Stand: @(#) Jan 04 2022, 10:41:43
In der Sächsischen Schweiz gibt es ca. 1100 freistehende Gipfel, die nur durch Klettern erreicht werden können. Seit über 100 Jahren hat jeder von ihnen ein Gipfelbuch, in das sich jeder Besteiger einträgt. Es ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts genau vorgeschrieben, was man einschreiben darf und was nicht. Diese Regeln werden auch recht gewissenhaft eingehalten, die Bergsteiger achten gegenseitig darauf. Nur eine Ausnahme gibt es: Wer der erste in einem Kalenderjahr auf einem Gipfel ist, darf einen Spruch seiner Wahl hineinschreiben. Deswegen setzt - vor allem auf bedeutende Gipfel - ein wahrer Run am 1.1. jeden Jahres ein, oft schon zu Mitternacht bei Schnee.
Das ist nicht einfach, denn man kommt im Schnee nur auf bestimmte Gipfel hoch und muß dann auch noch das Buch finden. Meist schläft man im Freien zu diesem Zweck. Es ist ein tolles Abenteuer. Übrigens hatte die Stasi einen ausgesprochen schlechten Zugriff auf die Gipfelbücher und Klettergruppen. Das erklärt so manchen Spruch (obwohl mit Namen versehen!), für den man bei öffentlicher Äußerung Probleme bekommen hätte.
Seit Jahren sammele ich von Gipfeln, auf denen ich selbst oben war, besonders originelle oder lustige Sprüche. Zwar gibt es ein Archiv, wo man sich die "Arbeit" sparen könnte, aber mein Ehrgeiz fordert, nicht darauf zurückzugreifen.
Anbei also eine Sammlung echter Volkskunst. Einige wenige werden vielleicht nur Ex-DDR-Bürgern verständlich sein, oder überhaupt nur hiesigen Bergsteigern: So bedeutet der Begriff "Sack" im Lokaljargon einen Kletterweg, den man nicht zu Ende gestiegen hat ...
gez. Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)
Das Bergseil - Richtschnur unseres Handelns! Dastellochturm 1985 Dumme Bergsteiger machen immer wieder die gleichen Fehler, intelligente dagegen stets neue. Höllenhund 1987 Das gewußt wo Sein bestimmt das bewußt so Sein. Südliche Waldtornadel 1979 (!) Unser Vater ist Alles. ebenda, 1990 (!) Im Falle eines Falles ist das Fallen alles. Winkelblock 1990 Hast Du zum Leben kein Motiv - steig' mal 'was vor, vielleicht geht's schief. Zittauer Gebirge Die Hummel summt, die Fliege fliegt - hurra, der Sozialismus siegt. Domerker 7.10.1989 Wenn eine Führerpersönlichkeit A sagt und dabei den Arsch offenhat, dann kann das angeführte Volk durch sie hindurch in die lichte Zukunft schauen. Sommerturm 1985 Unsere Ziele sind real, ihre Überbietung notwendig. (Zwischentitel aus der Sächs.Zeitung) Scheibe am Tellerhörnel 1987 Auch das ist Kunst, ist Gottesgabe: An einem hellen Sommertage sich soviel Licht ins Herz zu tragen, daß, wenn der Sommer längst verweht, das Leuchten dennoch fortbesteht. Rabensteinturm 1970 Ob im Winter auf den Brettern, ob im Sommer, wenn wir klettern - stets muß unsre Alte wettern! Ochelscheibe 1982 Eine gesunde Verdorbenheit ist besser als eine verdorbende Gesundheit! Ahornspitze Sehe jeder, daß er stehe, und wenn er steht, daß er nicht falle. Goethe (Riegelkopf) Müßiggang ist besser als Schaden anrichten! Bahnhofswächter, 70er/80er Jahre Lieber einmal sehen als zehnmal hören! Erich Honecker (Berken-von-der-Duba-Wacht, 70er Jahre) Deine große Schwester wäre mir zwar lieber, doch auch Kleine nimmt man hin und wieder. Kleine Barbarine 1976 So sind bestimmt des Menschen Lose, höchstem Mut ward höchster Preis; am Abgrund blüht die Alpenrose und hart am Tod das Edelweiß. Kleine Barbarine 1980 Lieber einen Sack mehr als einen Weg weniger! Winterbergnadel 1983 Wir lieben die Gefahr, aber wir scheuen das Risiko! irgendwo Oft ist ja Heldentum nicht anderes als Ausweglosigkeit, an der man nicht zugrunde geht. Wieland Herzfelde (Raaber Turm 1981) Wo die Macht geistlos ist, ist der Geist machtlos. Großer Gratturm Es ist leichter, ein guter Bergsteiger zu werden, als ein alter. Morsche Zinne, vor 1977 Über Felsens nackte Rippen klettern wir mit kühnem Schwung, über'n Riß geborstner Klippen trägt uns der gewagte Sprung, über uns des Gipfels Höhe, unter uns des Todes Nähe. Kurt Schramm, Bergdramatiker (Frienstein, 70er Jahre) Oh blut'ge Hand in steiler Wand, oh glatter Schinder im tiefen Winter, oh Regenguß, oh Hagelpein - oh Hochgenuß, oh Sonnenschein, wenn Mädchenbein so froh belebt nach oben strebt, mit steilem Blick zum Gipfelglück - ach, voller Reiz ist unsre Schweiz! Dr.Kurt Schramm, Bergpoet Träger der Roten Mainelke und des Einkellerungskartoffelpreises (Turm am Verborgenen Horn 1979) "Etwa Schönes für den Geist ist ein Bergseil, wenn es reißt." Also sprach der Alpinist, dem Gefahr Vergnügen ist. Und so huppt er über'n Kamm, kriecht er durch die tiefste Klamm, bis er endlich 'runterfliegt, und dann ruft er noch vergnügt als sein allerletztes Wort: "Dies ist ein GESUNDER Sport!" Grottenwart 1983 Durch diese hohle Gasse muß er kommen. (AW) Grottenwart ca. 1980 Besteigen und bestiegen werden ist das höchste Glück auf Erden. (Khedive) Es ist unerträglich, in einem Land zu leben, in dem man keinen Humor kennt. Aber noch unerträglicher ist ein Land, in dem man Humor braucht. Meurerturm 1989 Wenn eine kleine Wahrheit gesiegt hat, dann fragt Euch, welcher gewaltige Irrtum hat dafür gekämpft? Meurerturm 1990 (!) Wahrheit macht nicht frei, sie macht nur unpopulär. Zschirnsteinwarte oder -wächter, Ende 80-er Wenn etwas ins Rollen kommt, geht es meistens bergab. Glocke 1990 Weißt Du noch, in jenen Tagen, die nun längst verflossen sind, wie wir oft mit leerem Magen glücklich auf dem Gipfel lagen in dem letzten Sommerwind? Weißt Du noch, wie Sandstein riecht und ein alter Kletterfaden, wie Nebel durch die Schluchten kriecht und am Abend letztes Licht um den Fels sich legt in Rathen? Weißt Du noch, in Kletterpatten, wie Dich da die Wespe stach? Weißt Du, was für Durst wir hatten auf den dürren Wiesenmatten, als die Thermosflasche brach? Vergiß es nie, denn diese Stunden sind Inseln in dem Strom der Zeit. Wir waren arm und arg zerschunden, doch eines hatten wir gefunden: Ein Stückchen Unvergänglichkeit. Freimund Hille (Wachsamer Förster 1992) Wer nichts bringt, springt! Rauensteinspitze 1987 Lieber voll heimgehen als leer ausgehen! Rauensteinspitze 1986 Das Einzige, was manche Menschen erträglich macht, ist ihre Abwesenheit. Rauensteinspitze 1988 Der eine fragt: Was kommt danach? Der andre fragt: Ist es so recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht. Toter Turm (?) Ich bin - ich weiß nicht, wer, ich komme - ich weiß nicht, woher, ich will - ich weiß nicht, wohin, ich weiß bloß nicht, wie ich hier 'raufgekommen bin. Großer Gratturm ca. 1990 Sachsen - unsere Heimat, Deutschland - unser Vaterland, Europa - unsere Zukunft. Zusatz: Und Ihr - unsere Besten. Großer Gratturm ca.1992 Nützlich ist, was glücklich macht! Backofen 1991 Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Gorbatschow (Heidewand oder Plattenstein 1992?, 1.1.) Es bringt nichts, die Sinne zu töten und die Gedanken zu mästen. Lorenznadel 1984 Moos - das war sein letzter Griff, bevor er in die Tiefe pfiff. Winterturm (!) 1992 Es ist gefährlich, zu weit in die Zukunft zu schauen - man könnte den Mut verlieren. Winterturm 1986 (!) Das freie Klettern gibt dem Berg die reale Chance, sich am Menschen zu rächen. Affenhorn 1994 (?) Geld allein macht nicht glücklich, es kommt auf die Währung an. Affenhorn 1991 Wir lieben die Berge, den Alkohol, den Gesang - drum sind wir nie nüchtern, aber auch nie krank! Schrammsteinwächter 1985-1995 Der Traum eines jeden jungen Bergsteigers ist es, eine große Zukunft vor sich zu haben. Knochenturm 1992 Wer nur das tut, was er schon kann, wird immer bleiben, was er schon ist! Knochenturm 1994 Hilfe, hilfe, nehmt mich mit! Ich klettere schon seit 300 Jahren in dieser Schlucht und kann den Gipfel nicht erreichen und wär' so gern bei meinesgleichen. (Goethe, "Walpurgisnachttraum") Östlicher Rauschenturm nach Absolvierung des AW (1978) Eine Sommersprosse ist noch kein Gesichtspunkt und Kopfjucken noch keine Gehirntätigkeit! Schildkröte 1994 Der Nationalpark wird kommen und gehen, aber die Boofen werden ewig bleiben. Schrammsteinwächter 1994/95? Die Menschen werden kommen und gehen, aber ewig bleiben die Berge. Zusatz eines Dritten: Geologischer Unsinn!! Fundort unbekannt Waldsterben finde ich langweilig - ich sterbe lieber in der Stadt. Schrammsteinwächter 1996 Von manchen Bergsteigern denkt man, sie seien längst gestorben. Dabei sind sie nur verheiratet. NO Wachturm, 1990-1995 Ein Glück, daß die, die unten oben sind, oben unten sind. Jahrhundert- oder Sieberturm, vor 1997 O Heringshorn, Du schöner Gipfel, doch von der Welt ein kleiner Zipfel. Die Welt ist schön, so groß und weit, und wer sie kennt, der hat viel Freud'. Doch diese Freude ist hier rar: Wir sitzen fest in GDR. Heringshorn, 31.12.87 Es gibt Leute, die glauben, sie hätten ein Problem. Dabei sind sie ganz einfach nur dumm. 2.Zerborstener Turm, 1994 Der Sozialismus wird immer sozialistisch bleiben, so wie eine Demokratie immer demokratisch sein wird. 2.Zerborstener Turm, 1989 (!) Die Freiheit ist ein wundersames Tier, doch manche haben Angst vor ihr. Grottenwart 1980 oder 1981 (!!) (Kalkbrenner) Die Zeit vergeht, wie schnell ist nichts getan. Grottenwart ca. 1984 Wer die Wahrheit geigt, dem schlägt man den Fidelbogen aufs Maul. Grottenwart ca. 1986 (!) Wer nur den Fuß auf Gipfel stellt, um sie nach "Stück" zu buchen, vergißt, daß er sich selber prellt, den Fels als Freund zu suchen. Grottenwart 1986-1995 Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es oft nur ein kleiner Schritt. Napoleon Grottenwart ca. 1995 Die Verzierungen an der Außenseite des Sarges sind für den Betroffenen ohne Bedeutung. Grottenwart 1998 Glücklich ist, wer verfrißt, was nicht zu versaufen ist! Frosch 1993 Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter! Jortanshorn 1980 Was uns nicht härter macht, bringt uns nur um! Kuhstallscheibe 1996 Mit dem Blick zur Rauschenspitze ich hier sitze und freu mich über diesen Sporn, doch meine Gedanken eilen nach vorn, denn diesjahr gehts aufs Matterhorn! Rauschenkuppe ca. 1992, Original-Orthografie Aus einem Riß kann man nicht herausfallen, man kann nur hineinkotzen! Schwarzes Horn, ca. 1993-96 Alles Scheiße, alles Mist, wenn man nicht besoffen ist! Wand am Kipphorn 1996 Alles, was Spaß macht, ist entweder unmoralisch, illegal, oder es macht dick. Der Rest erzeugt bei Ratten Krebs. Wand am Kipphorn 1997 Lieber falsch leben als richtig tot sein! Winterbergnadel 1997 Lebe jeden Tag so, als waere es Dein letzter. Eines Tages wirst Du recht behalten. Falkenstein 1997 Ohne Berge, ob klein, ob groß, wär' so mancher heimatlos. Gamshornwächter 1997 Frau und Fels: Beides ist zu begreifen, und beides birgt die Gefahr des Absturzes. Gamshornwächter 1998 Nach dem Kriege melden sich viele Helden. (jap. Sprichwort) Papusspitze 1992 Beim Goldrausch verdient der am meisten, der die Schaufeln verkauft. Heidewand 2001 Es steht im tiefen Winterwald der Heidematz und ist so kalt. Zwei rote Nasen leuchten keck - nun ist der Jahreserste weg. Heidematz 2000 Die Menschen haben die Welt bisher nur verändert, nun kommt es darauf an, sie zu ertragen. Glocke 1997 Der Wibbel näht mit voller Kraft nun Tangas für die Marktwirtschaft! Schneider Wibbel, 1994 Wenn der Weise auf den Mond zeigt, sieht der Idiot nur den Finger. Hinterer Höllenhundturm, 2000 Pfeife auf das Alpenglühn, wenn die Baumschulbäume blühn! Baumschulturm ca. 1994 Im Tal der letzte Knaller kracht, die Sonne auf den Gipfel lacht. Weiß Gott, das hätt' ich nicht gedacht, daß das heut' so viel Freude macht. Klimmerstein 1997 Wir waren die zweiten, aber die ersten, die das Gipfelbuch gefunden haben. Die Zweiten werden die ersten sein. Dicke Berta 2000 Wohl dem, der nichts zu sagen hat und sich nicht anschickt, dieses zu beweisen. Blaues Horn 1998 Schnaps und Wein, das muß sein. Bier vom Faß, das macht Spaß. Auf dem Heimweg dann ein Sporn - Sturz nach vorn - so entsteht ein Blaues Horn. Blaues Horn 2001 Von der Ostsee bin nach Sachsen - kein Berg ist uns gewachsen. Von Osten nach Westen - das können wir nicht testen. Falkenturm 1988 Ob Steinschlag, Seilfitz, Nähmaschine: Zum bösen Spiel mach' gute Miene. Falkenturm 1994 Wenn der Stift vom Gipfel fällt, hast Du Dich umsonst gequält. Bewachsene Spitze 2001 Wir haben die Natur nur von unseren Kindern geliehen - aber keiner hat was von Zurückgeben gesagt. Westl. Rauschenturm, 1996 oder 1998 Die wahre Freiheit beginnt dort, wo Du auf dem Gipfel nicht mehr weißt, wie der Weg hieß, auf dem Du hochgekommen bist. Westl. Rauschenturm, 1996 oder 1998 Erst schab, dann keuch, dann eine Drehung - dann ist sie fort, die Jahreserstbegehung! Westl. Rauschenturm 2000 Im Januar, man glaubt es kaum da klettern zwei auf einen Baum. Doch sie erklimmen nicht den Wipfel, sondern diesen Klettergipfel. Dort finden sie - welch Glückes Kinder! - sie sind die ersten diesen Winter. Drum dichten sie 'nen dummen Spruch und schreiben ihn ins Gipfelbuch. Sandlochscheibe 1992 Jeder, der ins Lager der Lügner wechselt, wird dort freudig begrüßt: "Hast Du endlich die Wahrheit gefunden?" Polenzwacht 1986 (!) Man fühlt sich immer wie 17, es geht nur etwas schwerer. Totenkirchl 2004 Stell' die Dusche früh auf kalt, und dann biste munter bald! Steige fix ins Zügle ein, was Dich bringt nach Schmilka rein. Auf die Berge rauf und runter, bleibt 89 froh und munter! Kipphornwächter 1989 Politiker lügen nicht, sie verkünden sachzwangreduzierte Wahrheiten. Zschirnsteinwarte 2005 Arbeit ist die primitivste Form der Vermögensbildung. Troll 2002 Wer sich selbst besiegt, erspart sich viele Niederlagen. Troll 2003 Stürzt man mitsamt dem Ring ins Tal, dann war's beim Stahl die falsche Wahl. Peterskirche 2004 Glück im Spiel - mehr Geld für die Liebe! Sandlochturm 2006 Das Reinheitsgebot gilt für Bier, nicht für die Füße. Heringsgrundturm 1993 Warum soll man als Frau in Anstand alt werden - lieber unanständig jung bleiben! Heringsgrundturm 2007 (und warum soll das nur für Frauen gelten?!) Steige langsam und gediegen, wenn Du schnell trittst, wirst Du fliegen. Halte Ruhe hoch und heilig! Nur Verrückte klettern eilig! Elbtalturm 2005 Nicht jeder, der getan hat, was er konnte, hat auch gekonnt, was er getan hat. Elbtalturm 2010 Ski fahren ist aber auch schön. Elbtalturm 2008 Der schlaue Mann geht um den Berg. Altes Chinesisches Sprichwort Max & Moritz, 2011 Auf dieser Quacke zu stehen, ist schöner als nach Hause zu geh'n. Germane, 2013 Motto Sächsischer Bergsteiger: Fassen und gefasst sein. Satanskopf, 2014 Erst hoch geschunden, dann keinen Spruch gefunden. Gespaltener Kopf, 2015 Bei Schnee und Eis ist mit Fleiß und Schweiß der Gipfel unser Preis. Wurzelwarte, 2016 Rumpeldibumbel - Weg war der Kumpel. Holterdipolter! Da unten rollt er. Bouldern wollt' er. Haselmaus 2022 ---------------------------------------------------------- Zur DDR-Zeit sehr populäre Sprüche: ----------------------------------- Viele stürmen heut' die Höhn nach eignen Sportbegriffen, der Fels dabei wird nicht gesehn, geschweige denn begriffen. Ich liebe meine Berge, und das mit gutem Recht: Hier oben bin ich König, da unten bin ich Knecht. (verursachte eine Stasi-Vorladung)