Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)
Erfolge und Niederlagen liegen dicht beeinander. Im Frühjahr 2002 hatte ich den Eindruck, dieses Jahr würde bald jede zweite Tour unnormal. Zum Erzählen schön, zum Erleben nicht immer ... Nach fast einem Jahr entschloss ich mich, die folgende Story auch auf meine Homepage zu stellen, denn sie ist allemal interessanter als eine hergelaufene 0815-Radtour, selbst wenn sie 250km lang ist.
Also, der Plan. Am 26.5.2002 sollte in Torgau an der Elbe eine RTF stattfinden, zu der Mme. Rothaar und Mr. Longhaar hinfuhren und mich mitnehmen konnten. Ich plante nach meinen 200ern endlich mal eine flache 300er und dachte: Fährste früh hin, kannste sogar die Bundesstraßen nutzen, es werden so 85km sein. Dann 155km RTF und etwas langwieriger (aber schön) zurück. Für den Notfall sind die beiden mit dem Auto dort. Von Torgau aus gibt es sehr schöne Touren - Dübener und vor allem Dahlener Heide, vielleicht sogar mal eine ganz neue Ecke.
Einigermaßen motiviert war ich (das ist die Hauptsache bei 300km, ehrlich!). Nur das Wetter ... es sollte Samstag schlechter sein, am Sonntag früh noch Schauer möglich, dann nachlassend.
Um es vorwegzunehmen: Komplette Fehlprognose. Die Berliner Meteorologen schreiben: Bei Regengebieten aus Südwesten haben Voraussagen zu Niederschlägen eine Treffsicherheit von 17%, nach ihren eigenen Auswertungen. Diesen Satz für immer in unsere Ohren.
3.50 Uhr klingelt der Wecker. Als wäre das nicht grausam genug: 11 Grad und Dauerregen draußen. Alpinisten und Radfahrer gehören zu den privilegierten Gruppen, die solche Lichtblicke live erleben dürfen. Während sich aber der Alpinist unwillig brummend im Schlafsack auf die andere Seite drehen darf, spekuliert der Radfahrer auf die nachlassenden Niederschläge - schon 4.30 könnte das Wetter doch ganz anders sein, von 9.00 ganz zu schweigen - und so macht er sich her über seine Kekse.
4.35 noch mit Licht los. Die Ausfallstraße (B6) im Dresdner Westen ist teils eine Katastrophe und nährt zu Recht alle Vorurteile gegenüber der mangelhaften Infrastruktur im Osten. Ich bin viel zu müde, mich jetzt darüber aufzuregen. Die Weiterfahrt ist wenig originell: Gegend vielleicht bei Sonne etwas netter, aber nicht mein Fall; derzeit pausenloser Dauerniesel und leichter Gegenwind. Die Beine sind wie Blei, ich schaffe kaum eine 90er Tretfrequenz und muss mich ziemlich auf den runden Tritt konzentrieren. Ein ziemlich süßes Gebräu in der Trinkflasche hält mich am Leben.
Nach 80km denke ich mir, dass eine kurze Esspause strategisch günstig wäre: Dann nochmals 10km fahren und nicht so lange frösteln vor dem Start. Das erste Wartehäuschen ist demoliert, das zweite zertöppert, das dritte scheint zu gehen. Obwohl ein Offenstall, stinkt es erbärmlich - die blanke Müllgrube. Ich versuche, 5m wegzugehen beim Essen, doch das Einzige, was sich dabei ändert, ist die Urin-Duftmarke. Ich packe die angefangene Schnitte resigniert wieder ein und setze meine eigene Duftmarke hinter dem Häuschen über die anderen. Belgern nennt sich das Nest. Das typische Auto hier hat das Kennzeichen TO, Spoiler, schwarze Heckscheibe und ein bis zwei Sportauspüffe (oder -auspuffs?) bis hin zum Durchmesser von Ofenrohren. Grotesk. Das Fahrverhalten dementsprechend. Gar nicht grotesk. Wieder etwas für berechtigte Vorurteile. - Also gleich durch bis Torgau. 95km, uh, es war weniger geplant.
Meine beiden sind schon da: "Mit Dir hätten wir gar nicht gerechnet!" Und ich nicht mit diesem Wetter. Na gut, 11.00 ist Wetterumschwungzeit. Es gibt Kaffee und Kuchen - keinen Appetit.
Start Punkt 9.00. Einige der 140 Teilnehmer fahren recht chaotisch, ich muss doch zusehen, möglichst vorn mitzuspielen. Dort geht es relativ gemütlich zu - so mit 28-33 km/h: Das Riesenfeld saugt einen derart an, dass man nicht einmal leichte Anstiege mitbekommt, nur die folgenden flachen Abfahrten. Leichte Tempoverschärfung. Ich darf mich nicht übernehmen - es könnten 350km werden heute - aber diese Steigerung geht noch. Nanu, hier fallen aber schon viele ab. OK, so wird es ruhiger. Der Zappelphillip vor mir ist noch dabei. Nochmals ziehen sie an, jetzt schon immer deutlich über 35. In der Gruppe geht das noch, ist aber für meine Ziele zu schnell. Doch im Wind allein stehen macht auch keinen Spaß, also gebe ich mir Mühe. Dann legen die vorne richtig los, ich lasse sie ziehen - schon 110km in meinen Beinen, und es werden mindestens 250. Ich bleibe nicht der einzige Einzelgänger, doch das hat keine sportlichen Gründe - siehe unten.
Am ersten Kontrollpunkt erzählen sie sich, dass "die dort vorne ja heute wieder wie irr losheizten". - "Aber wenn die Cottbuser dabei sind, ist es noch viel schlimmer." Schön, mal die eigene leidige Erfahrung von anderen zu hören. "Und die Friedensfahrt-Sporttour soll so hart gewesen sein," fragt mich ein Zwenkauer. Nee, die Fahrt selbst weniger, die Fahrer waren so übel :-)
Die RTF ist sehr nett, sie geht durch die Dahlener Heide, und viele Strecken sind sogar bei diesem elenden Dauerniesel und -regen noch schön. Die Verpflegung ist sehr gut, die Betreuer sind freundlich. Nur von Markieren haben sie keine Ahnung. Das müssen Leute gemacht haben, die noch nie eine RTF gefahren sind. Mme. Rothaar (sie ist wie ihr Freund als Kontrollfahrer dort) meinte, so ein Chaos hätte sie noch nie erlebt. Ich auch nicht, obwohl ich da viel weniger Erfahrung habe. Ab und zu ein Schild, ab und zu ein Pfeil auf der Straße. Die grünen Straßenpfeile gelten für uns, die gelben sind von der Delitzscher RTF am Vortag (das merkt man dann so mit der Zeit). Später gibt es nur noch gelbe Pfeile: Achtung, die gelten jetzt für uns (auch das merkt man)! Zum Schluss blasse weiße Pfeile. Manche Pfeile/Schilder erst nach dem (richtigen) Abbiegen sichtbar, Pfeile auf über 10km schwieriger Strecke ganz fehlend - alles ist dabei. Mein Rucksack ist stark reduziert während der RTF, aber die Landkarte ist noch drin. Dreimal brauche ich sie. Pausenlos verfährt sich einer. In dieser Ecke gibt es sehr viele kleine (und gute) Straßen, da gehört eine gewissenhafte Markierung hin. Oder man fährt selbst nach Karte, das ist dort kein Problem. Aber dann brauche ich keine RTF, wenn die Leute sowieso über die Landschaft zerbröselt sind.
Vor Wermsdorf eine der vielen möglichen Radfahrerhöllen: 7km lang schnurgerade Straße im Wald bei Dauerregen, kein Mensch, kein Auto, kein Abzweig, dafür ununterbrochen kleine Wellen - 5% die paar flachen, 9% die anderen. Und keine Ahnung, ob das die richtige Einflugschneise ist. In Wermsdorf plötzlich RTF-Schilder, dafür kein Kontrollpunkt. Der kommt später. Leute treffen ein, die teilweise doch vor mir waren? Jeder hat eine andere Streckenlänge, bis zu 10km mehr (nach 66km). Alle haben Galgenhumor.
Die Fahrt fetzt trotzdem, bei der Abfahrt vom Colmberg ein herrlicher Blick. Einfach eine schöne Gegend zum Fahren.
In einem Dorf frage ich meinen momentanen Nachbarn: "Sind wir eigentlich noch richtig?" - "Ich habe keine Abzweig-Markierung gesehen." Das besagt nun gar nichts. Ich stoppe sofort, fahre zurück zum Ortsschild (aha, wir sind in Wellersdorf, doch das steht nicht im Ortsverzeichnis) - hm, und in welche Richtung fahren wir eigentlich? Keiner da zum fragen, die anderen sind im Gottvertrauen auf den derzeitigen Leithammel weitergestürmt. Der Colm ist nicht zu sehen, der Himmel dunkelgrau voller Wolken. Mancher mag lachen - ich habe immer einen ganz kleinen Kompass mit. Den brauche ich nun zum ersten Mal auf einer RTF. Dadurch weiß ich, wo jetzt ein Abzweig kommen sollte. Er kommt tatsächlich und - ein Wunder - ein RTF-Schild hängt dort, das man im letzten Moment sieht. Ich bin schon wieder allein. Später ein Berg mit 14% - steht auf dem Schild; mit gutem Willen waren es 5m lang 11% am Ende (Liebschützberg).
Am letzten KP sind die 200km voll, ich bin dagegen schon ziemlich leer. Das Wetter macht seit 40km kurz Pause: Alles wie gehabt, nur das Wasser bleibt für den Moment oben hängen. Noch eine 30km-Runde, dann darf auch ich ab in Richtung Ziel fahren. Zwei ziemlich wellige, doch sehr schöne Strecken folgen (Zeuckritz-Lausa-Taura, falls jemand dorthin kommt). Große Straße wieder zurück; ich muss nochmals am KP vorbei.
Die große Straße ist sehr glatt, doch es rumpelt plötzlich hinten etwas. Kein Platten - was für ein Sch--- hat sich denn da wieder am Reifen festgeklebt? Ich sehe nach, und mir erstarrt das Blut in den Adern. Der Hinterreifen löst sich auf - die Karkasse schaut neben der Lauffläche heraus, aus der Lauffläche ragen Fasern, im Reifen ist eine richtige S-Kurve drin. Was da passiert ist - keine Ahnung. Der Reifen fuhr 8500km auf nicht gerade zivilem Untergrund anstandslos und sah noch tadellos aus vorher. Wenn diese Beule platzt, hilft nur noch Anhalter. Und - das kann ja gar nicht anders sein - in diesem Moment geht der Regen wieder los. Himmeldonnerwetterkreuzhagelbombenelementegottverdammichnochmal. Aber Radfahren ist nun mal nicht nur Sonnen am Strand. Nimm's als mentales Training. Manager laufen dazu mit verbundenen Augen über Holzbrücken und brechen dabei mit der Brücke ein, wie in Dresden passiert. Das hier ist wenigstens ein sinnvolles Problem.
Ich kehre sofort um und wähle den kürzesten Weg nach Torgau. 13km, das kann sehr weit sein. Mit einem Mal fällt es mir überhaupt nicht mehr schwer, die 28-33km/h in diesem kaum welligen Gelände zu fahren. Bloooß nicht in die Kurve legen, keine scharfen Stöße bitte ... eine Fahrt auf rohen Eiern. Ich hatte früher schon mal "Karkassenblick", aber das war damals unproblematisch. Heute ist das anders.
Zweimal muss ich mich in Torgau durchfragen und erhalte sehr freundliche Hilfe. Mme. Rothaar ist schon da. Stark gefahren, 27 Schnitt, schneller als ich - ihre Knieprobleme scheinen endlich zu verschwinden (sie hatte gestern sogar eine Berg-RTF mitgemacht). Aber wo ist Mr. Longhaar? Es werden noch allerhand Leute vermisst.
Mr. Longhaar trudelt als Letzter mit seinem MTB ein, das er wegen Sehenproblemen derzeit fahren muss. Er sammelte immer wieder "Irrlinge" ein. 16.00 ist schon Kontrollschluss: Verdammt knapp für diese Bedingungen und eine Startzeit von 9.00. Der letzte Kontrollpunkt wurde etwas zeitig abgebaut, hörte ich; mich betraf das aber nicht mehr.
Letztes Jahr soll die Markierung deutlich schlechter gewesen sein. Wie macht man das?
Ich habe 235km in den Beinen und bin satt, aber vollkommen. Nein, mehr brauche ich heute wirklich nicht. Selbst die 50km bis Riesa zum Zug wären ein Albtraum. Und das war erst ein Viertel von Trondheim-Oslo: Nicht mal die halbe Strecke, dafür doppelt so warm (in Grad Celsius). Ganz klar, wo man mich nicht sehen wird. Aber vielleicht ein Flandern-Training, wer weiß.
Die Heimfahrt verlief unverständlicherweise ohne Probleme. Außer Waden, Oberschenkeln, Augen, Füßen und Kopf tat eigentlich nichts besonders weh.
Trotzdem ist die RTF zu empfehlen: Bis auf die Markierung ist sie echt gut. Man nehme sich eine lesbare Kartenkopie mit (das ist nicht leicht, die kleinen Straßen verschwinden darauf meistens) und zeichne die Route vor dem Start ein. Orientierung ist an sich kein Problem dort. Und nicht immer blind einer Gruppe hinterherfahren :-)
Übrigens - die meisten RTFs sollen gut sein. Nur über die redet kaum einer.
So sieht es aus, wenn Pläne baden gehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Außer bei der Friedensfahrt ist es eigentlich meist kühl gewesen dieses Jahr (heute 14 Grad). Heute war es moralisch fast an der Grenze von meinem Galgenhumor - ehrlich.
Lieber Petrus,
am 20.7. ist der Colmnitzer Supercup. Zweimal habe ich ihn schon erlebt - einen bei Dauer-Unwetter und einen bei Riesenhitze. Kannst Du dieses Jahr bitte, bitte mal ganz einfach normales Wetter machen, obwohl es ein Supercup ist? Es darf mal ein bißchen regnen, aber nicht zu kalt, und auch die Sonne soll mal scheinen. Es darf auch etwas Wind sein, aber bitte nicht gleich Sturm. Einfach normal.
Ich werde auch artig sein und immer brav aufessen.
Danke.
Dein
Zwinki
P.S.: Und es ward gutes Wetter am 20.7.03.