur bei Hasseröder, auf Rotkäppchen mußt Du klettern, das merkt sich doch gut." Wir dürfen noch 200m weitergondeln, dann kommen die 15%. Im Vergleich zu gestern ist der Berg erträglicher. Einige ziehen davon, keiner steigt ab. Wolfram hat viel Ehrgeiz (es könnten ja wieder Bekannte dort stehen ...) und will mir davonfahren. Ich kann ein kurzes Stück hinter ihm bleiben, mehr ist nicht drin. Oben wird es etwas flacher. Da habe ich doch noch mehr Luft, kann hochschalten und an ihm einigermaßen zügig vorbeiziehen. Eine ganz kleine Schlacht gewonnen :-)
Das Wetter ist kalt und sehr windig. Irgendwo regnet es wieder, wir merken es kaum. Die Leute fahren immer schneller. Volker und Ulli aus Köln, zwei "sogenannte Hobbyfahrer", ziehen ganz schön los (sie fahren durchweg sehr stark). Als sie sich nach hinten fallen lassen und mein Nachbar und ich mit Führen dran sind, ist mein Nachbar plötzlich weg. Huch. Dafür taucht Wolfram auf. Er wittert Heimatluft, Crimmitschau kommt als nächstes. Die Normgeschwindigkeit liegt so bei 35-40km/h. Na gut, ziehe ich mit. Noch geht es. Ich mußte mir hinterher ein paar Klagen wegen "Heizerei" anhören ...
In Meerane viel schlechtes Pflaster. Wir biegen um die Ecke: Da ist sie.
Sieht schon beeindruckend aus, sehr fotogen. Aber: Stop! Wir dürfen erst
einmal nicht weiterfahren! Das Fernsehen wartet oben!
Frisch ausgeruht geht es in breiter Reihe über extrem hoppeliges, grobes Pflaster an den offiziell 12% steilen Berg. Das Pflaster ist ja wirklich absolut übel. 1995 soll es neu gemacht worden sein, doch inzwischen hat es fast die höchste Güteklasse 4 nach der Paris-Roubaix-Skala erreicht. Pflastern ist ein Kunst. Unsere Straßenbauer sind leider nur Bauarbeiter.
Ein oder zwei fahren am Rand entlang zwischen den Gullys, wo die Steine glatt liegen. Das ist unfair. Die Aktiven können das bestimmt nicht nutzen, weil dort Leute stehen. Ich fahre vorsichtshalber 26:11 hoch, das geht ganz gut, oben dann 26:24. Man muß bedenken, daß das hin- und herspringende Rad aus dem 16%er vielleicht schon 20% macht, auch wenn das Stück nur kurz ist. Ach so, wir haben mittlerweile 90km auf dem Tacho stehen.
Oben noch ein paar Großaufnahmen für's Fernsehen, herrlichste Bananen (zuckersüß und weich), ein paar Notriegel abfassen - weiter geht's. In Schlema der Satz des Tages von einer Frau am Straßenrand:
"Was, jetzt schon?"
Vor Ronneburg ein eklig langer Berg, der starke Wind immer von vorn, und obendrein noch Betonplattenstraße mit rasenden Autos. Also, G (Gera) scheint auf einer Stufe mit GRZ (Greiz) und ASZ zu stehen. Warum ist das Fahrverhalten nur so stark vom Kennzeichen abhängig? Das habe ich bis heute nicht verstanden. Es gibt doch auch ganz "liebe" Kreise, LDS allen voran. Genug der Theorie - wir kommen nur mit deprimierenden 20km/h voran. Egal, wie sich die Autos hier aufführen.
In Gera stoppt man uns vor dem Ziel: "Na, so ein Chaos habe ich auch noch nicht erlebt!" meint ein Posten. Alles grölt. Endlich ist die Zieleinfahrt frei, wir wollen ein bißchen Show liefern. Ein älterer Haudegen und ich sprinten los, er an meinem Hinterrad. Wer gewonnen hat, wissen wir nicht, denn die Zielkamera war nicht an. Es waren maximal 10cm Abstand. Wir hatten nur 200-300m Anlauf und kamen wenigstens noch auf 47km/h oder mehr. Macht schon Spaß. Ein paar unserer Senioren empfahlen mir auch, mich mal an Rennen zu probieren (oder dachten ohnehin, ich würde welche fahren). Wenn Rennen nur nicht so gefährlich und aufwendig wären, in vielerlei Hinsicht. Vom erforderlichen Lebenswandel ganz abgesehen.
Danach Shakehands mit dem OB von Gera bei Regen. Ich habe nur wenigen Politikern die Hand geschüttelt, aber bisher waren alle Politikerhände ganz weich. Komisch. Mein Umgang besteht allerdings vorwiegend aus Bergsteigern. Ich sollte es vielleicht mal mit Heiner Geißler probieren.
Ein Bus nimmt uns 110km mit (auch die Profis haben übrigens einen Transfer) bis nach Reibitz in der Dübener Heide, in ein schönes Schullandheim. Wir versorgen uns selbst, grillen Unmengen Steaks und Bratwürste und feiern den offiziellen Abschiedsabend. Mein Sprintpartner heißt Rolf und fährt erst seit reichlich einem Jahr wieder aktiv (dann aber gleich die Internationale Touristische Friedensfahrt Berlin-Paris-Berlin). Aber ... er war bis 1963 in der höchsten Leistungsklasse, hat Täve Schur schon im Spurt bezwungen und alle großen Rundfahrten mit bestritten, die ein Ossi damals bestreiten durfte. Ich glaube, man merkt es noch, auch wenn das nun schon 37 Jahre her ist.
Ein Zimmerkollege meint, ich sei heute zu schnell gewesen. Na, erstens bin ich da bei weitem nicht er Einzige, und zweitens haben sie alle ihren Ehrgeiz, jedem Ausreißer sofort nachzusetzen, wenn er nicht gleich wieder zurückkommt. Ich schlage beim Abendbrot vor, wegen der morgigen schönen Etappe (auf der ich endlich wieder mal einen 30er Schnitt fahren will, das sollte bei dem flachen Profil kein Problem sein) zwei Gruppen zu bilden und eben am Buffet zu warten, so wie bei den Fernfahrten üblich. Nichts ist. Die wollen angeblich gemütlich fahren (siehe aber unten). Ich nicht.
Klaus, der Berliner, kommt ganz geknickt an: Seine Kamera kann, wie sich zeigt, nur 24er Filme ordentlich zurückspulen. Aber er hatte einen 36er eingelegt, und ... naja, eine solche Aufnahme von mir bei einer Quälerei habe ich schon, ich kann's verkraften.
4.Etappe (19.5.): Reibitz-Potsdam 117km
117km, 30.0km/h
Endlich wieder schönes Wetter. Strahlende Sonne, allerdings kühl (13 Grad) und sehr windig. Ein Bekannter der Leipziger, Mike vom RV Zwenkau, stößt mit seinem Mannschaftswagen zu uns - ein Steher, der nebenbei ein bißchen trainieren will, wie ich später merke. Sieh an, sieh an, der Leistungssportler fährt eine Dreifachkurbel. Das nur so nebenbei wegen der häufigen Diskussionen unter Hobbysportlern ...
Wir fahren nur kurz hinter Peter Scheunemanns Auto her und dürfen dann bis Wellaune 8km kräftigen Rückenwind genießen. Es ist kaum möglich, langsamer als 30km/h zu fahren, trotzdem schafft die Masse das. Fahrerstreik? So langsam geht doch nur noch mit gezogenen Bremsen, bei diesem Schub von hinten!
Ich lasse also mal Gemeinsinn Gemeinsinn sein, fahre vor bis Wellaune und warte am Orsteingang. Erst nach einer ganzen Weile kommen die anderen. So geht es aber weiter. Schade, jammerschade. Ich hatte mich so darauf gefreut, mit einer schnellen Truppe einmal so richtig zu jagen, heute habe ich mächtig Lust darauf. Ich fahre also los in der Hoffnung, damit niemanden übermäßig zu brüskieren und will in Wittenberg am ersten Halt warten.
Es wird eine herrliche Fahrt. Der Kantenwind bläst sehr stark, doch oft genug schiebt er auch. Kommt er schräg von hinten, zeigt der Tacho gleich über 40, an leichten Wellen ärgere ich mich dann gleich wieder über 22 oder 25km/h. Die Buchen und Eichen strahlen grün in der Sonne, die Straße ist gut, der Verkehr schwach - es macht unheimlich Laune. Ich fliege über die Landstraße, die Anstrengung spüre ich manchmal kaum.
Vor Wittenberg etliche km Gegenwind, das tut weh. Ich sehe zu, nicht unter 30 zu kommen. Vermutlich bin ich zu 80% der Zeit in der Unterlenkerhaltung gefahren, so stark war der Wind. Dann geht es über eine riesige, tolle neue Brücke in Silber und Feuerwehrrot. Leider ist in weitem Umkreis die Bundesstraße fast wie eine Autobahn ausgebaut (inklusive Lärmschutzwänden), das kenne ich nur von Sachsen-Anhalt.
Am Ortseingang von Wittenberg warte ich ca. 10 Minuten auf die anderen. Der Schnitt steht bei 30.4, das will ich halten, mein heutiges Ziel: 30er Schnitt bis ins Ziel. Wo, wenn nicht auf dieser Strecke? So eine Gelegenheit kommt nicht gleich wieder.
Danach das übliche Spielchen: Allgemeines Bummeln, ich verliere wieder die Geduld. Wenn ich heute nachmittag in Potsdam platt bin - na und? Plötzlich schießt links ein Transporter vorbei, Mike im Windschatten. Au fein, ein Stückchen könnte man mal mitmachen. Nichts da. Ich fahre mit bis zu 50 Sachen und sehe ihn immer kleiner werden. Weit vorn hält er, total verschwitzt. Seine Spitzengeschwindigkeit: 85km/h. Ich rechne mir da lieber keine Kadenz für mein MTB-artiges Getriebe aus ... von der notwendigen Leistung mal ganz abgesehen.
In Treuebrietzen Buffet. Ich habe Appetit auf ein Steak, obwohl das unvernünftig ist. Die anderen kommen 4 Minuten später. Na, jetzt werden sie wohl doch schnell. Aber danach geht es wieder ganz langsam los. Und ich vorneweg. Nicht, weil ich besser bin, sondern weil mir heute ganz streng danach ist - schnell fahren. Es geht ja noch. Nur das Steak liegt natürlich schwer im Magen.
km 95: Das Feld hat den Ausreißer eingefangen. Unsinn. Ich habe ja noch über 15 Minuten Vorsprung :-))) Nein, Rennen werden hier nicht gefahren, mir machte es Laune, so durch den Wind zu rasen. Und bei den starken Böen hatten die Fahrer in der Gruppe auch ganz schön zu steuern, wie sie mir erzählen. Es ist gekommen, wie es kommen mußte: Daß da einer vorn fährt, geht doch nicht, den müssen wir einholen. Bis zu 45km/h sind sie gejagt, was mir natürlich den Groll einiger zuzog. Sorry, Jungs ... aber ich habe nicht den Eindruck, daß sie nachtragend sind. Nur das mit dem gemütlichen Fahren sollte man bei ihnen nicht so wörtlich nehmen.
Ich werde erst einmal ganz nach hinten durchgereicht, vorn gibt es keine Lücke für solche ungezogenen Lümmel. Uff, es geht sofort 30% leichter. Ich fahre zwar an der Windkante, aber 30km/h oder auch etwas mehr sind ja hier hinten ein Spaß. Es könnte ruhig etwas schneller gehen :-)
Pünktlich in Potsdam erwischt uns doch noch ein Platzregen, aber das ist jetzt egal. Der 30er Schnitt ist gerettet. Ich schaffe das erst zum vierten Mal, da ich immer "von Haustür zu Haustür" messe und fast immer nur bergige RTFs fahre.
Wir müssen eine Ehrenrunde drehen - mit Cheerleaders, Fernsehen, jubelnden Zuschauern und dummen Fragen eines Moderators. Aber es war doch gut so mit dem Moderator. Dadurch erfahre ich, daß unser Erich Stammler nicht 66 Jahre alt ist, wie ich ihn schätzte, sondern 76 (!!), sich mit dieser Fahrt auf die WM im St.Johann vorbereitet und dort schon (oder letztes Jahr?) 16. wurde. Mann, ist das eine Ansammlung von Cracks.
Wir warten noch den Abschluß der "richtigen" Friedensfahrt ab, dann nimmt mich Mikes Mannschaftswagen mit nach Leipzig, wo ich Glückspilz doch tatsächlich gleich einen Zug nach Dresden erwische (obwohl die Wartezeiten in der dortigen Fahrkartenverkaufsstelle - Verzeihung, Service Zentrum - berüchtigt sind wegen des vielen Services) und dieser sogar noch pünktlich ankommt. Zu Hause schlinge ich schnell die ersten, extrem schmackhaften Nudeln seit einer Woche hinunter und kann dann gleich im Trikot 2.5km zum Bahnhof und zurück rennen, den Sohn von einer Reise abholen ...
Wie es aussieht, sind 1.5kg Gewicht weg - aber die Erkältung nicht. Bei dieser Fahrweise kann man auch schwerlich gesund werden. Mußte aber mal sein. Nächstes Jahr bin ich wieder dabei.