Report von der Seniorenfront: Organisierte Wanderung

Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki (zwinki2 @ gmx . de)

Jeder, der beim Start eines 200er Radmarathons wenigstens zugesehen hat, weiß um auffällig viele Grauhaarige unter den Teilnehmern. Und wer einen mitfährt, weiß auch, dass es nicht selten gerade die Jüngeren sind, die einbrechen :-) Der Grund ist klar: Ein Grauhaariger sollte wissen, was er sich zutraut, und daher normalerweise nicht einbrechen. Was nicht heißt, dass die Alten langsam fahren. Nein, ganz und gar nicht.

Ivo weiß zu erzählen, dass 60+ ein durchaus vernünftiges Alter für Paris-Brest-Paris (PBP, 1200km in 90 Stunden) ist. Leo, das weißhaarige Phänomen aus Aachen, ist auch so ein PBP-Hirsch. Ich treffe ihn bei Touren ab Supercup aufwärts und schaffte es erst letztes Jahr, in mal sauber hinter mir zu lassen - bei schweren Bergtouren, versteht sich.

Soweit nichts Neues. Am Samstag, den 26.1.02, wagte ich mich jedoch in die Höhle des Löwen: Ich nahm zum 5. Mal in 20 Jahren an einer Leistungswanderung teil. Dass man dort mit 60- erst einmal zeigen muss, was man kann, wusste ich. Aber ich bin 50-. Ich wollte die 43km der Dresdner Wintertour versuchsweise in 7 Stunden schaffen. Warum? Weil ich es nicht ausschließen konnte, dass das zu schaffen wäre. War aber nicht zu schaffen für mich, ich glaube einfach vom Laufen her. Auch ohne Glatteis, Schlamm und Höhenmeter wäre ich nicht 40 Minuten schneller gewesen. OK, muss nicht sein. Ist ja nur was nebenbei.

Wir starten 7 Uhr im Dunkeln als kleine Gruppe (die Masse kam etwas später, Start ist bis 9 Uhr). Ich laufe gern schnell los, neben mir ein sehr fideler, vermutlich Gleichaltriger. Man redet von Südamerika, Schuhen voll Blut, Schuhspannern, aber wenigstens nicht von den 100er Touren (das sind für mich Extremis). Es wird heller, der "gleichaltrige" Weggefährte stellt sich als 64jähriger heraus, der seit der Wende nicht nur alle Kontinente, sondern einen ziemlichen Teil der Länder bereiste. Sein Doping ist nicht etwa EPO oder Anabolika (von Kohlehydraten ganz zu schweigen), sondern er hat eine 25 Jahre jüngere Freundin. Aha. Auf einer Weltkarte markieren sie, wo sie schon überall waren. Ein schwarzes Fähnchen für den bewaffneten Raubüberfall in Ecuador, wo er trotz Kopfplatzwunde (beim Niederschlagen) am nächsten Tag bei schlechtem Wetter auf 5000m Höhe stieg. Solche Leute sind die Leistungswanderer. Übrigens geht er dreimal die Woche ins Fitnessstudio.

Ein ausgesprochenes Baby - wohl erst so um die 30 - überholt uns mit kurzen Beinen und einem mordsmäßigen Schritt. Den sehen wir nicht wieder, dachte ich. Die Rentner, die schneller sind als wir, laufen einfach einen Tic flotter, und außerdem rennen sie ab und zu. Ja, wirklich, die rennen. Muss man gesehen haben.

Mein Weggefährte ist glücklich, dass ich noch schnell auf den Breiten Stein wegen der Aussicht hoch will. Bisher jagten seine Begleiter immer derart durch den Wald, dass er den Anschluss bei Extrawürsten nie wieder geschafft hätte. Zur Information: Das waren vielleicht mal 100m nach rechts, kurz den Berg hoch. Habe mir sogar noch den Luxus zweier Fotos unterwegs geleistet!

In der Streckenmitte (Ziel für die "Kurzstreckler") liegen wir gut im Rennen, so etwa 10-12 Leute vor uns. Es geht leidlich weiter, aber für mich ist viel zu viel asphaltiert. Man hat viele Wanderwege asphaltiert und Radwege daraus gemacht. Des einen Freud, des anderen Leid. Nicht Blasen sind mein Problem - das kann man wegstecken -, sondern richtig böse Schmerzen im Fußinnern und seitlich an den Knieen als Folge. Das wird auf dem "Heimweg" (es geht von der Sächsischen Schweiz wieder zurück zum Start) immer mehr zum Problem. Ab und zu jogge ich etwas, um mit dem Tempo eines 64jährigen mitzuhalten. Dennoch überholt uns ein Ehepaar, dass nicht so unverschämt jung wie mein Begleiter wirkt. Ich kann einfach nicht Schritt halten. Mein Begleiter hat ein ganz konstantes Tempo, allerdings ziemlich hoch.

Nur an einem richtig steilen Anstieg (250Hm am Stück) bin ich besser als die beiden Speedys. Möchte ja auch sein. Irgendwo muss sich die Jugend doch in Szene setzen. Oben sieht er nicht gut aus, die Frau ist auch ganz schön rot und blass. Ob sie sich übernommen haben? Sie bleiben erst einmal hinter uns, Windschatten genießen. Aber dann ... dann pesen sie wieder los. Keine Chance.

Gegen Ende kommt wieder kilometerlang asphaltierter Bahndamm. Das Laufen tut derart weh, dass ich meinen Begleiter erst einmal ziehen lasse. Ich muss beissen wie bei den schwersten Radtouren. Vor einiger Zeit brauchte ich schon ein Powerbar; so etwas bleibt prinzipiell für Extremsituationen reserviert.

Im Ziel werden wir beide 11. und 12. von 56 auf der langen Strecke. Wir verabschieden uns. Die Organisatoren erzählen, dass mal eine junge Mutter ihren 10jährigen Sohn auf die Strecke mitschleifte (Kontrollschluss ist 11 Stunden nach Start, sie schafften es gerade so). Danach schleiche ich - anders kann man es nicht mehr nennen - zur Bushaltestelle. Zum ersten Mal seit 8 Stunden sitzen. Da kommt das Baby gelaufen, sprich der 30jährige. 15 Minuten nach mir. "Nanu," sage ich, "Du warst doch mit einem Höllentempo vorweggestürmt?" - "Ja ... das war einmal ... Scheißasphalt." Die Welt ist wieder in Ordnung.

Also, falls jemand so etwas mal mitmachen will und nicht von Natur aus ein besserer Geher ist als ich: Ehret die Alten. Sonst sollte er dort gar nicht starten. Dranhängen kann schiefgehen. Die Dresdner Extremwanderer, die mit 333 und 444km zweimal den Weltrekord holten, sind übrigens fast alle über 60 gewesen.

Radfahren fällt mir jedenfalls deutlich leichter :-) So gebissen wie heute habe ich nur bei den wildesten Touren letztes Jahr. Aber schön war es trotzdem, wenn man von den Schmerzen absieht. Wir hatten teilweise herrliche Sicht und tolles Wetter bekommen.

Mal sehen, ob wir am Sonntag ein kurzes Stück harmlos Rad fahren. Eines mache ich mit Sicherheit nicht: Laufen!

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