"Erstauflage": 21.Sep 22:42
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Radfernfahrt Berlin-Rom-Neapel 2000

Erlebt und aufgeschrieben von Zwinki

Übersicht

Einleitung
Prolog: Berlin-Potsdam 38km
1.Etappe: Potsdam-Halle 153km
2.Etappe: Halle-Erfurt 125km
3.Etappe: Erfurt-Gößweinstein 184km
4.Etappe: Gößweinstein-Eichstädt 143km
5.Etappe: Eichstädt-München 130km
6.Etappe: München-Innsbruck 161km
7.Etappe: Innsbruck-Bolzano über Brenner und Penser Joch 126km
8.Etappe: Bolzano-Trient über Niger- und Karerpaß 137km
9.Etappe: Trient-Verona über Monte Bondone 147km
Ruhetag in Verona
10.Etappe: Verona-Bologna - Pianoro 157km
11.Etappe: Bologna/Pianoro-Florenz 121km
12.Etappe: Florenz-Siena 69km
13.Etappe: Siena-Cortona 82km
14.Etappe: Cortona - Viterbo - Vetralla 170km
15.Etappe: Vetralla-Rom 73km
16.Etappe: Rom-Gaeta 172km
17.Etappe: Gaeta-Neapel 102km
Ein Tag in Neapel
Rückreise
Packliste

Einleitung

Vom 26.8. bis 15.9.2000 nahm ich an einer organisierten Radfernfahrt Berlin-Rom-Neapel teil. In diesem Jahr gab es drei solche Veranstaltungen vom gleichen Organisator (Peter Scheunemann): Die Kuba-Rundfahrt, die Tour Berlin-Paris-Berlin sowie unsere Fahrt. Alle drei Fahrten liefen nach dem gleichen Schema ab, jedoch wurde nur die zweite (Berlin-Paris-Berlin) Internationale Touristische Friedensfahrt (ITF) genannt. Das hat politische Gründe (z.B. Fördermittel, Teilnahme von Osteuropäern) und spielt hier keine Rolle. Hinter der Fahrt stehen der RKB "Solidarität" Berlin-Brandenburg e.V. (Rad- und Kraftfahrerbund), das Kuratorium Friedensfahrt und die Gesellschaft für deutsch-italienische Freundschaft. Die Fahrtenreihe ist keinesfalls neu; sie begann im Jahre 1984 auf der Route der Friedensfahrt und hatte Ziele wie Prag, Warschau, Istanbul und St.Petersburg angesteuert. Nur so viel zum Formalen.

Diese Fahrten sind keine Reiseveranstaltungen, sondern gemeinsame Reisen von Radfahrern, die auf eigene Verantwortung unternommen werden. Der Organisator sorgt für Unterkunft, Gepäcktransport, Verpflegung und Streckenauswahl und springt bei Unvorhergesehenem ein (z.B. medizinischen Notfällen, Schäden etc.). Grundprinzip ist aber: Jeder hilft jedem, und jeder hilft mit - beim Gepäckausladen, Geschirr wegräumen usw. Die Quartiere sind sehr einfach gehalten; in diesem Jahr Jugendherbergen und drei Hotels. Es hat auch schon Übernachtungen in Turnhallen gegeben mit einem Wasserbecken auf der Pferdeweide als Waschgelegenheit (Rumänien). Dafür kostete alles zusammen zunächst einmal inklusive Rückflug ab Rom nur 1350 DM. Eine tolle Sache also. Vor allem ist die ITF in Ecken gefahren, in die sich sonst keiner traute - z.B. eben durch den ganzen Balkan bis nach Istanbul.

Während bei der ITF bis zu 150 (oder mehr) Teilnehmer dabei sind (das ist zuviel), hatten wir es als anfangs 25 MännInnen starke Gruppe mit 6 Betreuern sehr gut. Man lernte sich kennen, und es gab nicht so viel Streß durch Wartezeiten (Streß gibt es trotzdem genug).

Der sportliche Anspruch ist recht hoch. Mein Partner Peter und ich legten in 17 Etappen (und einem kurzen Prolog) etwa 2350km und 21000 Höhenmeter (!) zurück. Es gab eigentlich nur an zwei Tagen keinen Gegenwind. Die durchschnittliche Streckenlänge liegt bei reichlich 130km, eine Reihe Etappen bei 170-180km. Gefahren wird bei jedem Wetter. Peter Scheunemann betont immer, daß jeder halbwegs trainierte Mensch das Pensum schaffen kann, doch es gehört schon einige Ausdauer dazu - man sollte nicht gerade unsportlich sein. Kein Wunder also, wenn Rennfahrer die Mehrheit bildeten. Es gab allerdings auch Trekkingrad- und MTB-Fahrer; Thomas z.B. schlug sich mit seinem Stollenreifen-MTB hervorragend.

Wer sich nicht gut fühlte, konnte Berge auslassen (das nutzte jeder außer Peter und mir) oder sogar ein Stück mit der Bahn fahren. Als Mindest-Bruttogeschwindigkeit werden 20km/h angegeben. Das ist aber etwas zu langsam.

Bei solch langen Strecken bleiben Abenteuer natürlich nicht aus. Es ist einfach nicht möglich, eine genaue Streckenbeschreibung vorher zu erstellen. Fragen vor Ort, Verhauer, organisatorische Probleme, Pannen bei der Verpflegung usw. werden nicht ausbleiben. Zusammen mit manchmal spartanischen Unterkünften heißt das: Erwartungen herunterschrauben. Dafür gibt es in dieser Preisklasse keine Alternativen zu unserem Unternehmen. Und es ist immer ein Abenteuer.

Soviel zum Allgemeinen; wer sich für mehr interessiert, klicke meinen Namen oben an und schicke mir eine Mail. Der eigentliche Grund, dieses Tagebuch zu veröffentlichen, sind meine unzähligen schönen (und schlimmen) Erlebnisse auf der Fahrt sowie meine Erfahrungen: Wie ist das, wenn man fast drei Wochen hintereinander mit nur einer Pause täglich 100-180km bei jedem Wetter Berge fährt?

Abkürzungen

OA = Ortsausgang
OE = Ortseingang
JH = Jugendherberge
ITF = Internationale Touristische Friedensfahrt

Prolog: Berlin-Potsdam

38.5km, 19.5 km/h, 100Hm (Höhenmeter)

Am Samstag, den 26.8., geht es bei schönstem Wetter per Wochenendticket von Dresden nach Berlin. Meine Form ist sehr gut, erst vor einer Woche absolvierte ich den schweren Colmnitzer Supercup (248km, 3800 Hm) bei großer Hitze. In den Alpen fuhr ich den für mich sehr schweren Dreiländergiro mit (u.a. Stilfser Joch von Prad aus und danach den Ofenpaß), zwei 300km-Touren absolvierte ich mit Freude. Reichlich 7500km mit dem Rennrad habe ich dieses Jahr schon in den Beinen, vorwiegend in langen Touren. Nur weiß ich noch nicht, welche Beschwerden ich bei Dauerbelastungen über drei Wochen haben werde. Das wird sich herausstellen. Ich freue mich jedenfalls sehr auf die bevorstehende Fahrt.

Der Rucksack wiegt satte 25kg, doch die 2km bis zum Bahnhof sind zu schaffen. Das Umsteigen in Elsterwerda ist ein Ratespiel, denn es gibt dort weder Anzeigen noch Ansagen. Die Leute sind wütend: "Schlimmer als in der DDR!" Wir werden uns in den nächsten drei Wochen noch viel mehr durchfragen müssen ...

Start ist am Marlene-Dietrich-Platz im Neubaugebiet Potsdamer Platz. Nach und nach findet sich ein bunter Haufen zusammen. Die jüngsten Teilnehmer sind eigentlich zwei Schwestern mit 14 und 15 Jahren (Leistungssportler im Kunstradfahren), doch heute fährt ein 12jähriger mit seinem Großvater den Prolog zur Feier des Tages mit. Die ältesten Teilnehmer zählen teils deutlich über 60 Lenze und sind (wie bei Rennradlern wohl nicht anders zu erwarten) nicht gerade die schwächsten. Willy z.B. besitzt alle Supercuptrikots seit 1990. Er wird während der Fahrt 65. - Einige Fahrer werden erst in Halle und München zu uns stoßen.

16.00 der Start im Konvoi, wir steuern im dichten Berliner Verkehr das Brandenburger Tor an. Eigentlich soll dort das offizielle Startfoto geschossen werden, aber es kommt alles irgendwie durcheinander. Egal, wir sind sowieso noch nicht vollzählig. Hauptsache: Wenn ich bis Neapel komme, dann bin ich vom "eigentlichen Zentrum" Berlins aus gefahren, und das soll bitte ohne fremde Hilfe (außer beim Gepäcktransport) geschehen.

Die Straßen und Radwege in Westberlin sind keinesfalls besser als in Dresden. Wir besteigen noch den Glockenturm des Olympiastadions - es ist herrliche Sicht - und fahren an diversen Seen auf mäßigen Radwegen vorbei. An der Glienicker Brücke verabschiedet uns eine Potsdamer Senatorin. Wichtig, denn das bringt evtl. Geld ...

Meinen Höhenmesser hatte ich vergessen einzuschalten. Sagen wir mal 100Hm.

Das Jugendhaus in Potsdam ist mäßig, Abendessen gibt es keines. Der Asia-Imbiß gegenüber entschädigt uns vollends. Ich habe ziemlichen Hunger und bestelle mir nachträglich noch die eigenartige, aber gute Suppe Nr.4. Da muß etwas drin gewesen sein, das am nächsten Tag wirkte - so eine Art Asia-Doping.

1.Etappe: Potsdam-Halle

153km, 28.2 km/h, 700Hm

Wir erhalten Kartenkopien und eine genaue Streckenbeschreibung, die auch recht gut stimmt. Zusätzlich verteilt der Organisator Peter Scheunemann Prospekthüllen, damit das Papier sich in unseren verschwitzten Trikots nicht auflöst. Ein guter Gedanke.

Punkt 8.00 Start, das wird ab heute immer so sein. Strahlend schönes Wetter, leider aber Südwind - sprich Gegenwind. Eigentlich sollte bei einer Fernfahrt von Nord nach Süd Rücken- bis Kantenwind sein, doch mit Ausnahme zweier Tage kamen wir nicht in diesen Genuß. Dafür - und das ist wohl wichtiger - bleiben wir mit Ausnahme eines Tages trocken.

Daß vor Halle die Landschaft öd werden wird, ist mir klar, und über die Straßenqualität mache ich mir keine Illusionen. Doch ich hätte nicht gedacht, wie schön der größte Teil der Strecke sein würde. Gute Straßen, viel Wald, wenig Verkehr, oft schöne Landschaft: Alles, was das Radlerherz begehrt, wäre da nicht dieser verfluchte, relativ starke Gegenwind.

Mir geht's prima, ich fahre vorne mit. Allmählich werden wir immer weniger, bis nur noch Peter (aus einem Dorf zwischen Braunschweig und Harz) und ich übrigbleiben. Schnell merken wir, daß wir sportlich sehr gut zusammenpassen. Pünktlich im Minutentakt wechseln wir die Führung und sind so sehr schnell.

Am ersten Buffet (d.h., Verpflegung aus einem Begleitwagen heraus; sie bauen immer einen Tisch mit Essereien auf) sind wir schneller als gedacht. Der Tisch wird gerade erst aufgeklappt. Jaja, an unser Tempo müßt Ihr Euch jetzt gewöhnen :-) ... in anderen Jahren waren aber mehr schnelle Leute dabei, vor allem Ex-Aktive. Unser Schnitt liegt noch bei 31.1 - der Wind wirkt im Wald nicht so sehr.

Und dann schon der erste ernste Zwischenfall. Willy, unser (noch) 64jähriger Mitstreiter im Supercup-Trikot, hat einen Rahmenbruch. Ein ganz "junger" Eddy-Merckx-Rahmen aus Alu, und das Schaltauge bricht einfach so auf ebener Strecke waagerecht durch. Eben Aluminium, lautet da mein sarkastischer Kommentar. Der Schaltungskäfig wurde natürlich zerstört, weitere Schäden blieben glücklicherweise aus. Willy fährt erst einmal im Besenwagen mit.

Einer hat bereits aufgegeben, als er merkte, daß die Leute hier schneller als 20km/h fahren. Der hat was mit Brutto- und Nettogeschwindigkeit falsch verstanden. Ist besser so, denn die "dicken Hunde" kommen ja erst, und was für welche!

Peter und ich starten vor den anderen. Peter ist aktiver Triathlet sowie Skilangläufer (Weltcups) und kurze Pausen gewohnt. Für mich ein gutes Training, ich mache sonst längere Pausen.

Der Wald wird lichter, der Wind zerrt stärker. Wir kommen durch den bedeutenden Ort Hundeluft. Später begegnen wir zwei ausgeruhten Rennradlern, die uns nach Anblick der Startnummern am Rahmen (mit der ehrfurchterregenden Aufschrift "Berlin-Rom-Neapel") gleich in den Windschatten nehmen. Schon geht es statt mit 33 km/h mit locker 40 vorwärts - ohne größere Anstrengung. Leider biegen die beiden nach einigem km ab. War das schön.

Die Durchfahrt durch Dessau ist kompliziert, aber letztendlich landen wird bald auf der richtigen Ausfahrt. Durch Dessau fuhr ich im Mai schon. Es ist eine schöne Stadt. Diesmal sehen wir nicht viel davon.

Beim 2. Buffet (km 110) haben wir immer noch 30er Schnitt. Dann kommen Orte wie Salzfurtkapelle, die uns mit fürchterlichem Pflaster (oft ist nur der Randstreifen aus Sand befahrbar) ausbremsen. Ich habe es nicht anders erwartet.

Je näher wir Halle kommen, desto schlechter werden die Straßen, desto öder die Ortschaften und desto aggressiver die Autofahrer. Man hupt böse, weil wir den undiskutablen Radweg nicht benutzen. Das kenne ich aus Sachsen nicht.

Peter hat mit seinen 53 Jahren einen bemerkenswert guten Blick, wen er nach dem Weg fragt (in Italien werde ich dann dran sein): Diesmal ist es eine langhaarige Blondine auf dem Fahrrad. Über wirklich schlimme Holperstrecken geraten wir als erste zur Jugendherberge, die im Unterschied zur Stadt innen sehr schön ist: alte, reich verzierte Holztäfelung, kunstvolle Treppengeländer, gutes Mobiliar.

Wir sind lange vor den nächsten da, ich glaube, sogar 30 Minuten. Wow, wenn das so weitergeht ...

Peter geht als Triathlet danach gleich noch 1 Stunde rennen. Viel Spaß!

Beim warmen Abendbrot gibt es Nachschlag für Hungrige - ich esse gleich zweimal. In der ersten Woche habe ich noch einen Mordshunger, und das ist gut so, denn richtig essen ist entscheidend für das Durchhalten so einer Fahrt.

Willy schläft mit Peter und mir im gleichen Zimmer - wir waren auch die drei ersten am 1. Buffet, allerdings aus verschiedenen Gründen. Doch auch Willy hat seine Qualitäten: Er schnarcht wie in der Vorrunde zur 1. Innerdeutschen Kreissägenmeisterschaft. Sein Rad wurde bis in die Nacht hinein von einem Hallenser Fahrradmechaniker repariert - er fertigte eine neue Grundplatte an und verschraubte sie mit den Rahmenresten. Willy kann wieder fahren. In solchen Punkten zeigt Peter Scheunemann seine bemerkenswerten Improvisationsfähigkeiten.

2.Etappe: Halle-Erfurt

125.2 km, 24.7 km/h, 970 Hm

Früh hat sich der Himmel grau bedeckt - noch schlimmer, die Wolken sind sogar aktiv: Es regnet. Zum Start pünktlich 8 Uhr hat es jedoch aufgehört, und es wird sogar recht warm. Im letzten Moment stößt ein Neuer zu uns. Als ich diesen dürren Hund auf seinem Müsing-Rad im Profitrikot sehe, denke ich mir sofort: Der wird Dir zeigen, wo Barthel den Most holt.

15 km unangenehme Fahrt aus der Stadt heraus (Schienen, rutschige Schlackesteine, Baustellen, aggressive Autofahrer). Wir legen sie im Konvoi zurück und philosophieren, ob die jahrzehntelange Verpestung der Luft durch Chemieindustrie nicht doch eine Auswirkung auf den hiesigen Charakter gehabt haben könnte. Dann beschleunigt unser Leitfahrzeug plötzlich sehr stark, automatisch sprinte ich mit 40 Sachen und mehr hinterher. Ach so, das war der "scharfe" Start! Kurze Zeit danach ist Peter wieder bei mir und sagt: "Du, heute sind wir zu dritt!" Ich brauche mich gar nicht umzudrehen, mir ist schon klar, wer da hinten fährt: Der Neue. Dummerweise noch ein Peter. Ich werde ihn für dieses Tagebuch "Dürrpeter" nennen, denn er wiegt wirklich nichts und fährt dementsprechend große Übersetzungen an den Bergen. 42:21 als kleinste. Und damit über die Alpen? Wer ist das?

Seine Gesellschaft ist willkommen, denn der Wind bläst heute noch stärker und direkt von vorn. Allerdings klappt der Führungswechsel nun den ganzen Tag nicht mehr richtig. Das paßt gar nicht zum Bild vom "Profi".

Die Strecke wird deutlich welliger als gestern, und obendrein macht der Wind aus einem 4%er gleich einen 8%er. Der Dürrpeter zieht uns mit seinen 60kg am Berg davon (Triapeter wiegt 70kg, ich satte 80kg). Dafür fährt er schlecht ab. Auf der Ebene können wir gut mithalten, doch es läuft zäh. Am 1. Buffet überfällt mich der Hunger. Die Leute vom Dorf stehen herum, reden aber nicht mit uns. Komische Typen. Wo sind wir hier gelandet.

Ich freute mich auf Thüringen wegen der schöneren Landschaft. Das stimmt, doch ich vergaß, daß die Straßen dort nicht unbedingt besser sein müssen als in Sachsen-Anhalt. Auch die Orientierung fällt schwer. Jeder von uns irrt einmal.

Das schlimmste Stück sind wohl die 3km Betonplattenstraße zum ehemaligen KZ Buchenwald hoch. Diese Straße wird aus historischen Gründen bewußt nicht ausgebaut, und wir kommen uns langsam auch vor wie auf dem Weg zum KZ. Am Glockenturm von Buchenwald haben wir endlich einmal das 2. Buffet überholt. Der Wagen kommt an, als wir gerade weiter wollen. Kurz darauf sehen wir auch die ersten "Verfolger".

Der Ausblick ist leider sehr diesig. Vor 33 Jahren war ich hier zu einer Jugendweiheveranstaltung - unter welch anderen Umständen!

Der Stadtverkehr in Erfurt ist wohl einer der gefährlichsten, den ich bis dato erlebte. Die anderen sehen das auch so. Selbst auf offener Landstraße (ohne Radweg und rechts fahrend) wurden wir grundlos angehupt.

Ich habe die Slips vergessen mitzunehmen. Doch deren Kauf ist nicht so einfach. Das einzige Kaufhaus befindet sich in Auflösung, und dort wie im nächsten Geschäft finden sich nur Slips in den Größen 8-10. Ob das mit dem vielen Kuchenessen zusammenhängt? Als ich endlich doch noch meine Größe erwische, stürzen wir gleich in die nächste Konditorei ...

Die Jugendherberge ist auf unserer Etage sehr dürftig, noch halb im Umbau und dreckig. Dafür gibt es für Hungrige (also mich) zwei Abendessen.

Eine Führung durch die schöne Stadt und ein drittes Abendessen im Steakhouse (Kaktussprossen, mal was Neues) beschließen den sehr anstrengenden Tag. Orkanschläfer Willy ist wieder in unserem Zimmer. Irgendwann geht der Schlafmangel auf die Kräfte ...

1.Story vom Professor

Einer unserer Teilnehmer - satte 100kg bringt er aufs Rennrad - heißt "Professor", weil er reden kann, ohne Luft zu holen. Ein Urberliner, der nur den Mund aufzumachen braucht, damit sich alle vor Lachen wälzen. Er ist ein seltener Radfahrer. Man glaubt nicht, daß er schon so eine Fahrt mitmachte. Das kam so: Er traf Peter Scheunemann im Wald bei der Wegemarkierung. Im Gespräch lud Peter ihn zur ITF ein. Der Professor: "Ick kann aba überhaupt nicht radfahrn!" - "Macht doch nichts, dann lernst Du es eben!" Und nach 4 Wochen ging es schon los. Schickes Rennrad, schicke Klickpedalen. Nur hätte er vorher das Ausklinken üben sollen. Seine Begrüßung war typisch: Heranrollen, "Hallo!" - und dann fiel er um. Alles lachte.

Das blieb aber so. Bei der ersten Etappe seiner ersten Fahrt muß er an die 6mal umgefallen sein und kam ziemlich blutig an. Aber er hielt bis zum Ende der Fahrt durch.

Dann kam er an eine geschlossene Bahnschranke. Sechs Rennfahrer standen schon dort, eine Lücke blieb für ihn außen. "Hallo!" - er fuhr heran, kippte natürlich prompt um, und mit ihm sechs Rennfahrer wie die Dominosteine. Das schöne daran ist ja, daß er die Stories selbst erzählt (und die anderen sie bestätigen).

3.Etappe: Erfurt-Gößweinstein

183.8km, 27km/h, 1800Hm

Wieder eine unruhige Nacht (Willy! Willy!!) - und dann am Abend vorher weder Stretching noch Einschmieren mit Sixtus-Sport-Aktiv-Öl (nicht zu verwechseln mit den ziemlich wirkungslosen Mittelchen vor dem Start) - wenn das mal gut geht! Denn es steht nach bisherigen Erkenntnissen die Königsetappe an zur Burg Gößweinstein in der Fränkischen Schweiz. Vorher wird der Thüringer Wald komplett überquert. Einige sparen sich das per Bahnfahrt. Nach Gößweinstein hoch soll ein fürchterlicher 20%er führen, im Internet erhielt ich schon mehrere Warnungen. Und das am Ende so einer Etappe.

Ein weiterer Fahrer steigt aus - ein schwerhöriger, älterer Mann, der offensichtlich nicht so leistungsfähig ist und starke Kniebeschwerden hat. Er bleibt der letzte, der aufgibt - die restlichen 23 kommen durch.

8.00 bei gutem Wetter Start; die Fahrt aus der Stadt heraus (hinter dem Wagen von Peter Scheunemann) ist diesmal kurz, aber bergig.

Das Profil ist deutlich welliger als gestern, doch längere Zeit gibt es mal keinen Gegenwind, und die Sicht ist schön. Vorn grüßt bereits der Thüringer Wald, über den wir ja als erstes müssen. Wir sind wieder zu dritt - zwei Peters und ich, so wie gestern. Es geht zackig zur Sache. Irgendwann holt uns die Verfolgergruppe ein. Chaotische Sprints werden gestartet (vielleicht wäre Ruhe gewesen, hätte ich Ingo überholt - ich fuhr gerade so schön mit 42 km/h eine Rampe hoch :-), man fährt ziemlich unkontrolliert, aber Führungsarbeit will keiner leisten. Erst ein als langer 10%er ausgewiesener, nur teilweise 8% erreichender Berg zerlegt das Feld. Ich fahre mein Tempo und komme als 4. oben am Buffet an. Schöne Sicht, die Sonne scheint.

Unser Trio bricht beizeiten wieder auf, weil wir unsere Ruhe haben wollen. Das wird so bis ins Ziel bleiben.

Schlimm wird ein 10km langer Anstieg hinter Katzhütte für mich. Der dürre Peter ist mit 60kg weit vornweg, danach kommt Tria-Peter mit 70kg, und ich hänge mit 80kg erwartungsgemäß hinten. An solchen langen Anstiegen nützt mir meine Kraft wenig.

Dürrpeter wartet entgegen der Verabredung nicht oben. Das finde ich nicht in Ordnung.

Eine sehr lange, rasante Abfahrt auf engen Straßen durch Steinach und Lauscha erfordert unsere ganze Aufmerksamkeit; von den Orten sehen wir daher nicht so viel.

Zwischen Thüringer Wald und Fränkischer Schweiz erwartet uns überraschenderweise ein langes Flachstück mit schönen Blicken auf beide Gebirge. Bis zum nächsten Buffet ist es noch weit. Dort treffen wir endlich Dürrpeter wieder, der auf das Buffetauto wartet - wir waren wieder viel zu schnell. Per Handy versende ich eine SMS, die aber nicht gelesen wird: Damit hat sich noch keiner beschäftigt. Ich habe aber viel davon geredet.

Die folgende Fahrt wird sehr reizvoll und nur wenig wellig, bis auf einen angeblichen 16%er, der in Wahrheit ein kurzer 10%er ist (ich habe eine Neigungsmesser-Libelle am Lenker und weiß daher immer bescheid). Die Orientierung ist etwas unklar. Der erste von uns (wir fahren entsprechend langsam hoch!) fragt einen nicht allzu helle aussehenden Bauern am Straßenrand, ob wir richtig sind. Als ich als letzter schließlich vorbeikomme, antwortete er gedehnt: "Joooo ..." Hm, die Leute scheinen dort nicht so fix zu sein, denn wir erlebten Ähnliches noch ein paarmal.

Am 3. Buffet steht Peter Scheunemann entgegen der Verabredung nicht da. Dürrpeter hat schon vorher Probleme und steht kurz vor dem Hungerast. Triapeter und ich fahren weiter. Zu Dürrpeter würde meine dicke Schwiegermutter sagen: "Kein Wunder, die dürren Ludersch ham och nischt zum Zusetzen!" Dafür wird Dürrpeter zum 75. Geburtstag eines Schwiegervaters im Dorf eingeladen und reichlich bewirtet. Hm, die Leute sind vielleicht langsam, aber nett ... Von der Bauernstube aus sah er draußen das Auto von Peter Scheunemann vorbeiflitzen. Dieser erwischt Tria-Peter und mich in Hollfeld und versorgt uns außerplanmäßig mit Müsliriegeln und Getränken.

Triapeter und ich jagen nun mit meist 35km/h durch das herrliche Wiesenttal. Die Gegend ist wirklich schön. Rechts und links beängstigend steile Straßen; wir dürfen zum Glück unten bleiben. Unserer Staffelwechselmaschine läuft auf Hochtouren. Endlich klappt das wieder.

Der berüchtigte 20%er (angezeigte 18%) nach Gößweinstein scheint nur 16% zu haben und besteht aus einer kurzen Rampe (unten) sowie einer längeren oben. Peter kämpft sich verbissen hoch, ich komme dank Dreifachkurbel und 26:24 (also fast 1:1) recht leidlich durch. Allerdings bin ich noch nie so eine Rampe nach 180km Bergen gefahren.

Dürrpeter trifft einige Zeit nach uns ein (er schob den Berg, mit 42:21 und Hungerast wird das wohl schwierig), und der "typische Vierte", Eberhard mit seinen 64 Jahren, etwa 40 Minuten später.

Der Herbergswirt ist unfreundlich, die JH selbst aber recht gut, vor allem das Essen. Triapeter kippt sich versehentlich braune Dressingsauce über süßen Quark und ißt das Gemisch heldenhaft auf. Wir kringeln uns vor Lachen. Hauptsache, Kalorien!

Ich bin mit zwei Mittagessen und zwei größeren Schüsseln Quark zufrieden.

Eine Führung durch die Basilika von Gößweinstein durch einen Franziskanermönch sowie ein recht interessanter Stadtrundgang mit dem Nachtwächter beschließen den schönen, sonnigen Tag. Unter anderem erfahren wir durch den Nachtwächter, woher der Begriff "Schlitzohr" kommt: Handwerkergesellen trugen einen Ohrring als Zeichen ihrer "Reife". "Unreifen", die sich etwas Schwerwiegendes zuschulde kommen ließen, wurde ein Strick durch den Ohrring gefädelt und dann einmal kräftig gezogen.

4.Etappe: Gößweinstein-Eichstädt

142.5km, 29.7km/h bis OE, 29.5 bis JH, 800Hm

Endlich habe ich einmal gut geschlafen (ohne Orkanschläfer Willy). Dafür die anderen nicht, denn diesmal war ich dran mit Schnarchen (wenngleich ich mit Willy niemals mithalten kann). Es ist wohl eine unterschwellige Erkältung - auf die Form wirkt sie sich nicht aus. Gleich einen Schuß Vitamin C extra in die Trinkflasche (das gibt es als Pulver gut und sehr preiswert in dm-Drogerien).

Früh sieht es draußen grau aus, doch es ist wärmer als gedacht. Bei knapp 20 Grad kann man "ganz kurz" fahren.

Unser Petertrio ist gleich wieder beisammen, es geht sehr zügig los. Die Bodenwellen sind nicht schlimm, obwohl sogar mal 9% und 10% erreicht werden. Das Wetter macht sich - herrliche Morgenstimmung, wir fahren durch eine Museumslandschaft. Man könnte fast jeden Ort fotografieren. Viel Wald, kaum Wind, geringer Verkehr und Spitzenform bei uns allen dreien: Schöner kann Radfahren kaum sein. Kein Spur vom angekündigten "schwachen Tag" nach den ersten harten Etappen. Vor 3 Tagen noch waren wir am Stadtrand von Berlin ... Radfahren ist schon etwas sehr Schönes.

Nun wird die Strecke deutlich flacher. Vor Neumarkt viel Verkehr, obendrein vertrödeln wir Zeit (und den guten Schnitt!) auf der Suche nach dem ersten Buffet.

Dort stecken wir uns ausreichend Verpflegung ein. Ich fülle eine kleine Extraflasche mit auf (ich fahre immer mit einem kleinen Rucksack). Wir sausen los. Früh stöhnte Dürrpeter noch über mein Tempo, jetzt bremst mich der andere Peter ab und zu. Ich fühle mich heute aber auch hervorragend und führe meistens. Bei leichtem Gegenwind zeigt der Tacho 33, 35 und oft 38 an, bei geringem Gefälle immer über 40. Im Altmühltal eine kurze Rast, ich gebe Dürrpeter eine Banane ab (angesichts seines bedauernswert ausgemergelten Körpers :-). Kein Verlust, denn ich kann schließlich auf meinen Bauchspeck zurückgreifen. Noch habe ich ihn.

Im Altmühltal herrscht teils stärkerer Gegenwind. Ab km 130 beteilige ich mich erstmals nicht mehr an der Führungsarbeit - eine leichte Flaute. Das heißt, ich muß mich anstrengen, um Tempo 35 an dritter Position gegen den Wind mitzuhalten ...

Nach 5 Stunden 20 Minuten sind wir an der JH, der Schnitt beträgt am Ortseingangsschild immerhin 29.7, und das auf unbekannter Strecke mit vielen Ampeln.

Daß die Strecke länger als angegeben ist (143 statt 126km), sind wir bereits gewohnt. Wir werden uns an noch mehr gewöhnen müssen.

Die Jugendherberge scheint sehr gut zu sein. Ich beschäftige mich wie üblich mit Trikotwäsche, Körperpflege, Dehnen und ähnlichen erbaulichen Tätigkeiten.

Diese Etappe war wohl die schönste bisher!

Ein Stadtbummel, ca. drei Mittagessen zum Abend und eine wirklich interessante Führung durch das Juramuseum (dort sehe ich erstmals, wie klein der Urvogel Archaeopteryx wirklich war und lerne vieles über die Entstehung von Fossilien) mit anschließendem Weinumtrunk beschließen den schönen Tag.

5.Etappe: Eichstädt-München

130km, 26.6km/h bis OE München (26.2 bis JH), 980Hm

Das Frühstück in der JH Eichstädt ist auch sehr gut, wir schlagen uns ordentlich den Bauch voll. Wirklich, diese Jugendherberge macht rundum einen sehr guten Eindruck.

Der Tag beginnt wieder mit leicht bedecktem Himmel, relativ angenehmer Temperatur (15-20 Grad) und einem Empfang beim Oberbürgermeister von Eichstädt (13000 Einwohner), der mit allen guten Politikersitten bricht, indem er sich kurz faßt und dabei auch noch Vernünftiges sagt.

Danach fahren wie üblich wir "Tri Athleten" vorn. Nach Verlassen des Altmühltals (ein Stück des gestrigen Weges müssen wir zurück) wird das Gelände recht wellig, bis ca. 7%. Die Orientierung fällt immer schwerer, in Ingolstadt geht die große Fragerei los. Mehr schlecht als recht fitzen wir uns durch - bis jetzt aber noch kein Verhauer. Die Streckenbeschreibung scheint nicht sonderlich gut zu sein heute. Klar, bei solchen Riesendistanzen kann gar nicht alles perfekt organisiert sein. Wer soll das bezahlen.

In einem Ort sehen wir ein großes Veranstaltungsplakat: "Künstlerinnentreffen: Der Oktober ist eine Frau." Für die Aufnahme derart essentieller Informationen haben wir allemal die Kraft.

Vor dem 1. Buffet wird die Orientierung chaotisch: In der Wegbeschreibung finden sich völlig andere Namen als auf den Wegweisern. Obendrein werden die Berge immer bissiger. In einem Ort bekommen wir von 3 Einwohnern 3 verschiedene Auskünfte. Immerhin besser als 4. Übergang von Franken zu Bayern? Ich halte mich da lieber heraus ...

Von anderer als "vorgeschriebener Seite" (und offenbar mit Extra-Höhenmetern) fliegen wir ins erste und einzige Buffet ein. Nur Eberhard, mit seinen 64 Jahren ständiger Vierter, ist dank seiner Ortskenntnis schon da. Er hat eine neue Strecke erkundet.

Bald treffen auch andere aus verschiedenen Richtungen ein, unter anderem der Professor.

2.Story vom Professor

Nun kann sich der Professor zwar ausklinken, doch nach wie vor tut er das mit beiden Füßen gleichzeitig. Wenn es mit einem der beiden Füße nicht klappt, fällt er um. Diesmal, am 1. Buffet, klappt es mit beiden. Doch er vergißt, daß die harten Look-Platten auf hartem Asphalt kaum Reibung haben. Mit lautem Quietschen rutscht das Bein zu Seite weg, und es gibt wieder einen dumpfen Plumps. -

Ungünstigerweise geht es direkt nach dem Buffet einen wirklich langen 7%er hoch. Wir wollen wegen seiner Ortskenntis gern mit Eberhard fahren, doch wir sind ihm zu schnell.

Nun wird es steil. Die 12%-Rampen sind zum Glück nicht lang (100-300m), schmerzen aber ziemlich, denn mein Umwerfer ist immer noch schlecht justiert (eigentlich sollte das der Händler machen), und ich muß daher mindestens 36:24 (entsprechend 39:26) fahren. Das mache ich nicht gern, weil ich 80kg die Berge hochschleife und lieber höhere Trittfrequenzen im Sitzen fahre. So geht es zwar auch, doch die Beine werden langsam dick. An den steilen Bergen lasse ich mich immer hinter der Peterei zurückfallen.

An einer "Rampenserie" wollen die beiden eigentlich auf mich warten, kommen aber nicht zum Halten, weil immer gleich wieder Abfahrt und nächster Anstieg folgen. In der Ebene sprinte ich ihnen dann mit 33-35 Sachen gegen leichten Wind hinterher und komme trotzdem kaum näher. Zum Teufel, was machen die denn da vorn. Natürlich warten sie an der nächsten Kreuzung. Sie wollten's einfach mal wissen.

Durch Straßenneubau hat sich nochmals etwas geändert, aber glücklicherweise ist dort Peter Scheunemann mit dem Autoatlas zu Stelle und erklärt uns alles.

Am vereinbarten Treffpunkt wartet Volker aus München mit seinem roten Carbonrad. Er soll uns in die Stadt begleiten und wird morgen die Etappe mit uns fahren. Eberhard ist auch gerade da mit 10km weniger auf dem Tacho. Gewußt wie.

Unser Trio fährt allein nach München ein, die Orientierung ist dank meines Stadtplans und Volkers Hinweisen problemlos. Nur die 20km lange Fahrt im lauten und rücksichtslosen Verkehr, über schlechte Radwege und an unzähligen Ampeln vorbei ist wie immer in München sehr stressig, vor allem für beide Peters, die das wohl nicht so gewohnt sind. "Die Ampelhalte sind wieder etwas für den Professor," meinen wir.

Wir sind noch vor dem Gepäckauto da und vertreiben uns die Zeit mit der Übertragung einer Vuelta-Etappe. Durch laute Jugendliche im Raum ist der Ton kaum zu verstehen. Dann bricht die ARD-Sendung auch noch 5km vor dem Zieleinlauf kommentarlos ab. Frust total.

Die letzten treffen ca. 4 Stunden nach uns mit einem km-Stand von 167 (!) ein - und nur einem Buffet. Da ist etwas schiefgelaufen, würde ich sagen. Unmittelbar nach ihrer Ankunft beginnt ein sehr heftiger, langer Regen.

3.Story vom Professor

Nun wollten wir gern wissen, wie oft der Professor an den vielen Ampeln umgefallen ist. "Wie fandest Du denn die Strecke in München?" - "Scheiße, wa!" Mehr brauchte er gar nicht zu sagen, alles kringelte sich schon wieder.

Mir geht es noch recht gut. Vor zwei Tagen zog es ein wenig in der linken Kniekehle, vermutlich durch die morgendliche Kühle und heftigen Fahrtwind, denn bei Sonne verschwanden die leichten Beschwerden bald wieder. Gleiches gilt vor allem für leichte Kreuzschmerzen. Vielleicht drückte auch etwas im Rucksack. Nur das Treppensteigen fällt immer schwerer - sehr ungewohnt für mich!

Lediglich ein Zahn signalisiert meinen unaufhaltsamen Verfall. Vor 2-3 Tagen brachen zwei kleine Stückchen aus. Beim Schreiben dieses Textes folgte soeben die dicke Plombe. Muß warten bis nach Neapel ...

Abends treffe ich mich noch mit Startrek (aus dem Rennradforum im Internet). Wir beide kennen unserer Treffpunkt nur schlecht, ich werde ordentlich naß in den Sturzbächen. Eine Pizza entschädigt die Unbill reichlich. Startrek kommt gerade mit dem Fahrrad von Salzburg - 184km in 6 Stunden.

6.Etappe: München-Innsbruck

160.7km, 29.7km/h OA München bis OE Innsbruck, 28.5 bis JH, 1150Hm

Die Nacht in der JH war furchtbar laut, ich mußte erstmals zu Ohropax greifen, das ich nicht mag. Eigentlich stimmt alles, auch das Essen ist sehr gut, aber die JH hat etwas Kasernenhaftes. Wir zapfen heimlich Saft für unsere Trinkflaschen ab. Einige werden erwischt ...

Der Himmel ist noch schwer und grau beim Start, die alte Olympiastraße im Süden Münchens (Teilnehmern des 1.Rennradforumtreffens wohlbekannt) ist kaum abgetrocknet. Volker aus München ist zwar 60 Jahre jung, aber mit seinem roten Carbon-Monocoque spielt er für uns drei das Zugpferd, zumal er sich bestens auskennt.

Leider beginnt es alsbald zu regnen. Volker fährt in der Ebene nicht so flott - eher mit 28km/h - aber leider, leider zieht er die Berge genauso schnell hoch. 6 Tage auf dem Rad, nicht gerade im Bereich der Grundlagenausdauer (eher mit Renneinlagen) - das macht sich doch bemerkbar. Wir haben teilweise Mühe. Doch wer zuletzt lacht ... etwas Geduld, lieber Leser ...

Die Straße von Bad Tölz nach Lenggries ist die Hölle und aus gutem Grund für Radfahrer gesperrt. Strömender Regen, alles grau ringsum, mordsmäßiger Verkehr (Schwerlaster!). Wir wissen keinen anderen Weg, wir müssen hier durch. Wann hört das endlich auf. So hatte ich mir die Annäherung an die Alpen nicht vorgestellt. Wie beim Forumstreffen in München - da goß es ähnlich ...

Es gibt eine schöne Nebenstrecke auf der linken Flußseite, die jedoch nicht am 1. Buffet vorbeiführt und die wir nicht fahren sollen. Das Buffet erwartet uns erst nach 75km. Fehlplanung, wir sind ziemlich sauer. Und naß bis auf die Knochen.

Vor dem Sylvensteinstausee sieht es am Himmel etwas freundlicher aus. Ich prophezeie Wetterbesserung im Inntal.

Die Berge sind nicht so schlimm (so bis 7% und kurz), nur die Beine wollen nicht immer so, wie Volker vorgibt. Und Fotos müssen schließlich auch gemacht werden.

Am Achensee, der doch ca. 1000m hoch liegt, orgeln Wolken und Sonnenstrahlen durcheinander ... ein herrlichtes Fotowetter.

An der berühmten Haarnadelkurve hinab ins Inntal wollte wir uns gern die ebenso berühmte Aussicht ansehen, aber es ist alles verbrettert und vernagelt, und einmal Gucken kostet im Ösiland 1.50DM. Dann eben nicht. Steckt Euch Eure Schillinge an den Hut.

Das Wetter ist inzwischen sehr gut geworden. Wir trocken schnell ab.

Im Tal geht es flott zur Sache. Wohl zum ersten Mal auf der ganzen Tour haben wir leichten Rückenwind. Nach einem Bahnübergang, wo ich gerade mit der Führung dran bin, trete ich offenbar zu schnell an (Triapeter und ich sind etwa gleichstark, nur meine Antritte sind deutlich schneller). Es stimmt, gemessen an den Umständen geht es mir bemerkenswert gut. Jedenfalls muß ich auf die anderen kurz warten. OK, führe ich eben ein wenig länger. Bei erstmals leichtem Rückenwind nur 33 zu fahren wäre Sünde - 35-38 sind angesagt, dann 40 ...

Vorn ein Rennfahrer mit Rucksack, den wir bald einholen. "Servus!" - "Servus!" Das klang aber widerwillig. Es kommt, was kommen muß: Als wir schon eine Weile vorbei sind, zieht er mit Karacho an mir vorbei. Das lasse ich mir nicht bieten. Ungeachtet des Stöhnens hinter mir setzen wir ihm nach. Er fährt etwa 45 - kein Problem, der Wind kommt doch von hinten. Husch, ziehe ich an ihm vorbei. "48!" brüllt Tria-Peter. Dürrpeter kämpft offenbar, denn er hat mit dem Luftwiderstand (der bei diesem Tempo alles ausmacht) viel mehr zu tun als Tria-Peter und ich.

Unser Ösi braucht diesmal länger zur Erholung. Freundchen, das wird die Rache für die Schillinge, die Deine Landsleute für einmal Gucken haben wollen. Jetzt reagieren wir uns ab, aber fair und sportlich. Nun prescht er wieder vorbei. Zwecklos - Zwinki klebt am Hinterrad. Tria-Peter hilft mir. Ösi zieht weg. Peter brüllt: "Bleib dran!" Husch, bin ich wieder vorn (kurze Sprints gehen schon noch), die anderen nach. Und so geht es weiter. Ösi dreht sich entnervt immer wieder um und wird langsamer. Nein, Freundchen, kein Ausruhen bei uns hinten mehr, zeig', was Du kannst. Da - das Buffet! Wir bremsen! Er ist erlöst - es lebe die Völkerfreundschaft.

Die anderen sehen irgendwie verschwitzt aus. Mich selbst kann ich ja nicht sehen. Und Volker hielt mit - mannomann, mit 60 Lenzen auf dem Buckel, ein zäher Hund ...

Jürgen, auch ein älterer Berliner (so um die 60), kommt nach uns ans Buffet und schließt sich an. Er ist erst heute in München "zugestiegen" und deutlich frischer als wir. Wir einigen uns auf Tempo 30. Das wird so intrepretiert, daß vorn auf dem Tacho eine 3 stehen soll. Später läßt sogar Volker vorn mal eine 4 aufblitzen. Bei leichtem Rückenwind ist das schon zu verkraften. Bis Ortseingang Innsbruck ergibt das nach dem "scharfen Start" trotz des leichten Passes und des Regens beinahe einen 30er Schnitt.

Dürrpeter war heute nicht so stark, nur bergan war er wohl wie üblich schneller.

Wir sind wieder zu sechst in einem fürchterlich engen Zimmer untergebracht. Man weiß kaum, wohin mit seinem Zeug. "So muß es auf dem Russen-U-Boot sein," meinte einer. "Kein Wunder, daß die Kursk gesunken ist." Ab sofort heißt die JH Innsbruck bei uns nur noch "die Kursk".

Ansonsten ist die JH gut, mit Ausnahme des Essens. Man gibt sich extrem knausrig, so wie auf der gesamten Fahrt nicht. Peter Scheunemann fragt nach Getränken. "Die können sie sich am Automaten kaufen." Ohne auch nur einen Moment zu zögern, stellt er den Kanister mit dem üblichen Sirupwasser im Speisesaal auf, nimmt vor der Küchentheke mit dem Gesicht zu uns einen Platz ein und bietet als Alternativen an: Diesen Sirup hier oder diesen Wasserhahn dort. Die beiden Küchenhengste schauen recht säuerlich drein. Es sind wirklich besonders miese Typen.

Wir unternehmen noch einen Stadtbummel, der wie so oft wesentlich länger als erwartet wird. Ich habe noch Hunger. Nach diesem Minischnitzel mit ein paar winzigen Kartöffelchen ohne Beilage und wohl einem kleinen Apfel will ich endlich etwas zu Abend essen. Es gibt im schönen Altstadtzentrum prima Nudeln, allerdings mit extrem langen Wartezeiten verbunden. Der Sinn der Schlamperei des Kellners könnte darin bestehen, daß dadurch die Lokale voll aussehen. Andere erzählten nämlich Ähnliches.

Auf dem Heimweg sehen wir oben am Karwendelkamm eine Hütte hell erleuchtet, in der offenbar eine Disko stattfindet. Leicht verfehlt, ohnehin, doch tanzende Lichterkreise an dem Berg darüber sind wohl der Gipfel der Kommerzialisierung in den Alpen, wenigstens von dem, was ich bisher selbst sah ...

4.Story vom Professor

Der Professor wollte ganz schlau sein mit seiner Gruppe und "abkürzen". Wie sie statt nach Bad Tölz nach Mittenwald kamen, wird wohl eines der ungelösten Rätsel bleiben. Wie immer wurde die Abkürzung etwas länger als der Originalweg und vor allem steiler. Besonders auf der für Radfahrer gesperrten, 16%igen Abfahrt durch Zirl. Prompt wurde er von der Polizei angehalten. Er hat sie nach Strich und Faden an der Nase herumgeführt. Führerschein? Nee, hab ick nich. Straßenverkehrsordnung? Jaja, so ungefähr kenn ick die Zeechen schon. Ach so, für Radfahrer verboten? Ja, det wußte ich nich, aba wir müssen nach Innsbruck, von weechen Gruppe und so ... Jedenfalls kam er ungeschoren nach unten ins Inntal, nur etwas später.

5.Story vom Professor

Vor einigen Jahren fand eine ITF von Berlin nach Istanbul statt. Ein Riesenunternehmen, zumal gerade zu dieser Zeit dort unten ein großes Erdbeben Verwüstungen anrichtete. Alle Angehörigen waren sehr besorgt. Normale Telefonverbindungen waren unterbrochen, Tria-Peter (wie immer dabei) kam endlich mit dem Handy durch und sagte: "Ich lebe noch!" Und der Professor brüllt dazwischen: "Aber nicht mehr lange!!"

Der Professor ist übrigens tatsächlich beinahe einer, nämlich Dozent an einer Fachhochschule. Er hat auf jeden Fall Grips, denn seine Bemerkungen sind immer sehr genau platziert. Wir glauben, daß er bei den Studenten der "absolute Knaller" sein dürfte. Vor allem, weil er sich nicht so furchtbar ernst nimmt und auch über sich selbst lachen kann.

7.Etappe: Innsbruck-Bolzano über Brenner und Penser Joch

125.7km, 21.8km/h, 2400Hm

Wie erwartet fällt das Frühstück ähnlich reichhaltig wie das Abendbrot aus - es paßt in meinen inzwischen hohlen Zahn. Schnell raus aus diesem Beutelschneiderland. Dürrpeter fährt nicht mit auf das Penser Joch, weil er keine kleinen Gänge am Rad hat. Vernünftig. Aber vielleicht ist auch jene in geschminktem Zustand jünger aussehende Dame daran schuld, die in heißen Höschen mit Leoparden-Muster herumfährt und trotz der Gegenwart ihres Freundes allen Männern heiße Blicke zuwirft. Ein Fremdkörper in unserem bunten Haufen. Ich weise ihr später den Spitznamen "Tigerente" zu, der begeistert aufgenommen wird - inzwischen haben alle sie "liebgewonnen". Ungeschminkt ist sie übrigens 40.

Die Fahrt im Konvoi hinter dem Begleitauto währt nur kurz, denn es geht sofort hoch nach Patsch. Kurzzeitig erreicht die Steigung 12%, meistens aber 6-10%. Es sind für's erste nur 450Hm, doch wir haben keine Zeit zum Einrollen. Viele rasen wie wild los. Ganz falsch. Ich lasse mich gern überholen. Am Penser Joch wird sich erst zeigen, wer hier die Reserven hat.

Es ist stark bedeckt, die Berge hängen in dichten Wolken. Ich ziehe mir beizeiten die lange Hose über.

Kurze Zeit später beginnt der Nieselregen, dicht und unangenehm. Trotzdem ergeben sich immer wieder tolle Blicke, ich mache ein paar Fotos. Durch das langsame Anfahren und die Umzieherei bin ich in die "Zone" gerutscht, wo jeder für sich fährt.

Wie erwartet geht es ständig hinauf und hinab (wir fahren die alte Römerstraße, die einsamer als die Bundesstraße ist, dafür aber anspruchsvoller). Manche Rampen erreichen auch einmal 12%, meist jedoch 10%.

In Matrei sperrt die Polizei die Straße wegen eines Begräbnisses, wir sollen warten. Erst nach Ende der Predigt gibt man die Straße frei. Einige von uns rauschten schon vorher durch. So macht man sich Freunde. Eine endlose Zweierreihe dunkel gekleideter Männer (und wenige Frauen) steht auf der Straße, ganz vorn die Prozession. Ein eigenartiges Schauspiel.

Am Brennerpaß (1150Hm bis hierher) sind wir alle beisammen am sagenhaft guten Buffet mit Mohnstrudel, Kuchen und anderen Leckereien. Triapeter und ich ziehen beizeiten los. Das Wetter ist hier oben etwas besser, zwischen vielen Wolken lugt auch einmal die Sonne durch.

Die Straße hinab nach Sterzing ist sehr schön zu fahren, die Orientierung unten recht problemlos. Ein Motorradfahrer aus Eichstädt sieht unsere Startnummern und staunt - angeregte Unterhaltung bei 40km/h, soweit das möglich ist.

Zu zweit gehen wir nun die 17km Anstieg zum Penser Joch langsam an. Ein entgegenkommender MTBler zeigt uns auch: Langsam, langsam! Richtig, machen wir ja. Selbst Volker (der heute wieder nach München zurückfährt) warnte uns vor diesem Paß: Es gibt keine einzige Ausruhmöglichkeit.

Die angekündigten 4km mit 13% Steigung sind "nur" 10%, aber diese Steigung bleibt im Prinzip bis oben bestehen: Immer so zwischen 8 und 10%, selten darüber und fast nie darunter. Kein Flachstück, keine überhöhte Kurve. Das macht den Paß so schwer.

Peter zieht erwartungsgemäß davon. Eigentlich habe ich keine Chance gegen ihn an solchen Bergen, aber ich wollte ihn anfangs ein wenig necken und verschärfte das Tempo, damit er auch mal dicke Beine bekommt. Hat ja geklappt, bloß nicht so, wie ich es mir dachte. Er meinte zu mir hinterher: "Du warst am Anfang zu schnell." Sollte ja so sein :-) (Am Monte Bondone probierte ich es wieder, dort ging es schon besser.)

Die erste Hälfte ist immer schön, jedenfalls ab diesem Jahr. Es ist ein herrliches Gefühl, langsam immer höher zu gleiten in dieser herrlichen Landschaft. Ich bin glücklich, so etwas wieder einmal erleben zu können. Ein Erlebnis, das mit der Zeit immer süchtiger macht.

Die Fahrt nimmt kein Ende. Das weiß ich ja, aber sie hört trotzdem nicht auf ... Ohne Fahrradcomputer und Höhenmesser wäre es wesentlich schwerer an diesem unbekannten Paß. Die Straße verläuft meist im Wald. Die Beine werden langsam dick, obwohl ich schon mit dem kleinsten Blatt fahre und auf akzeptable Trittfrequenz achte (26:21, meist 8-10km/h oder wenig darüber). Nach einem Foto geht es besser, aber nicht lange. Quäl Dich, Du Sau. Von wegen 10km/h - 8 sind inzwischen angesagt, oder eher 7-9.

Etwa bei der halben Höhe kommt ein Betreuerauto vorbei: "Gleich haben sie dich!" Das ist leicht übertrieben. Es dauert noch ziemlich lange, dann zieht Ingo vorbei. Er ist am Berg sehr stark, da kann ich nicht mithalten (nur bei kurzem Rampen im Sprint). Allerdings schaut er nicht einmal nach rechts, von einem symbolischen Gruß ganz zu schweigen. Selbst wenn er platt ist - das muß nicht sein. Ich mache immer irgendeine Geste, auch zu Fremden.

Noch weiter oben, ich sehe unter mir ein rosa Trikot von uns. Das paßt für ein Foto. Wer hier an mich herankommt, überholt mich sowieso, da kann ich auch auf ihn warten. Aber das Trikot taucht nicht auf. Also weiter. Immer weiter quälen, monoton, die Berge diesig, die Steigung hört nicht auf. Fahren wie eine Maschine, nur nicht zu schnell. Jetzt kommt das Trikot. Es ist Mark. Der ist netter als Ingo und macht ein Foto von mir, auf dem ich hoffentlich nicht so gut aussehe ... (Seine Bemerkung: "Bei dieser Berglänge kommt es auf ein paar Minuten nicht an."). Er zieht vorbei, der dürre Hund :-) Oben höre ich, daß er auch 80kg wiegt. Aber er ist deutlich größer als ich.

Die letzte, endlose Gerade hat nochmals 200Hm und wie immer 9-10%. Vorher wird es steil nach einer Kurve, das schmerzt stark. Dank Höhenmesser und Tacho (die Länge der Reststrecke ist ja bekannt) lasse ich mich von optischen Täuschungen nicht verleiten.

Oben eine lange Pause in der Gaststätte. Ich bin 4. oben, besser geht für mich derzeit nicht. Ich trinke endlos viele schwarze Tees mit Zitrone, die herrlich schmecken. Wir warten, bis alle da sind. Offenbar haben viele nicht die rechte Alpenerfahrung. Ich wurde früh noch wegen langer Unterhose belacht, nun bibbert alles herum. Immerhin ist das Penser Joch 2200m hoch und das Wetter recht kalt. Beim Gruppenfoto klappern den meisten die Zähne. Flachlandweichwürste ;-)

Ich ziehe alles an, was ich habe: Ein langes, dickes Unterhemd über das kurze Trikot und das kurze Unterhemd, eine lange Regenjacke, lange Unterhose und lange Radhose über die kurze Radhose, Mütze unter den Helm, Handschuh und vor allem Überschuh. Peter hat keine Handschuh und sowieso Gänsehaut. Wir starten allein, hier draußen ist kein Platz für lange Pausen. Nur gut, denn die anderen erwischten zwei fürchterliche Wolkenbrüche - nur wir zwei blieben trocken.

Die ersten 15km legen wir in 20 Minuten zurück, das macht einen 45er Schnitt. Auf 1000m Höhe ziehe ich wieder alle warmen Sachen aus, denn hier ist wieder Frühling bis Sommer. So unmittelbar wie bei Paßabfahrten mit dem Rennrad erlebt man sonst keinen Klimawechsel, es fasziniert immer wieder.

Die angekündigten Tunnel kommen spät. Peter hat "kriminellerweise" gar keine Beleuchtung. Notdürftig montiere ich meine Lampe an seinem Triaaufsatz. Ich übernehme das Rücklicht. Die Abstimmung klappt aber sehr schlecht, zumal er schlecht hört. Es wird ein paar mal recht brenzlig - er ist ohne "Rückendeckung". Ohne Licht darf man wirklich keine Alpentour unternehmen!

Die Landschaft der "Tunnelzone" ist einfach grandios und schwer zu beschreiben. In diesen teils grünen, teils sehr felsigen Schluchten stehen noch Burgen auf einzelnen Felsvorsprüngen. Ich mache schnell wieder ein Foto. Peter hört mein Schreien abermals nicht und rauscht nochmals ohne Rückendeckung durch einen Tunnel. Und ich sehe nach vorn wieder nichts.

Diese Abfahrt ist sicher eine der schönsten, die ich bisher machte. Nur Licht ist eben unbedingt notwendig, sonst hat man Streß.

Wir finden unser Hotel schnell und bekommen - o Wunder - ein Zweibettzimmer. Das ist ein besonders großes Glück, weil das Hotel eigentlich gar nicht reserviert war. An Peter Scheunemann hat es vermutlich nicht gelegen. Er bekommt ziemlich viel Streß heute, bringt aber noch alle Leute in der Stadt unter. Abenteuer dieser Art gibt es leider immer wieder auf der Tour.

Nach den bisherigen Strapazen ist ein Zweibettzimmer mit etwas Komfort der blanke Himmel. Man glaubt gar nicht, worüber man sich alles freuen kann - etwas Platz im Zimmer, eine saubere und funktionierende Dusche, einen Tisch ...

Ich komme nicht einmal zur Trikotwäsche. Wir ziehen abends in eine Gaststätte (um das Essen müssen wir uns heute selbst kümmern, worüber wir gar nicht böse sind in dieser herrlichen Stadt) und essen eine wundervolle Pizza, auch im Nachhinein noch eine der besten meines Lebens. Wir haben solchen Bärenhunger, daß wir nach diesem Wagenrad noch mit großem Appetit eine gute Tiramisu verzehren (da lernt Peter das auch gleich einmal kennen, er war noch nicht in Italien). Hinterher sind wir gerade so satt.

Nach ordentlichem Rotweingenuß und einem sehr angeregten Gespräch ziehen wir noch durch die Altstadt von Bolzano. Diese Stadt verzaubert mich nun schon zum dritten Mal mit ihrer Lebensfreude und Vielfalt. Es würde mich wundern, wenn man es hier nicht 3 Monate aushalten könnte ...

Spät nachts erfahren wir, daß Kathrin gestürzt ist - Schürfwunden, dickes Knie, Brille kaputt, Schaltung defekt ... Kathrin ist ein kleines Wunder, für ihre 24 Jahre sehr schmächtig, mit unsicherem und oft sehr gefährlichen Fahrstil, dafür einem gewaltigen Panzerrad. Es ist das schwerste, das ich bisher selbst sah. Riesige Federmechanismen, dicke Reifen und Felgen, vielfach verstrebter Rahmen ... wer so etwas nur baut ... Und trotzdem kommt sie durch. Gestürzt ist sie im Tal zwischen Sterzing und Bolzano (das Penser Joch ließ sie natürlich aus), als sie gegen einen ausfahrenden Bus stieß. Ich weiß nicht, wer Schuld hatte. Morgen werden wir sehen, wie es weiter geht.

8.Etappe: Bolzano-Trient über Niger- und Karerpaß

136.7km, 23.5km/h bis JH, 1770Hm

Das Hotel ist gut, doch die Nacht war laut, und ich konnte lange keinen Schlaf finden. Daran war auch Vorfreude schuld. Denn Peter und ich wollen nicht wie die anderen über den Karerpaß fahren (geschweige denn ihn im Tal umgehen wie einige andere), sondern die ganz schwere Variante von Blumau nach Tiers und über den Nigerpaß zum Karerpaß nehmen. Ich fuhr diese Strecke bereits mit dem Bus und war damals hingerissen von der tollen Aussicht. Nur von dort aus sieht man die unter Kletterern berühmten Vajolettürme so schön - nur eines von vielen Highlights. Doch per Rad wirkt ja alles viel intensiver. Die Sache hat einen Haken: Der Anstieg ist angeblich für Kfz gesperrt, u.a. wegen seiner Steigung von 24%. So gesehen kann man ihn als steilsten Alpenpaß betrachten. Das ist natürlich Definitionsfrage.

Ich bin froh, daß Peter mitzieht; zur Not wäre ich auch allein gefahren. Und wir sind beide sehr gespannt.

Früh ist es kühl und sehr schön. Eigentlich kann man sich gar kein besseres Wetter wünschen. Zusammen fahren wir mit der "Eggentalgruppe" (Normalweg auf den Karerpaß, auch mit 16% am Anfang) in einem schönen Tal entlang. Dann geht es zu zweit weiter bei kühlem Gegenwind. Bloß nicht zu schnell! Die richtige Einfahrt ist dank einer freundlichen Tankwärterin bald gefunden.

Wie sich sofort herausstellt, fahren wir anders als der Bus damals. Dieser nutzte eine steile Serpentinenstraße, die sich an der Felswand hochwand (und sehr beeindruckend war). Wir biegen dagegen auf die sog. alte Straße im Breiental ein. Und die ist noch schöner als die Bustrasse.

Es geht sehr gemäßigt los, zunächst völlig autofrei. Wir können uns im Unterschied zu den anderen richtig einrollen. Dann kommt ein Schild "24%". Foto! Die Helden rüsten zum Angriff! Aber alles Bluff, nur eine 17%-Rampe. Mann, das fahre ich doch in Dresden auf schlechtem Pflaster :-)

Das Tal ist wunderschön, das Wetter ebenfalls. Die Rampen sind kurz und schmerzen wenig. Wir sind beide hingerissen. Rechts rauscht ein starker Wildbach, link ragen Felswände auf, rechts oben oberhalb von steilem Wald und Wiesen einzelne Gehöfte im Morgenlicht. Leichter Nebel steigt auf. Totale Ruhe, bis auf das Rauschen des Wassers. Sehr abwechslungsreich.

Mit der Zeit wird es immer schwerer, es kommen auch einmal längere Abschnitte mit durchgängig 15%. Durch mein sehr gemäßigtes Fahrtempo (oft 7km/h) und die berüchtigte "Kinderübersetzung" von 26:24 werden die Beine nicht sauer. Nur nach einer zu langen Fotopause (der Tau dampft gerade so schön gegen die Morgensonne) schmerzen die Beine an den sofort folgenden 15% - das ist normal. Aber es gibt immer wieder Passagen zum Ausruhen, und wir haben genügend Muse, die Schönheit um uns herum zu genießen.

Dann wollen sie es wissen. Es steigt ununterbrochen mit mindestens 15% an, oft mehr, und schließlich kommt der Moment, wo die Luftblase in meiner Libelle am Lenker oben anschlägt: Es sind deutlich über 21%. Das Vorderrad droht abzuheben, ich muß nach ganz vorn gehen, um am Lenker kräftig zu ziehen und darf nur auf der vordersten Sattelspitze sitzen. Zum Glück habe ich das oft geübt (mein persönlicher Rekord liegt wahrscheinlich bei 27%). Peter kämpft längst nur noch im Wiegetritt. Er sagt hinterher, er wäre den Tränen nahe gewesen vor Anstrengung.

Als es gegen Ende "nur" noch 17% sind, macht Peter ein Foto von mir. Ich gebe mir alle Mühe, nicht zu gut auszusehen. Das wäre eine Herabwürdingung des Geländes:
(Foto)

Die Unschärfe erklärte ich mir zuerst damit, daß Peter seine Kamera gewiß nicht ruhig halten konnte. Aber dann rechnete ich nach: Selbst bei einer Geschwindigkeit von 7 km/h und einer Belichtungszeit von 1/100 Sekunde ergeben sich noch 2cm Bewegungsunschärfe ...

Und schon ist die Hauptstraße, auf der der Bus hochkommt, erreicht - oooch, schon vorbei ... Noch lange nicht, aber das Schlimmste ist überstanden. Dafür werden nun die Blicke auf Vajolettürme und Rosengartenspitze immer schöner.

Es folgt eine unbeschreibliche Panoramafahrt, wie ich sie weder vorher noch hinterher erlebte. Hochstimmung kommt in mir auf, ich habe Freudentränen in den Augen. Solche schönen Momente gibt es nur wenige im Leben. Ständig müssen wir Fotohalt machen. Es geht hinab in eine Senke, dann künden 20% Steigung auf einem Schild vom Beginn des Nigerpasses. Doch in Wahrheit sind es nur 14%, die später angezeigten 14% nur 12%. Für uns inzwischen längst Flachland ;-)

Noch sind 600Hm zu überwinden bis zum Nigerpaß. Gleichmäßig kurbele ich höher, Peter ist wie üblich etwas schneller. Aber so viel früher als ich kommt er oben auch nicht an, denn er muß einfach so oft wie ich zum Fotografieren anhalten. Rechts tauchen steile, vergletscherte Gipfel in der Ferne auf und machen das Panorama noch reizvoller.

Der Nigerpaß selbst ist kein Paß, sondern nur das Ende der starken Steigung im Wald (daher der Name: "niger" entspricht schwarz, dunkel). Nun geht es endlich flott in Richtung Latemargruppe (die schön anzusehen ist, doch extrem brüchig!). 30-40km/h erscheinen uns mittlerweile als ungeheuer schnell. Wenige Kehren hoch zum Karerpaß - ist das Buffet noch da? Zu unserem größten Erstaunen sind wir die 4. dort, obwohl unsere Strecke deutlich länger war, steiler und mit mehr Höhenmetern gespickt. Allerdings hatten die anderen wohl teilweise Verhauer und eine Panne. Doch Orientierung gehört auch zum Radfahren, ebenso wie das schnelle Fahren!

35km sind geschafft, der Schnitt beträgt 13.2km/h. Ich stopfe mit Heißhunger belegte Brötchen in mich hinein. Peter drängt zum Aufbruch. Die lange Abfahrt nach Vigo di Fasso hinunter muß ich allerdings schon wieder mit zwei Fotohalten unterbrechen. Peter befürchtete bereits, es sei etwas passiert mit mir.

Im Fassotal wieder der übliche Gegenwind. Wir haben uns bereits gut erholt und fahren flott. Zeitweilig sammeln wir einen italienischen Rennfahrer auf, der jedoch etwas langsamer fährt. Die Landschaft ist sehr schön. Ab und an sieht man Lang- und Plattkofel sowie Marmolada.

In Cavalese - bekannt durch das Seilbahnunglück - verhauen wir uns zum ersten Mal, was nicht unser Schade ist. Wir steigen leicht zum Passo Lugano auf (ich wundere mich, wieso dieser Paß nicht erwähnt wird in der Beschreibung, aber so gut war die Beschreibung nun auch nicht immer) und erleben eine unglaubliche Abfahrt: ca. 15km nur Haarnadelkurven, dann eine beinahe in die senkrechte Wand eingefräste Straße mit scharfen Serpentinen. Der Ausblick ins Etschtal ist unbeschreiblich; ich dachte bisher, so etwas hätten nur die alten Maler erfunden. Nein, das gibt es wirklich, wenigstens bei solchem Wetter wie heute. Auch die anderen Leute stehen an dem kleinen Rastplatz und staunen. Gestern zog offenbar eine Kaltfront durch, daher die außerordentliche Fernsicht. Das riesige, vollkommen flache Tal wird von mehreren 100m hohen Wänden eingegrenzt, im Nordwesten sieht man eine große Stadt, im Südosten steile Berge. Ringsum Sonne und Schauer zugleich, eine kaum zu beschreibende Stimmung. Noch so ein Highlight nach der tollen Route heute früh - es kommt alles geballt.

Unten im Tal ein kurzer Schauer, dann geht es mit mindestens 30 Sachen gegen relativ starken Wind los. Rechts und links der Straße schwarze Prostituierte in bunten Höschen, die ihre Sonnenschirme drehen. Es sind etwa soviel wie Autos heute früh auf dem Weg von Blumau nach Tiers: 9 Nutten, 11 Autos.

Nach einiger Fragerei (diesmal wird es nicht so leicht) finden wir die JH. Das Abendbrot ist reichlich, trotzdem muß ich danach noch etwas essen. Peter und ich bummeln in der schönen Altstadt (u.a. mit Dombesichtigung), dann ziehen wir uns genüßlich das beste Eis der Tour bisher ein und ich zudem noch einen Teller Spaghetti.

Kathrin fährt übrigens nach ihrem Sturz weiter - alles repariert, nur die Schürfwunden bleiben bis zum Ende der Fahrt gut sichtbar.

9.Etappe: Trient-Verona über Monte Bondone

146.5km, 23.5km/h bis OE, 1940Hm

In meinem Zimmer schlief Eberhard, der mich den leisen Willy herbeisehnen ließ. Es ist unvorstellbar, wie laut ein Mensch sägen kann, ohne sich selbst zu zersägen. Willy hatte in der letzten gemeinsamen Nacht (wo war die gleich?) seine Schnarchmaschine geputzt und geölt, sie klang ganz weich und sauber. Eberhard dagegen macht aus jedem Urwald Streichhölzer.

5 Leute von uns, darunter auch Peter Scheunemann selbst, wollen den Monte Bondone fahren, eine legendäre Bergwertung des Giro del Italia, laut Beschreibung mit herrlichen Ausblicken. Stimmt!

Diesmal sind wieder beide Peter dabei, natürlich ich, Eberhard mit seinen 64 Jahren (der sich aber verfuhr und wieder im Tal landete) und eben Peter Scheunemann. Kurz: Alle Peters und Zwinki waren oben.

Der Anstieg klingt von den Zahlen her beeindruckend: 18km nur bergauf, ca. 1400Hm, meist 8-10%. Also fast wie das Penser Joch. Die Straße ist aber sehr gut angelegt: kurvenreich, auch einmal flachere Stücke (5%), kaum 12%, und mit wirklich schönen Fernblicken. Obwohl heute Tempo gemacht werden soll - soweit das noch möglich ist -, lege ich zwei Fotopausen ein.

Dürrpeter ist erwartungsgemäß gleich weg, mit dem anderen halte ich lange mit (ich scheine das Bergfahren zu lernen!) und fahre auch mal vorn. Triapeter ist praktisch Leistungssportler - dazu später mehr -, meine Stärke ist die Fähigkeit zur schnellen Regeneration. Ich fühle mich schon wieder gut. Und trotzdem - irgendwann ist er fort. Von rechts kommt fast gleichzeitig ein italienischer Rennfahrer hoch, wie üblich durchgestyled von Kopf bis Fuß. Da sehe ich mit Dreifachkurbel, Rucksack und Libelle am Lenker (und - pfui! - Klingel am Vorbau) natürlich wie ein echter Hobbyfahrer aus. Der Italiener hängt erst eine Weile bei mir hinten dran (Peter riß vor allem wegen ihm aus, wie er mir oben sagte), dann fährt er neben mir, grüßt aber nicht richtig. Ich schaue auf den Höhenmesser - Deckel vom Batteriefach fällt herunter, so ein Mist, weg ist der Italiener. Ich sehe aber, daß auch er kämpft, mit einer recht großen Übersetzung. Wollen wir doch mal sehen, ob wir seine Beine sauer kriegen. Verglichen mit ihm übe ich mich im "Armstrongschen Windmühlenstil", wenngleich nicht gerade mit 90er Kadenz (eher 60-70).

Immer wieder Aufschriften auf der Straße, lauter bekannte Namen des Radsports. Für Außenstehende belanglos, aber wenn man als Rennfahrer solch einen Berg bewältigt, ist das schon ein eigenartiges, schönes Gefühl. Man wagt sich in die große Welt der Profis, natürlich ohne sich mit ihnen zu messen. Deswegen stoppe ich heute auch meine Zeit hier hoch, wenigstens ungefähr.

Nach einiger Zeit hole ich den Italiener wieder ein, ohne mein Tempo gesteigert zu haben. Er geigt, d.h., er fährt Serpentinen auf der Straße. Oh, das sieht nicht gut aus für ihn. Da komme ich mit meinen 26:21 sogar auf 8%iger Steigung schneller hoch als er.

Die Straße windet sich beeindruckend, die Orte sind schön. Es strengt bei weitem nicht so an wie das Penser Joch, und die Strecke ist auch bei weitem nicht so eintönig. Mit guter Form hat man hier viel Freude am Pässefahren! Meine Form ist mittel, also mittlere Freude hier oben.

Ich bin schon wieder am Italiener dran. Aber rechts - so ein toller Ausblick, pfeif auf das Rennen, jetzt wird ein Foto gemacht. Schnell weiter. Mann, der kämpft da vorn. Will wohl unbedingt erster werden. Schau ma mal.

In Vason - ist das schon oben? - ein weißer Strich auf der Straße: Das könnte der Zielstrich sein. Auch auf die Gefahr hin, daß er es noch nicht ist, schalte ich hoch und ziehe am Italiener vorbei. Es wäre noch etwas schneller gegangen, aber 2m Vorsprung dürften für die nicht anwesende Jury doch reichen, oder? Der Italiener grüßt nicht und fährt nach kurzer Pause wortlos wieder ab. Er war allerdings auch schon etwas älter ... Na gut, Peter ist 53 und hat ebenfalls schon graue Haare. Ist aber ein alter Kämpfer.

Inklusive einer Pinkel- und zweier Fotopausen fuhr ich 105 Minunten ab Abzweig, also weniger als 100 Minuten reine Fahrzeit.

Triapeter wartet oben, wir ziehen bald weiter, denn es ist sehr kühl so früh auf 1600m Höhe in kurzen Radsachen. Die Abfahrt wird daher anfangs empfindlich kalt. 40km lang geht es nun nur bergab mit schönen Ausblicken bis nach Arco, lediglich durch eine flache und nicht lange Steigung unterbrochen. Peter meint, er spüre jetzt deutlich, daß er eigentlich Warmblütler ist. Ich ergänze: "... sein müßte."

Leider stellt sich der übliche Gegenwind ein. Wir befürchten zudem, naß zu werden, denn schon von oben sahen wir viele Schauer. Viele von uns hat es auch schlimm erwischt, wir zwei bleiben wieder einmal bis ins Ziel trocken.

Nach Arco beginnt eine andere Welt. Es wird mit einem Mal warm. Palmen stehen am Wegrand. Zum ersten mal sehe ich der freien Natur blühende Oleanderbüsche - Frühling im September. Und zum ersten Mal sehe ich auch den Gardasee, für deutsche Verhältnisse (immerhin kämpft er um seine Anerkennung als 20. Bundesland) eine große Bildungslücke. Die Landschaft ist natürlich beeindruckend, zumal sich das Wetter gerade von seiner sonnigen Seite zeigt. Besonders wenn man aus hohen Bergen kommt, ist dieser abrupte Wechsel ein Erlebnis. Nur ist der Verkehr leider ebenso beeindruckend, zumal die vorwiegend deutschen Autofahrer keinen Deut nachgeben und ein Radfahrer für sie ohnehin kein Mensch ist. Bisher ist das der lauteste, stressigste und gefährlichste Abschnitt unserer Fahrt.

In Malcesina soll das nächste Buffet stehen. Peter rast frustiert wie irr durch den Stau. Wegen seiner Schwerhörigkeit (bei diesem Lärm) kann ich ihn kaum bremsen. Links, entgegen unserer Fahrtrichtung, steht der Golf, unser Besenwagen. Wo will er hin? Hanna, die etwas ältere Betreuerin, steht da und winkt. Ich winke zurück. Alles normal, aber wo ist das Buffet?

Diese Begrüßung sollte aber das Zeichen für "Buffet" sein. Das soll einer wissen - auf der anderen Straßenseite, in entgegengesetzter Richtung, und dann nur mit Winke-Winke. Ich wurde stinksauer, als das später erfuhr. Es gab wahrlich bessere Plätze als ein halb auf dem Fußweg geparktes Auto.

Der Verkehr ist unglaublich laut und dicht. In vielen Ort hoffnungsloser Stau. Für die Autofahrer muß das die Hölle sein, für uns nur das Fegefeuer, denn wir kommen ja rechts vorbei. Es kratzt aber an den Nerven. Durst, Hunger. Mit Kaufen ist hier nichts - nur Nobelschuppen und undiskutabel teuer. Peter warnt mich davor, er kennt sich besser aus. Der Streß nimmt einfach kein Ende.

Wir überholen ein Pärchen. Augenblicklich beginnt ein Rennen. Beide überholen uns prompt wieder (und das in dem Verkehr), Peter zieht sofort nach und überholt wieder. Soviel Platz muß sein auf der Straße und ist auch, denn sie wird hier etwas breiter. Ich will lieber nicht so bolzen. Denn die beiden werden doch an Peter heranfahren und können mich sooo schön im Windschatten mitziehen. Dann kann ich allemal noch spurten. Aber sie reagieren nicht. Das Mädchen schreit von hinten ihren Freund an: "Bleib dran, Du Idiot!!" Oh - entweder ein ganz übles Weib oder eine Leistungssportlerin. Er kurbelt los, sie auch, und ich lasse mich im Windschatten nachziehen. Prima, klappt. Soweit das eben gegen den Wind mit 2 Müsliriegeln und 2 Bananen im Bauch nach 110km und Monte Bondone in den Beinen drin ist. Wir liegen bei knapp 40km/h. Das Mädchen läßt abreißen - denke ich. Ich nehme alle Kraft beisammen und ziehe mit ordentlichem Spurt vorbei.

Au Backe, Tempo schon 43 ... Nach einiger Zeit sehe ich die Fahrerin nicht mehr. So, das haste nun davon, Du Macho, hast Dich anstacheln lassen von dem wilden Weib und dabei Deine eigene Kirsche versägt. Gleich wirst Du abfallen und auf sie warten. Wir haben unser Ego befriedigt und können endlich wieder gemütlich fahren.

Denkste! Auf einmal kommt sie! Woher denn? Von oben! Von unten! Oder was? Und sie übernimmt die Führung, aber wie! Jetzt kann *er* nicht mehr!

Also, was ist denn hier los. Der Fahrer sieht unsere Startnummern - Berlin-Rom-Neapel, oh, Langstrecken-Etappenfahrer, Mann, Ihr seid ja stark, was, heute Bondone gemacht ... kein Buffet ... wollt Ihr was zu trinken! Ja! Ja! Er reicht uns seine Trinkflasche, bei Tempo 35 geht sie herum. Das ist irgendein Wunderzeug, jedenfalls nicht unser Sirupwasser.

Tja, und Madame fährt in der Nationalauswahl der Triathleten. Alles klar. Ich muß wegen meiner Großhirnrinde vor, in der die bisherigen Pässe gespeichert sind - ich soll sie ihm berichten. Dabei überholt mich ein überlanger Bus so knapp, daß er mich fast gegen den Zuhörer gedrückt hätte (offenbar auch wegen des Gegenverkehrs). Sofort ziehe ich nach rechts, das passiert mir nicht wieder. Ist diese Straße aber auch gefährlich!

Nach 120km in Lazise die Erlösung: Der "Imbiß" steht da. Ich wirbele mir im Eilzugtempo mindestens 8 dicke Milchzopfscheiben mit Marmelade und unzählige Müsliriegel in den Suppenschlitz. Erstaunlich, wie schnell man essen kann und das auch noch verträgt.

Die Weiterfahrt nach Verona bleibt wie bisher: Laut, viel Verkehr, Gegenwind. Endlose Fragerei nach der JH. Die Leute sind wie immer sehr freundlich und hilfsbereit, nun müßte man sie verstehen. Erst ein Stadtplan rettet uns. Das ist ja wirklich ganz schwer zu finden! Obendrein überall historisches Pflaster, Verkehr ungewohnter Dichte, Lärm ...

Die Original-JH wirkt wie ein Museum, so wie die ganze Stadt. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Doch wir schlafen in einem anderen Objekt, das zwar sehr gut hergerichtet, jedoch eine Katastrophe für uns ist. Doppelstockbetten in offenen Verschlägen, alle in einem Saal, Schränke ohne Schlösser. Und wir haben keine Vorhängeschlösser, also keine Möglichkeit, unsere Sachen zu sichern. Zwar wird die JH wie üblich tagsüber geschlossen, doch gegen unehrliche Gäste wären wir machtlos.

Beim Abendbrot wacht die Mama der Küche, eine einarmige Furie, drakonisch darüber, daß ja keiner zuviel abbekommt. Es ist wie in einer Satire. Wenn sie auch nur ein Wort sagt, springen alle Angestellten sofort. Wie hat sie das bloß geschafft?

Peter und ich unternehmen noch einen schönen Abendbummel in dieser schwer zu beschreibenden Stadt. Die Gebäude sind 600, 700 oder auch 2000 Jahre alt (die Arena z.B., nach dem Kolosseum in Rom das größte Bauwerk dieser Art und noch genutzt). Der Reichtum ist unvorstellbar. Wieso konnte ich Verona bei der Zugdurchfahrt nur als uninteressant abtun. So eine wunderbare Stadt!

Und erst hier erfahre ich, wie gut italienisches Eis wirklich schmecken kann. Besonders Bacio (Küßchen), Schokoeis mit ganzen Haselnüssen, hat es mir angetan. Bisher aß ich wohl das falsche Eis. Wir genießen das Leben und schwatzen unendlich viel. Dabei erfahre ich so nebenbei, daß Peter im letzten Jahr 28000km auf dem Rennrad gefahren ist - das ist absoluter Hochleistungssport. Mit was für Leuten habe ich mich da eingelassen ... Triathlon-Nationalauswahl, Hochleistungssportler ...

Interessant aber, daß ich auf ein ähnliches Leistungsniveau mit einem Drittel der Trainigskilometer komme. Ich denke, in der Theorie weiß ich ein wenig mehr und richte mich auch danach. Das geht z.B. mit dem abendlichen Dehnen los, das hier zwar sehr schwer zu machen ist, aber einfach sein muß.

Ruhetag in Verona

23.7km, 9.3km/h (sic!), Hm unbekannt :-)

Peter macht den vernünftigen Vorschlag, die Stadtbesichtigung per Fahrrad zu unternehmen. Ein guter Gedanke, denn wir sehen so wesentlich mehr. Mit dem Verkehr kommt man zurecht, denn die Autos halten hier auch an; jedermann ist das Chaos gewohnt. Wir fahren noch auf den höchsten Hügel, um etwas Fernblick zu haben. Vor uns breitet sich schon die Po-Ebene aus, die wir morgen durchfahren werden. Auf der Straße zum Hügel wieder viele Aufschriften, u.a. Museeuw, Rolf (Jährmann?) ... Seltsam, für eine Bergwertung ist die Straße ziemlich flach (so 4%). Wie uns Axel abends erzählt, war das die WM-Strecke. Alles klar.

Oben legen wir eine lange Pause ein. Ich schaue zum ersten und wohl letzten Mal in die Bild-Zeitung. Dann sausen wir wieder ins Tal zurück. In die Wallfahrtskirche St.Maria am Wegrand kommen wir mit kurzen Hosen wie üblich nicht hinein, jedoch haben wir von dort aus nochmals einen schönen Blick über die Stadt.

Essen, Einkaufen, bleischwere Beine und starke Sonne - das sind die bleibenden Eindrücke heute, natürlich außer der uralten, wundervollen Stadt, die wir nun etwas besser kennen. Es ist einfach schön hier. Zwei Sachen sind vielleicht bemerkenswert: Abends gibt es am Fluß mehr Fledermäuse als bei uns Schwalben an einem warmen Sommerabend. Und zwischen 20.30 und 21.00 läutet der höchste (weiße) Turm ein wunderbares Glockenspiel mit 9 Glocken, eine seltsame Stimmung: Ringsum Jahrhunderte alte Kultur, der Klang der Glocken (die nach einem bestimmten System angehalten werden, um Klangfolgen zu erzeugen), der lärmende Verkehr, lebhafte Menschen, klingelnde Handys ... man muß es erlebt haben.

10.Etappe: Verona - Bologna - Pianoro

157.3km, 28.5km/h bis Hotel, 30.7km/h von OA Verona bis OE Bologna, 600Hm

Es verzögert sich alles etwas beim Start. Peter Scheunemann und seine Frau Christel sind gestern den ganzen Tag die Strecke abgefahren, die schwer zu finden ist, und haben die Beschreibung nochmals deutlich verbessert. Außerdem konnten sie erst gestern eine Unterkunft besorgen - ein 4-Sterne-Hotel mit viel Rabatt und trotzdem eine schwere Belastung für die Reisekasse.

Die neue Beschreibung muß nun kopiert werden, was nicht so einfach ist: Die meisten Geschäfte haben noch nicht auf, andere gerade keinen Toner usw. Dadurch starten wir spät. Jürgen aus Berlin und Dürrpeter sind ungeduldig. Jürgen hat eine topografische Karte und weiß daher einfach alles - nur nicht, wo die Buffets stehen. Sie fordern Triapeter und mich auf, mit ihnen schon loszufahren. Das mache ich 200m mit, dann setzt das Denken ein. So etwas ist wenig kameradschaftlich und sogar ihr eigener Schade, wie sich herausstellt. Die neue Streckenbeschreibung unterscheidet sich nämlich erheblich von der bereits ausgeteilten und weist auf grobe Kartenfehler hin. Jedenfalls kehren Triapeter und ich gleich wieder um. Die anderen beiden sind nicht zu überzeugen. Jürgen ist sehr starrhalsig und treibt leider immer wieder mal quer.

Die Ausfahrt aus Verona wird nur 6.4km lang, aber wie immer stressig - 20 Minuten reine Fahrzeit. Ich pinkele schnell noch und hole dann den Tross ein. Sie fahren zwar flott, ca. 30km/h, doch speziell den Professor soll ich demoralisiert haben, denn der Tacho zeigt nach den Überholen eine Maximalgeschwindigkeit von 47km/h.

Die Orientierung ist wirklich schwierig, doch die gute Beschreibung hilft sehr. Es gibt nur ganz wenige Schwachpunkte. Lob für Peter Scheunemann und Christel. Wir schaffen es tatsächlich ohne Verhauer, wobei wir natürlich ein paar Mal fragen müssen.

Ich wußte noch nichts über die Po-Ebene bisher, aber sie ist genauso, wie ich sie mir vorstellte: Heiß, kaum Bäume, verstreute Häuser und Dörfer, Kanäle mit grünem Wasser. Die Straßen sind oft mäßig - rissiger Asphalt, viele Wellen und auch mal Löcher.

Leider haben wir mindestens 20km/h Gegenwind, und dies nun schon den 10.Tag. Das bremst. Ich bin aber in sehr guter Form, wenngleich nur für Ausdauer. Mehr ist hier nicht gefragt. Heute bin ich dran mit Führen, Peter hat seinen schwächeren Tag. Nach dem 1.Buffet geht es hoch zur Brücke über den Po. Wir kämpfen uns den Anstieg hoch. Ich lasse Peter schätzen, wie steil der Anstieg ist. Er meint 8% - meine Libelle zeigt aber nur 2%.

Nach der Brücke treffen wir die beiden Ausreißen Jürgen und Dürrpeter. Sie müssen sich ziemlich verfahren haben und können glücklich sein, uns zu sehen, denn sonst hätten sie das Buffet verpaßt. Ihre Eskapaden machen sie ziemlich sauer auf uns, es gibt später immer wieder kleine Reiberein. Tria-Peter kann sich allerdings auch ziemlich aufregen ...

Einige Male müssen wir nach dem Weg fragen. Immer wieder beeindruckt mich die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Italiener. Es gibt fast keine Ausnahmen. Man muß nur selbst freundlich fragen. Das Tollste erlebten wir an einer Stelle, wo uns die Beschreibung mal im Stich ließ. Da kam unaufgefordert von der gegenüberliegenden Straßenseite ein Mopedfahrer an der Kreuzung herüber und sagte: Nach Pocarna geht es dort entlang. Woher wußte er, wohin wir wollen? Hatte er gute Ohren und unsere Unterhaltung gehört? Denn wir waren die ersten.

Die letzten 50km vor dem Ziel ziehe ich Peter mit. Wir fahren immer 30-35, meist 33, ohne Wind eher 37.

Das zweite Buffet ist ohnehin noch nicht da, ich esse ein paar vorher abgefaßte Riegel und zwei Bananen. In Bologna holen wir uns Wasser. Bis zum Ortseingang haben wir vom "scharfen Start" an gerechnet 30.7 Schnitt (125km).

In Bologna bleiben wir auf dem Stadtring. Das ergibt sich so, aber es ist ein Fehler - die Fahrt durch die Altstadt hätte kaum mehr Zeit gekostet, doch eine deutlich schönere Stadt gezeigt ...

Vom Zielort wissen wir nur den Namen, Karten haben wir nicht. Trotzdem klappt die Orientierung. Am eigentlichen Hotel rauschen wir vorbei, weil es noch außerhalb des Ortes liegt. Peter Scheunemann war soeben eingefahren und rief uns hinterher, doch wir sahen ihn nicht und glaubten an eine Täuschung. Das kommt vor. 7km und 70Hm extra sind das Ergebnis.

Wer schnell ist, muß Gepäck ausladen. Dieses Vergnügen haben wir auf fast allen Etappen, bei denen es keine "Abkürzer" im Tal gibt. Und weil wir danach einem Hochgenuß frönen - der Badewanne - verpassen wir das Melonenessen. Doch nach unserer komischen Herberge der letzten zwei Tage ist das Baden heute wirklich ein Hochgenuß.

Radfahren geht noch prima, Treppensteigen zu meinem Entsetzen sehr schwer. Sonst gab es nach harten Touren immer nur treppab Probleme, diesmal ist es umgekehrt. Der bedrohliche Zustand hält bis Neapel an. Und wir wohnen mit einer Ausnahme immer in einem Obergeschoß!

Beim Aufstehen in der Badewanne bekomme ich erstmals in meinem Leben einen Oberschenkelkrampf, und das, wo ich vor dem Baden noch dehnte. Es kann eine dumme Stellung schuld gewesen sein - die Wanne ist sehr eng -, doch es ist ein Alarmzeichen und wird sicher nicht ohne Folgen bleiben. Überhaupt werden die Beine jetzt schmerzempfindlich. Im Schnitt sind es immerhin bis jetzt täglich 150km und 1300Hm gewesen.

Sitzprobleme habe ich praktisch keine (ich creme auch nichts ein; vermutlich sitze ich entsprechend ruhig).

Das Abendbrot schmeckt sehr gut, nur fehlen irgendwie Haupt- und Nachspeise. Dafür sind 20DM doch etwas teuer. Der Rabatt bezog sich wohl auf die Menge und nicht den Preis. Zum Glück brauche ich nichts weiter. Wir gehen beizeiten schlafen, denn morgen wird es schwer.

11.Etappe: Bologna/Pianoro-Florenz

120.6km, 21.2km/h, 2060Hm

Vor dem Apennin wird gewarnt - man soll das Gebirge ernst nehmen wie die Alpen. Die Daten belegen es.

Im Gegensatz zum Abendbrot ist das Frühstück reichlich. Zumindest essen wir wie die Wölfe, um den heutigen Tag zu überstehen. Ob das so gedacht war, weiß ich nicht, doch wir nehmen uns einfach, was wir brauchen.

Der Start erfolgt individuell, Tria-Peter und ich fahren 8.45 los. Es beginnt flach ansteigend, bis ein Schild von 1.5km 13% kündet. Beides stimmt für sich genommen, jedoch nicht zusammen. Trotzdem wird es hart. Die Beine gehorchen überhaupt erst nach 20km richtig. Zum Überholen der anderen - mit Ausnahme von Dürrpeter natürlich - reicht es aber noch. Auch Tigerente lasse ich bald hinter mir.

Auf dem Paß (Paso di Raticosa) in 968m Höhe ist es kalt und windig, die Berge hängen in dichten Wolken. Der Anstieg hatte durchaus alpine Züge, auch von der Länge her. Die Landschaft ist aber wirklich schön: Dichte Laubwälder, unzählige Berge, tolle Fernblicke. Am 1.Buffet auftanken, falls wir wie üblich das zweite verpassen.

Die Abfahrt wird zum Hochgenuß für den Rennfahrer - hier lernt man Kurventechnik. Es fährt sich deutlich besser als in den Alpen, die Straßen sind schöner gebaut. Kaum Verkehr, im Gegensatz zum Tagesbeginn. Und die Straßen sind gut.

Danach geht es wieder hoch zum Passo Giogio (882m). Für mich der Härtetest. Die Steigung beträgt oft nur 3-4%, erscheint mir aber höher und erreicht manchmal sogar in der Wirklichkeit 9%. Wir kommen in dichten Nebel. Wie lange die Tortur dauert, weiß ich nicht, auf jeden Fall ist der Anstieg viel länger als 10km. Ein Ende ist nicht in Sicht. Kann auch gar nicht sein bei diesem Nebel.

Ganz plötzlich taucht das Paßschild auf und mit ihm ein Betreuerauto. Da haben wir gleich jemanden, der von uns ein Foto machen kann.

Wiederum folgt eine wunderschöne Abfahrt mit einigen weder zu beschreibenden noch zu fotografierenden Blicken. Es hat geregnet (nur wir bleiben trocken), in Tälern liegt Dunst, die Berge hängen in den Wolken. Wie ein japanisches Erdfarbengemälde.

Unten in San Piero übersehen wir einen Abzweig. Peter rauscht durch (er sieht ohne Brille sowieso schlecht), ich passe nicht auf. Wir kommen auf in der Karte nicht verzeichnete Straßenneubauten und müssen durch einen kurzen, geraden Tunnel. Wir sollen aber nach Borgo san Lorenzo. Problem: Überall geht es nach Florenz. Peter will direkt fahren, ich warne vor möglichen Schnellstraßen. Schließlich setze ich meinen Kopf durch, doch das Durchqueren einer gesperrten Straße erfordert einige Querfeldein-Fähigkeiten: 5m Hang hinab und wieder hinauf, Umklettern eines Bauzaunes auf einer Brücke mit anschließendem Hinüberreichen des Rades. Ich bin Ähnliches ja gewohnt, aber Peter ...

Wir kommen auf die richtige Straße und erwischen das 2.Buffet. Vergleiche der km-Stände ergeben, daß andere keinesfalls über beide Pässe gefahren sein können. Wenn Ingo oder Axel mich an einem Berg mal überholen, sollte man auch daran denken!

Wir düsen wieder los. Nach einem ziemlich flotten Anfang ist von den anderen nichts zu sehen. Peter drückt auf das Tempo, um nicht wieder in fremde Gruppen zu geraten. Es fährt sich auch besser zu zweit, wir verstehen uns ja prima.

Es geht ein dicht bewaldetes Tal immer aufwärts. In einem Dorf kommt mir eine ziemlich ordinär aussehende Frau entgegen. Ich weiche vorsichtshalber etwas aus - ihr Gesichtsausdruck verheißt nichts Gutes. Peter, der wie üblich am Berg vorn fährt, erzählt mir, daß sie soeben einen Mann mit einem großen Knüppel in die Flucht getrieben hat und dann den Knüppel noch hinterherwarf. Vielleicht ist die Herrschaft der Einarmigen von Verona mit solchen Methoden zu erklären.

Auch dieser namenlose Paß hat ein Ende, wieder geht es lange hinunter, diesmal nun bis Florenz. Die eingetragene Einfahrt in unserer Karte stimmt nicht, und es wird eine wilde Odyssee mit viel Fragerei (und durch die Bank netten Antworten), noch schlimmerem Verkehr als in Verona und endloser Suche. Die JH ist bis auf die spartanischen Zimmer herrlich - in einem wunderbaren Park gelegen, mit Statuen, Brunnen, Ballustraden und innen eher wie ein Museum oder Schloß.

Wir duschen uns fix, schnappen uns in bewährter Weise die Räder und unternehmen einen Stadtbummel per Rad. Florenz ist ein Kulturschock, der nächste nach Verona. Man ist überwältigt von der Fülle der Sehenswürdigkeiten und dem bunten, internationalen Menschengewimmel dazwischen. Fast alles in gutem Zustand. Es ist wie ein Spaziergang in alten Canalettobildern. Nach einem fast verknipsten Film packt Peter resigniert den Fotoapparat weg - es hat keinen Sinn! Und dann packt er ihn doch wieder aus.

Eine Eisdiele hat solch eine tolle Auslage, daß ich sie fotografiere. Dort liegen die Früchte noch auf dem Eis, es sieht äußerst appetitanregend aus. Ich lasse weitere 3000 Lire für Eis, das mindestens so gut schmeckt die das große für 5000 Lire (5DM) vorher und - man sollte es gar nicht glauben - noch besser als das in Verona.

Das Abendbrot ist überraschend gut und reichlich für eine JH. Wie immer bleibe ich trotzdem etwas hungrig.

Während mir meine Frau am Telefon erzählt, daß für Italien Gewitter angekündigt seien, wird der Himmel binnen 1-2 Minuten tiefrosa. Alles stürmt aus der Herberge, um das Schauspiel zu sehen. Fast gleichzeitig ist erstes Donnergrollen zu hören. Endlich einmal eine Wettervorhersage, die stimmt. Und wie! 10 Minuten später schlägt der Blitz in der Nähe ein, das Licht geht aus. Die Computer laufen weiter, offenbar hängen sie an einer UPS (unabhängigen Stromversorgung). Vielleicht gibt es öfters Probleme mit dem Strom.

12.Etappe: Florenz-Siena

68.5km, 25.5km/h ab OA, 1150Hm

Früh ist das Wetter wieder schön, wenngleich windig. Die Stimmung ist prächtig, unser Hesse singt "Jajaja - jetzt wird wieder die Pedale gedrückt" (nach der Melodie vom bekannten Lied über das Bruttosozialprodukt). Ein Wunder geschieht: Nach 12 Tagen Gegenwind ohne Unterbrechung endlich einmal der Wind nicht von vorn. Es ist kaum zu fassen.

Die gemeinsame Ausfahrt aus der Stadt im üblichen Verkehrschaos; man gewöhnt sich daran. 6.5km und 23 Minuten dauert das, dann können wir losziehen.

Es geht ständig bergauf und bergab, doch immer nur mit 4-6%. Das erklärt das relativ hohe Tempo, wenn man es mit dem Profil der Strecke vergleicht. Nun sehe ich die Toskana endlich so wie beschrieben: lieblich, weitläufig, Weinhänge, Olivenhaine, Burgen auf Bergen ... In Greve di Chianti ein kurzer Abstecher zum Marktplatz - gleich ein Foto. Die anderen ziehen derweil vorbei. Am Anfang sind sie immer schnell, doch das gibt sich rasch.

Peter hat schlecht geschlafen, allerdings besagt sein Tempo etwas ganz anderes! Am ersten Buffet stopfen wir uns beide die Bäuche bis zum Anschlag voll (endlich hat auch er einmal ordentlichen Hunger und drängelt nicht). Dürrpeter und Jürgen starten an uns vorbei, wir dagegen denken eher an Weinkauf (wir sind im Land des Chianti). Daraus wird nichts, und Peter tritt nun sehr kräftig in die Pedale. Ich kann gut mithalten. Da tauchen die beiden vorn auf. Wir sind die besseren Abfahrer, ohne Frage. Und es geht bald hinab. Wir ziehen bergan mit anständigem Tempo an beiden vorbei (es muß ziemlich über 40 liegen). Das muß sein, denn sie scheinen nach ihrer mißglückten Po-Alleinfahrt immer noch sauer auf uns, vor allem Jürgen stichelt immer wieder.

Mit bis zu 60 Sachen geht es nun auf sehr guten Straßen ohne Verkehr hinab. Hier kann man manche Kurven auch mit 50 fahren. Bergan hole ich besser Schwung als Peter (das verbessert er dann aber rasch) und fahre im letzten Teil vorn. Trotzdem bleiben ein paar Blicke für die Landschaft übrig.

Wir haben Glück und finden die JH fast sofort. 5.5 Minuten Vorsprung vor den beiden, das ist eine Sache des Prestige. Und wieder die ersten, wie mittlerweile von uns erwartet. Wir können schließlich die Leute nicht enttäuschen :-)

Jürgen stichelt: "Bergab geht's ja schon gut bei Dir, Zwinki, nur berghoch mußte noch ein bißchen arbeiten ..." Auch berghoch hänge ich ihn problemlos ab (er sieht noch sehr gut aus, ist aber trotzdem schon über 60), nur eben den Bergfloh Dürrpeter nicht, denn man gefälligst in der Ebene plattmacht :-)

Die JH hat noch zu, wir radeln in die Stadt und staunen schon wieder. Von Siena wußte ich bisher nur, daß diese Farbe im Malkasten rechts oben war. Welch eine Bildungslücke. Der Dom ist zwar nicht so gigantisch wie der von Florenz, doch er steckt allemal alles in die Tasche, was ich in Deutschland bisher sah, auch innen. Unmassen Menschen auf den Straßen; neben Italienern Deutsche, Japaner, Engländer ... Und überall alles sehenswert.

Großes Spettacolo bei Öffnung der JH wegen der Zimmereinteilung. Dabei ist eigentlich alles klar, es passiert nichts Schlimmes, es dauert nur ein wenig. Eben Italien live.

Mir geht es heute wieder ganz gut. Lediglich die Fingernägel wachsen kaum noch. Das habe ich schon im Hochgebirge beobachtet.

An dieser Stelle sollte ich nochmals etwas zu den Buffets sagen. Sie sind wirklich (vielleicht mit Ausnahme der letzten Etappen) sehr gut. Heute gab es z.B.: dicke Weißbrotscheiben mit Remoulade, Salatblat und guter Salami, oder mit Käse und frischen Paprikastücken, Schmalzstullen, dicke Brötchen mit Marmelade, Bananen, Melone, Paprikastreifen, Studentenfutter. Getränk: Tee (ungesüßt) mit Zitrone oder Sirupwasser. Und das Menü variiert leicht ...

Größere Sorgen bereitet mir der Fahrradtransport beim Rückflug. Das scheint trotz zweimaliger Nachfrage vor der Tour nicht ordentlich abgesichert zu sein (Radkarton usw.). Es gibt auch mit den Unterkünften kleine Pannen, doch das ist bei weitem nicht so schlimm wie der Fahrradtransport, wo wir uns auf den Organisator verlassen haben.

Abends eine Extra-Besprechung zu diesem Thema. Hoffen wir, daß es gut geht.

Von Tag zu Tag werden die Düfte stärker. Das erste Mal roch es auf der 8.Etappe im Breiental nach Weihrauch. Inzwischen duftet es an jeder Ecke anders. Vor allem Konditoreien verströmen einen geradezu unwiderstehlichen Duft. Heute werde ich schwach und kaufe für 9000 Lire ein schweres Tortenstück aus Nüssen, Mandeln, Früchten, stark gewürztem Teig, mit Oblaten und viel Kakaopulver. Man ißt sehr lange daran, und es schmeckt phantastisch. Was für eine Eßkultur. Die Süßigkeit ist ihr Geld wert. Und man kann nur einen winzigen Teil all der Köstlichkeiten probieren.

13.Etappe: Siena-Cortona

82.3km, 25.1km/h, 1060Hm

Meine Matratze hatte in der Mitte eine Art Wirbelsäule, die sich mit meiner schlecht vertrug. Ich schlief trotzdem durch, wenngleich mit vielen unruhigen Träumen.

Die Toilette hat nur ein dünnwandiges Becken ohne Brille. Der für den Rennfahrer so wichtige morgendliche Stuhlgang wird in dieser Vorrichtung ohne Haltegriff (Hocken ohne Aufsetzen) nach 12 Etappen zu einer ungemein qualvollen Angelegenheit.

Zum Frühstück wacht wieder eine energische Mama darüber, daß keiner zuviel abbekommt. Doch Radfahrer wissen schon, wie sie zu ihren Kalorien kommen. Zum Beispiel mit 6 Tüten Zucker auf 3 kleine Capuccinos.

Die Sonne strahlt nur so, dafür haben wir wieder Gegenwind, aber zackigen (30-40km/h). Bei der gemeinsamen Ausfahrt über endlos viele Kreisverkehre rutsche ich in ein Schlagloch. Dabei kippt die Sattelspitze hoch, weil ich die Schraube nicht genügend angezogen hatte. Das erste Mal für heute dem Feld hinterherjagen, und das bei diesem Wind.

Diesmal sind wir das Standard-Trio vorn. An einem langen Anstieg merke ich, daß der Höhenmesser noch nicht aktiviert ist. Die Höhenmeter bis dahin schätzen und zum zweiten Mal jemandem hinterherjagen.

Ein relativ flacher, aber wieder sehr langer Anstieg (mehr als 10km) führt uns zum Buffet. In einer Steigung kniet Peter Scheunemann auf der Straße. Während die anderen noch glauben, er meditiere, nutze ich schnell die Gelegenheit, schalte einen Gang hoch und sprinte mit Volldampf an den anderen beiden vorbei - Peter Scheunemann filmt nämlich.

15km vor Cortona zeigt sich die Stadt schon. Erst glaube ich, sie liege auf dem ganz hohen Berg, aber der kleine Bruder ist vollkommen ausreichend. Ich erwarte Schlimmes und nehme beizeiten Tempo heraus. Jürgen ist inzwischen dabei und fährt gleich vorn. Da habe ich keine Angst, am Berg hängt er doch wieder ganz weit hinten.

Eine 12%ige Steigung wird zur Pein, selbst bei 26:21. Man ist eben nicht mehr ganz frisch. Auch hat der leichte Renncharakter der Etappe mit Schuld daran (ich habe viel mit 30 gegen den starken Wind geführt und mußte zweimal aufholen). Schließlich mußte ich Jürgen etwas versägen, weil der sich in unsere Gruppe schlich, aber nicht führen wollte. Rache für eine spitze Bemerkung gestern ... Als das Tempo nicht mehr unter 35 sinken wollte, nützte ihm nämlich auch der Windschatten nicht mehr viel ...

Tria-Peter und Dürrpeter liefern sich ein Rennen in den letzten Bergen. Ich mache da nicht mit. Erstens habe ich dort wenig Chancen, zweitens erwarte ich 20% Steigung. Es bleibt aber bei den besagten 12%. Nach dem üblichen Ortseingangsschildfoto für Tria-Peter fahre ich weiter und sehe ihn nicht mehr. Es geht wunderschöne Serpentinen hoch (also eine ganz alte Straße) mit herrlichen Fernblicken über weites Land mit hohen Bergen dahinter. Hinten ragt ein besonders hoher Berg heraus - keine Ahnung, welcher das sein könnte.

Die berüchtigten "nicht fahrbaren 20%" sind 16% über Steinplatten zur JH und bereiten mit 26:24 auch nach dieser Etappe keine Probleme. Allerdings verfahre ich mich und gerate auf ein Stück mit deutlich über 21%. Das folgende noch steilere Stück brauche ich zum Glück nicht mehr hoch - man sagt mir, daß ich falsch bin.

Die JH ist bald gefunden und sehr schön.

Unser Hesse hatte nach 30-40km einen Rahmenbruch - Ende der Tour (Koga Miyata, ca. 20000km, 2.5 Jahre alt). Er ist die Tour aber bereits vor 2 Jahren gefahren und nur mäßig traurig, zumal er Hoffnungen auf Garantie hat.

Triapeter kommt spät, er hatte eine andere Zufahrt gewählt.

Cortona ist nun schon die vierte Stadt in Folge, die einen umwirft (Verona, Florenz, Siena, Cortona). Wieder eine Reise in die Vergangenheit, diesmal eher ins 16. Jahrhundert. Sehr gut erhaltene Steinhäuser, schmucke Laternen daran (diese geben der Straße richtig Gesicht!), noch engere und noch viel steilere Gassen als bisher gesehen, Interessantes an jeder Ecke und dazu noch die Fernblicke auf flaches Land, den großen Trasimeno-See und Apennin. Palmen, Pinien, Zypressen, Blumen an Fenstern und in Gärten, dazu ein schwer vorstellbarer ehemaliger Reichtum, der heute noch glänzt.

Wir schlendern durch die Gassen und plaudern über Gott und alle Welt. Es geht immer höher, scheinbar ohne Ende. Fast oben auf dem Berg eine Kirche, die mich an Bilder aus Griechenland erinnert. Trotz kurzer Hosen gehen wir wenigstens durch die erste Tür - so eine farbige Kirche habe ich zuvor noch nicht gesehen. Die Wänder aus abwechselnden Schichten roten und weißen Gesteins (Marmor?); so etwas erblickte ich erstmals in Verona. Die Decke tiefblau mit farbenprächtigen, teils goldumrandeten Gemälden. Altar und Baldachin silbern und grau. Alles zusammen sehr harmonisch und nicht so sehr überladen.

Noch höher geht es, ein eigentümlicher Rundblick öffnet sich. Die Kirchenglocken beginnen zu läuten, man sieht sie seitlich herausschwenken. Es ist eine seltsame, bewegende Stimmung hier oben, die mich an die Bilder des litauischen Malers Ciurlionis erinnert. Mir ist, als würde ich jetzt plötzlich in solch einem Bild stehen, das vorher wie ein Traum erschien.

Da paßt auch ein Kloster mit singenden Nonnen in der Stadt hinein, ebenso wie die armselige Frau, die auf der Bank vor ihrem Haus sitzt. Das soll keine Verklärung sein. Es paßt einfach. Aber die Stadt und die allermeisten Menschen hier wirken äußerst gepflegt.

Das Abendessen in der historischen JH ist exzellent und wird unüblicherweise sogar serviert. Peter hat Probleme wegen einer riesigen Pizza, die wir vor 2 Stunden aßen. Aber es gibt noch genügend hungrige Mäuler, die gestopft sein wollen. Nichts bleibt übrig. Auffallend auch die Freundlichkeit des Herbergsleiters und seiner Angestellten.

Kurios: Während Männer und Frauen in italienischen JHn prinzipiell getrennt schlafen müssen, sind seit gestern Toiletten und heute sogar Duschen und Waschräume gemeinsam. Unsere ältere Betreuerin Hanna ist schockiert: Als sie mit dem Schminkköfferchen in den Waschraum kommt, steht dort schon Tria-Peter und rasiert sich. Nach kurzer Aufklärung beginnt sie notgedrungen mit dem Pudern. Peter sagt nur: "Und da antwortete der Spiegel ..." Ihre Mimik zeigte deutlich, daß sie verstanden hatte. Arme Hanna. Nach unserer Kritik am Gardasee-Buffet, die ihr fast die Tränen in die Augen trieb, ein weiterer, harter Schock für die - sagen wir mal - etwas überforderte Frau.

14.Etappe: Cortona - Viterbo - Vetralla

170.4km, 26.2km/h, 2060 Hm

Nach einem etwas schwierigen Gepäcktransport (die JH ist nur mit einem kleinen Auto erreichbar) geht es unten auf dem Parkplatz los. Zuerst gemeinsam bergab, dann bei herrlicher Morgenstimmung am Trasimeno-See vorbei. Der Wind ist relativ schwach, meist von der Kante. Peter und ich sind weit vorn, obwohl uns eine Gruppe zu verfolgen scheint. Einmal werden wir fehlgeleitet, was sich zum Glück sofort klärt.

Beim zweiten Mal ist es schlimmer. Peter Scheunemann fährt mit seinem Wagen vor, wir hinterher. Ich wäre dort nicht abgebogen, aber er muß es ja wissen. Dadurch fahren wir ganz hoch nach Panicale, durch das alte Dorf hindurch und an der Burg vorbei. Fernsicht, Ort und lange Abfahrt sind sehr schön, doch die vielen zusätzlichen Höhenmeter werden sich später bemerkbar machen.

Unten erwischen wir gerade noch unsere "Verfolgergruppe". Jürgen ist ziemlich spitz. Mit reichlich 60 Jahren sollte man seine Berliner Großschnauze entweder so clever wie der Professor gebrauchen oder aber durch weisere Reden ersetzen :-)

Am langen Berg zum Buffet hoch geht ein wildes Rennen zwischen Tria-Peter, Axel und Ingo los, das Ingo vor Peter gewinnt oder umgekehrt - egal. Ich kann da ohnehin nicht mit. Dürrpeter ist schon lange oben (?).

Nun geht es hüglig weiter, die Höhenmeter zählen sich erschreckend schnell zusammen. Der richtige Abzweig in Orvieta - man warnte uns davor - ist kein Problem, aber dann läßt uns die Streckenbeschreibung gründlich im Stich. Einen langen Berg hoch nach Baschi, weil wir ja immer parallel zur Autobahn bleiben sollen - stimmt aber überhaupt nicht. Die Karte auf der Rückseite der Beschreibung sagt: rechts vom Highway bleiben! Also alles wieder zurück, alles wieder hinunter. 8km Umweg und dann einen gräßlichen Berg in flimmernder Hitze hoch. Rechts in dieser Einöde plötzlich wieder schwarze Prostituierte im Schatten weniger Bäume; sie wollen mich mit Weintrauben heranlocken :-))

Oben sagt es wieder nur die Beschreibung, nicht die Karte: Links ab nach Castello in Taverni. Ein Ratespiel. Nirgends ein Mensch zu sehen. Beängstigend viele km bereits, das Ziel ist noch sehr weit entfernt. Wir brauchen dringend Wasser!

Da - links ein Restaurant oder Hotel. Wie sich herausstellt, ein Trainingslager für Rennradler. Wir werden überschwenglich begrüßt und bekommen sofort jeder einen extrastarken Espresso spendiert. Und natürlich Wasser. Mein Neigungsmesser wird bestaunt und geprüft (die Libelle am Lenker), ich erkläre mit Händen und Füßen, was wir schon so gefahren sind.

"Frisch" geht es nun bergab. Nach 500m rechts überraschend das 2.Buffet. Das ist viel eher als im Plan, aber trotzdem viel zu spät - für uns sogar nach 70km Durststrecke! Mit der Organisation klappt es heute schlecht. Dafür liegt das Buffet im Schatten, an einem großen Wasserbassin. Das tut gut.

Unsere Betreuerinnen Kathrin und Ramona haben von Feigenkakteen am Straßenrand die dunkelvioletten Früchte gepflückt und bieten sie mit an. Natürlich muß ich sie sofort ausprobieren. Die Kerne sind steinhart, doch das umliegende Fruchtfleisch schmeckt angenehm erfrischend. Was ich jedoch nicht wußte ist, daß auch diese Opuntienfrüchte solche heimtückischen Stacheln auf der Schale haben, die man nicht aus der Haut ziehen kann. Die Weiterfahrt wird bei gewissen Griffpositionen zur Akupunktur.

Die Sonne brennt erbarmungslos auf bewaldete hohe Berge, Weinreben, Straßen und leider auch uns herab. Die Wellen nehmen kein Ende: Ein Anstieg nach dem anderen. Teilweise tolle Blicke. Wir sehen heute viele festungsartige Dörfer. Besonders Mugagno in Taverni ist beeindruckend - es steht praktisch auf einem Tafelberg.

Bomanzo beeindruckt uns noch mehr. Alles fürchterlich eng und nach außen verschanzt, eine Eisenbahnbrücke führt mitten in die Häuser hinein (und danach gleich in einen Tunnel). Vor allem aber ist die Straße ist qualvoll. Sie will wie üblich ganz hoch. Es wird immer steiler, zum Schluß sind es 11%. Mann, tut das heute weh. Thomas holt uns nach einem ewig langen Berg fast mit dem MTB ein. Ich massiere gerade meine höllisch brennenden Füße, die in der Hitze aufquellen und im Schuh zu wenig Platz finden.

Nach Viterbo geht es lange hinab. Die Straßen sind heute deutlich schlechter als gestern, ich bin deswegen bei den Abfahrten viel vorsichtiger, auch weil ich anscheinend nicht so konzentriert bin. Unten schon wieder Füße massieren. Das zehrt an der Form.

In Viterbo finden wir zum Glück schnell die Straße nach Vetralla (es müßte die nach Rom sein, und das stimmt ja auch - wir fragen zwei Frauen, die es bestätigen). Vorbei an einer riesigen Stadtmauer mit großen Zinnen. Mit dem Quartier scheint etwas nicht geklappt zu haben, deswegen müssen wir in Vetralla in Privatquartieren übernachten.

Auf und ab, auf und ab. Vetralla ist erreicht, wir kämpfen noch um einen guten Schnitt. Dann die angekündigte Tankstelle, unser Wagen steht da.

Aus offiziell 132km bis Viterbo wurden 170km bis Vetralla, ohne unseren Verhauer immer noch 162km. Bei dieser Fahrt ist das eine der härtesten Etappen bisher. Wir sind total ausgebrannt.

Dürrpeter und Jürgen sollen schon seit einer Stunde da sein. Macht bei ähnlichen Pausen (ohne Verhauer) einen satten 30er Schnitt. Das kommt natürlich nicht hin. Diese Abkürzer wohnen in unserem Privatquartier und schwingen recht große Töne. Triapeter ist mächtig sauer, vor allem auf Jürgen.

Wir werden vom Quartierbesitzer mit dem Auto abgeholt, genauer gesagt, unser Gepäck. Natürlich hat er kein Gefühl dafür, wie schnell Rennradler nach solchen Etappen die Berge hochfahren können. Wir schaffen es kaum hinterher.

Die Treppe hoch die gleiche Zeremonie: Peter schleift Schritt für Schritt den schweren Koffer hoch, ich bewege mich mit meinem großen Rucksack wie auf 3500m Höhe. Warum muß die Wohnung auch im 1.Stock liegen.

Trotzdem folgen gleich nach dem Einzug: Duschen, Haare waschen, Dehnen, Trikotwäsche, Tagebuch schreiben, Vorderreifen prophylaktisch wechseln. Schön ist das Leben.

Nach all der Pflicht der obligatorische Stadtbummel. Auch Vetralla besteht im Kern aus uralten Häusern, die jedoch meist nicht restauriert sind. Das sieht teils schon erschreckend aus, doch es hat immer noch Stil und ist hochinteressant. Es sitzen nicht nur alte Leute auf den Bänken herum, auch die Jugend ist mächtig zugange. Das Klischee von der vergessenen Kleinstadt greift nicht.

Mit dem Abendessen wird es schwierig. Der "weiße Elefant" sieht uns zu teuer aus, andere geöffnete Gaststätten finden wir nicht (ebenso wenig wie das angeblich stattfindende Fest), nur eine Art Bars.

Der Hunger treibt mich in eine Pizza-Bar ohne Sitzplätze. Peter hat eigentlich erst einmal genug von Pizza, aber er läßt sich anstecken. Nur geschieht die Bedienung in zufälliger Reihenfolge. Alles quirlt umher und diskutiert. Doch auch wir kommen noch dran, nur Geduld (etwas slawische Mentalität ist erforderlich).

Meine zwei Pizzastücke schmecken unerwartet gut, auch Peter ist von seinem begeistert. Und sehr preiswert ist es hier!

In diesem Moment geht in der gesamten Stadt das Licht aus. Ein kurzes Flackern noch nach einer Minute, das war's dann. Wir essen in der tiefen Dämmerung. Bei Notlicht holen wir uns aus der Bar gegenüber jeder ein Bier. Die Verkäuferin kenne ich: Sie wurde unmittelbar vor uns in der Pizzabar bedient.

Nach dem zweiten Bier leistet sich Peter ein Eis. Ich sehe es, erfahre den Preis und stürme sofort hinein. Das muß ich einfach beschreiben, was ich hier für 4000 Lire (4DM) erhalte: Eine dicke, knusprige Waffeltüte, außen mit Haselnußsplittern und Schokolade bestreut, darin je einen großen Batzen Nußeis mit Nußstückchen, Pistazieneis (das wirklich nach Pistazie schmeckt und nicht nach Aroma), "englische Suppe" (Orangeneis mit gelb-roten Schlieren und Schokoladenfäden darin, alles handgemacht), darüber eine ansehnliche Portion Schlagsahne, Schokoladensauce darauf mit dünnem Strahl kunstvoll verteilt und oben noch ein Waffelröllchen mit Schokolade umwickelt. Das Auge ißt mit. Und das alles bei Stromsperre!

Dies unterscheidet die italienische Gesellschaft von der deutschen: Sie funktioniert zur Not eine Weile auch ohne Strom. Und keiner regt sich auf. Scheint nicht so selten zu sein. Ich denke an die Notstromversorgung der Rechner nach dem Blitzschlag in Florenz.

Nach einer halben Stunde ist der Strom wieder da.

15.Etappe: Vetralla-Rom

73.4km, 21.3km/h (Konvoi), 580Hm

Wie wohl alle bereiteten wir unser Frühstück selbst zu - endlich einmal Rühreier mit Schinkenspeck, allerdings nur 6 Eier für 4 Leute.

Heute wird im Konvoi gefahren (warum eigentlich? Gemeinschaftssinn?), dementsprechend ist das Tempo sehr ruhig. Tria-Peter und ich bilden die Nachhut. Prompt passiert es bei den vielen schlechten Fahrern gleich zu Beginn: Plötzliches Bremsen, Tria-Peter touchiert Jürgens Hinterrad und fällt um (sein angeblich erster richtiger Sturz, zum Glück ohne Folgen). Jürgen fällt nach der anderen Seite um und hat unverständlicherweise eine derartige Acht im Hinterrad, daß er ein neues Laufrad geborgt bekommt. Eine unsinnige Diskussion um die Schuldfrage entsteht zwischen beiden.

Es geht bei strahlender Sonne und beinahe Windstille gemütlich bis vor Rom. Die Strecke verläuft nach einem verkehrsreichen Anfang im Wald und ist noch schön. Nur die Gruppenfahrt mit so vielen mäßigen Fahrern ist sehr stressig, ein paarmal war es wieder kurz vor dem Crash. Kathrin mit ihrem Panzerrad Marke T34 hat eine Riesenleistung vollbracht, bis hierher zu kommen (allerdings ließ sie viele Berge aus). Nur fährt sie furchtbar gefährlich auf übervollen Straßen.

Das Buffet bietet diesmal zusätzlich frisch gepflückte Feigen (viel süßer als in Deutschland!) und Weintrauben.

Weiter geht es in der Sonne, vorbei an einem großen Radiosender auf riesigem Gelände - so ein großes, mit alten Mauern umrandetes Gelände habe ich wohl noch nicht gesehen. Rechts ebenfalls schwer bewachtes Gelände, Posten mit Maschinenpistolen am Eingang. Irgendein Hochsicherheits-Arbeitgeber?

Solche neuzeitlichen Festungen häufen sich, je näher man Rom kommt. Wir erreichen den Süden Italiens.

Die Zikaden zirpen so laut, daß man sie sogar oft im Straßenlärm hört.

Ankunft auf einem Parkplatz, Weintrauben essen und auf die Polizei warten, die uns in die Stadt bringen soll. Peter Scheunemann instruiert uns nochmals über römische Verkehrsverhältnisse (Verhältnisse, nicht Regeln!). Man kann schon dabei Angst bekommen: Nie anhalten, alles fließt, Augen überall haben, und insbesondere die Motorroller kommen von überall, außer von oben (in der Regel jedenfalls).

Dann geht es vorerst ohne Polizei los, die kurz darauf verspätet eintrifft (wir sind ja nicht in Deutschland). Ein unvergleichliches Gefühl: Mit Blaulicht und Sirene durch Rom zur Jugendherberge. Die Fahrt ist für uns dort noch nicht zu Ende, doch es ist wie ein krönender Abschluß. Dank Polizei läßt sich der Verkehr sogar ertragen. Das schreibe ich aber im Nachhinein.

Ankunft an der JH bei 35 Grad. Die Spannung löst sich schlagartig, einige sind nun am Ziel (auch Dürrpeter und Jürgen bleiben hier). Peter Scheunemann freut sich riesig. Rotwein wird ausgeschenkt, Gruppenfoto, spontan singen wir "Heut ist ein wunderschöner Tag" (der Hesse als Stimmungsmacher wie immer voran).

Beim Anblick der Duschen in der JH meinte einer gleich: "Seit Spartakus nichts mehr verändert." So schlimm ist es zum Glück nicht, das Wasser wird nach endlicher Zeit sogar warm. Und die Klobrille gerät nach Berührung eines Sensors in kreisende Bewegung und wird auf ominöse Weise gereinigt. Nur meine rotiert immer weiter. Ich flüchte.

Peter und ich unternehmen den obligatorischen Stadtmarathon. Von "Bummel" kann nicht die Rede sein. Zum Kolosseum schaffen wir es nicht mehr, der Piazza Venezia ist der entfernteste Punkt. Rom erschlägt einen mit Lärm und unglaublichem Verkehr. Dagegen waren die anderen Städte ja noch ruhig. Ohne Frage gibt es übermäßig viel zu sehen, doch das erfordert sehr viel Lauferei. Wir nehmen wenigstes noch die spanische Treppe und den o.g. Platz mit, aber zur spanischen Treppe kommt man kaum zu Fuß. Irgendein schwarzer Wagen parkt vor einem (oder *dem*?) Armani-Geschäft (auch auf der Via Corsi fast nur Modeboutiquen). Riesige Menschentrauben, dazwischen mindestens 10 Taxis, die gleichzeitig in ein ohrenbetäubendes Hupkonzert einstimmen. Und überall noch die Motorroller dazwischen. Wie warnte uns doch Peter Scheunemann: "Sie kommen von überall, außer von oben."

Nach 2 3/4 Stunden Eilmarsch lassen wir uns erschöpft am Abendbrottisch nieder. Es schmeckt sehr gut, nur sind Fleisch und Auberginen reichlich mit Olivenöl versehen - ich werde sehr satt. Die letzte Nahrungsaufnahme liegt wohl 10 Stunden zurück. Überhaupt hat der Hunger nachgelassen. In der ersten Woche konnte ich noch Unmassen essen (und das war gut so), in der zweiten Woche war das Essen meist Vernunftsache, jetzt wird es zur Pflichtübung. Wir könnten mit weniger auskommen, würden dann aber deutlich schneller abbauen. Wir bauen ohnehin ab.

Nach dem Abendbrot ist noch die Vatikanstadt im Dunklen dran. Die beeindruckt mich wirklich. Gigantomanisch, wie alles in Rom. Überall reich verzierte Reliefs, ein nie gesehener Reichtum. Und das alles schon von außen.

Auf dem Heimweg sind wir platt und fallen in eine Bar ein. Ich genehmige mir eine Flasche Guiness-Bier für 8000 Lire. Es schmeckt, besonders bei der großen Wärme draußen. Wir sind wohl heute an die 20km gelaufen.

Die Brücken über den Tiber sehen nachts schöner als am Tag aus, sie sind kunstvoll beleuchtet. Auch so ein kleiner Fluß hat seine Reize. Nur Fledermäuse gibt es hier keine. Das wäre irgendwie auch verwunderlich.

Inzwischen komme ich auch mit dem Verkehr klar. Aber an den Lärm kann man sich nicht gewöhnen. Eine normale Unterhaltung auf einer beliebigen Straße ist fast nicht möglich. Und nachts wird erst richtig gerast auf dem schlechten Belag. Welch ein Unterschied zu den Städten vorher.

Unglaublich: Mein Hinterrad habe ich seit Postdam nicht mehr aufgepumpt. Ich fahre normale Vittoria-Schläuche und habe Vittoria Action HSD Reifen, die sehr pannenfest und widerstandsfähig sind.

Zusätzlich zum Verkehrslärm findet im Olympiastadion gegenüber der JH noch ein Rockkonzert statt. Ich stecke mir wieder Ohropax in die Ohren und träume die ganze Nacht von Straßen, Städten und Orientierung. Unsere Welt besteht schon lange aus nichts anderem mehr.

16.Etappe: Rom-Gaeta

172km, 26.7km/h ab OA Rom bis zum Treffpunkt, 840Hm

Die JH in Rom ist etwas kasernenartig, offenbar typisch für große Städte. Das Frühstück besteht aus einem römischen Hohlbrötchen mit einem Klecks Marmelade und einer Nußschale voll Butter (und etwas Kakaotrunk). Mit derart reichlich aufgefüllten Energietanks stürzen wir 13 Verbliebenen, die noch nach Neapel wollen, uns in das größte Abenteuer.

Panzerrad-Kathrin ist schlau und vernünftig. Sie fährt anfangs in einem Begleitauto mit. Wir anderen müssen mit 2 Fahrzeugen (vorn und hinten je eines) 17km lang aus Rom herausfahren, ohne Polizeischutz. Wer es nicht erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen. 4-5 Reihen Autos nebeneinander (Spurgrenzen sind ohnehin kaum zu erkennen), rechts und links davon sowie in allen kleinen Lücken Motorroller. Die fahren zentimetergenau. Ich bin ganz vorn und schließe sofort die kleinste Lücke zum ersten Auto, damit keiner hineindrängeln kann. Mit zwei Ausnahmen gelingt das auch. Ein Roller schiebt sich rechts von uns nach links hindurch, springt durch 3 Reihen Autos (hier ist die Straße schmaler) und düst ab. Das klingt brutal, ist aber nicht so gefährlich. Man muß seine Augen nur überall haben.

Krimineller ist ein Auto von rechts, das sich einfach nicht abdrängen läßt. Auch es schießt mehrere Spuren nach links. Ist hier so üblich.

Ansonsten stehen wir die meiste Zeit in endlosen Staus und atmen die würzigen Abgase ringsum ein. Stickig, diesig, heiß, Lärm - es nimmt einfach kein Ende. Über eine Stunde lang geht das so, sicherlich die längste Stunde in diesem Jahr bisher. Ein flüchtiger Blick nach links und rechts auf evtl. Sehenswürdigkeiten muß trotzdem ab und zu sein.

Dann läßt Peter Scheunemann uns "im Stich" - er kauft ein. Zu unserem Schreck ist von Stadtgrenze nichts zu spüren. Der Verkehr geht unvermindert weiter, nur schneller: Wir sind auf einer Art Autobahn gelandet. Eine echte ist es nicht, denn unzählige Ampeln sorgen für lustige Abwechslung. Eine ideale Übung im Rechts-vorbei-Fahren. Unglaublich, daß wir trotz Stop-and-Go und langsamer Vorbeifahrt an Autos noch so einen Schnitt erreichen (26.7).

Diese Pseudo-Autobahn ist wirklich der nächste Horror. Wir fahren mit Ausnahme kurzer Stücke auf der Standspur. Viel Unrat, schon in Rom viele Glasscherben auf der Straße. Prompt hat Peter einen Platten, der zweite auf der ganzen Tour (ich bleibe zum Glück verschont). Alle ziehen vorbei.

Weiter geht's, der böse Traum nimmt kein Ende. Nach ca. 30km wird die Autobahn in Ortschaften zur hoffnungslos verstopften Straße. Und es ist sehr heiß. Die Motorroller qualmen einen voll wie Trabis, die Laster dieseln einen voll. Manchmal bekomme ich kaum noch Luft. Gebt mir einen Schubs, damit ich endlich aufwache.

Die Orientierung wird manchmal schwierig, einige fahren bis zum 1.Buffet auf unerklärliche Weise 5km mehr als wir. Sogar der "Besenwagen" (der nicht hintenbleibt, sondern dauernd vorfährt!) wollte uns einmal in die Irre leiten. Eingedenk schlechter Erfahrungen glaube ich nichts mehr. Einen Gärtner am Straßenrand gefragt - alles paletti.

Nach Velletri, ca. km 50, ist es soweit. Wir kommen auf eine für römische Verhältnisse ganz einsame Straße, die allerdings genauso schlecht ist wie die Straßen nach dem Ende der "Autobahn".

Erst nach 66km das erste Buffet. Wir fressen wie die Scheunendrescher, denn uns schwant nichts Gutes, so wie das heute läuft.

Und dann geht es nach Latina. Diese wunderhübsche Großstadt wird keiner so schnell vergessen. Sie zeichnet sich durch zwei Dinge aus: Erstens gibt es wirklich absolut nichts zu sehen (kalte Neubauten, wie in Deutschland die leerstehenden Bürohäuser, als Highlight), und zweitens fehlen Hinweisschilder praktisch komplett. Ich kann mich nicht besinnen, so etwas schon einmal erlebt zu haben.

Zuerst kommen wir an einen Kreisverkehr mit 5 unbeschrifteten Ausgängen. Ringsum nur Brachland und gesichtlose Hochhäuser. Ein Italiener, der von Mailand aus eine große Tour unternimmt und den wir schon mehrmals trafen (er fährt auf seinem Trekkingrad mit Gepäck bemerkenswert schnell und kennt obendrein kürzere Strecken als wir), hilft uns mehr als die einzigen zwei Menschen hier: Zwei Jugendliche, die auf die Frage nach "Borgo Sonzo" in drei Richtungen zeigen und dann zugeben, daß sie es nicht wissen. Es ist zwar der Nachbarort, doch ebenfalls ohne Schilder ...

Wir irren zusammen durch die Stadt, der Italiener fragt mindestens fünfmal, denn auch seine Unterlagen stimmen nicht mehr. Fast hätte er uns die die falsche Richtung nach Neapel geleitet. Wir aber wollen nach Gaeta.

Schließlich trennen wir uns - schade, ein lustiger und angenehmer Geselle weniger. Ich erwische eine Frau auf dem Motorroller vor mir, die Borgo Sonzo kennt und uns die richtige Straße zeigt. Hurra, gewonnen, aber nur kurz ...

Dann kommt die Sensation: Ein Hinweisschild. Wir sind tatsächlich richtig. Nach dem Schild die Gruppe um Ingo und Axel. Sie wurden von einem Italiener effektiver als wir geführt, sehen von dort aus aber nicht das einzige Schild und stehen daher trotzdem ratlos herum. Nun sind Peter und ich mal schlauer.

Die Sonne brennt wieder ohne Gnade, es ist sehr diesig und schwül. Von der Landschaft ist nicht viel zu sehen, die Berge links erscheinen nur als blaßblaue Silhouetten. Es rattert und rüttelt ohne Unterlaß auf dem schlechten Asphalt.

In Borgo Grappa läßt uns unser Plan vollends im Stich. Ich finde tatsächlich den vorgegebenen Abzweig, aber nur nach Blick auf die Karte und Vergleich mit den Angaben auf einem Schild, das nur aus der Gegenrichtung sichtbar ist. Axel&Co. sind inzwischen auch da und folgen uns. Die Straße endet blind, doch bei der Rückfahrt zeigt sich in Gegenrichtung ein Schild, das auf eine Brücke verweist: Dort geht's lang am Meer bis nach Sabaudia. Ist das schwierig.

Eine hundsmiserable Piste. Das Meer zeigt sich erstmals zwischen Dünen. Angeblich soll hier alles abgesperrt sein, an unserer Stelle jedenfalls nichts. Linkskurve und ... Ende! Die Straße verschwindet unter einer Düne!

Drei Motorradfahrer schauen ebenso verdutzt. Jetzt reicht's. Alle Mann zum Strand, Sachen aus, baden. Ausgelassene Stimmung. Das Wasser ist sehr warm und erfrischt trotzdem ungemein.

Peter fährt schon los, aber langsam. Ich hole ihn ein, denn es gibt nur noch einen Weg - die Straße direkt nach Sabaudia, von der wir abbogen. Rechts erscheint ein Hinweis, daß eine weitere Strandstraße zwischen km 18 und 20 offenbar unterbrochen ist ...

In Sabaudia fragt Peter eine Frau nach Terracina. Falsch! Die Frau antwortet richtig, sie zeigt nach links. Ich korrigiere: Wir müssen erst nach Torre Paola, denn dort steht das Buffet. Die Frau zeigt nach rechts.

In der Tat, hier geht es weiter, erstmals auf guter Strecke am heutigen Tag (wir haben schon 100km weg). Ein höherer, felsiger Berg (Monte Circeo), steile Klippen, eine Festungsruine am Hang - toll, leider alles sehr diesig.

Am 2.Buffet esse ich zuviel Weintrauben. Das bekommt mir nicht gut, es gärt innerlich. Das Waldmeister-Sirupwasser ist in der Hitze schon verdorben, ich muß wieder auf die rote Kirschhimbeerbrühe zurückgreifen. Alle kommen am Buffet vorbei, de Betreuerinnen Ramona und Kathrin sind sehr erleichtert.

Weiter geht's. Nach einiger Zeit landen wir wieder auf einer autobahnartigen Schnellstraße, die bis Gaeta führen soll. In einem Ort können wir sie ein Stück umfahren. Dort entgeht uns ein Schnappschuß. Vater auf Motorroller, Tochter hinten drauf und vorn zwischen den Beinen der weiße Wuschelhund auf dem Trittbrett. Er fühlt sich offensichtlich wohl.

Die Berge links sind rund und kahl, diese Landschaft gefällt mir wenig. Dann wird die Küste felsiger und bietet schönere Ausblicke. Ich habe kaum noch Film übrig und halte mich mit Fotos zurück.

Und dann kommt's - der erste Tunnel. Und wir ohne Licht. Zum Glück ist er gerade und kurz. Der zweite Tunnel ... diese rasenden Laster ...

Wir donnern mit 40 Sachen durch und machen uns möglichst groß. Alle haben dort gezittert. Viermal müssen wir Angst haben. Also ab morgen Licht mitnehmen. Aber heute Streß pur.

Nach 165km Pause im Alptraum: Treffpunkt am Meer. Essen, Baden, ausspannen. Es ist sehr preiswert hier, jedoch vollzieht sich alles unglaublich langsam. Die dicke Mama mit fettigen grauen Strähnen, ein Kind brüllt ständig dazwischen. Ein anderer Mann zeigt mir die Toilette, die sich von innen nicht öffnen läßt - ich bemerke es zum Glück rechtzeitig. Der junge, dickliche Kellner braucht für alles ewig und muß ständig erinnert werden. Und trotzdem sind sie alle nett. Und das Essen ist gut.

Peter und Willy schaffen es noch im Hellen zum Hotel (ohne den versprochenen Strandblick, von dem wir ohnehin nichts mehr hätten). Rolf und ich werden im Dunklen von zwei Autos begleitet. Das letzte Abenteuer des Tages, 7km lang. Es geht aber, nur zweimal fuhr Peter Scheunemann vorn zu schnell.

Das Hotel ist unten vornehm und teuer, das Zimmer sehr mäßig. In der Tiefgarage steht ein riesiger polierter Schlitten, 6m lang. Ringsum alles total dreckig, Holz hackt man hier auch. Wir sind in einem anderen Land.

Heute passiert hier nichts mehr. Noch eine Etappe. Aber was für eine.

17.Etappe: Gaeta-Neapel

101.5km, 32.2km/h bis zum Buffet (36km), 23.7 bis JH, 430Hm

Ich schlafe in der Nacht wieder wie ein Toter. Das Frühstück endlich wieder einmal reichlich. Wir starten gemeinsam und fahren dann einzeln zum Buffet, wo die Straße angeblich zur 4-spurigen Autobahn mutieren soll. Es ist anfangs schön in der nebligen Morgenstimmung und für hiesige Verhältnisse nicht zu warm. Die Berge tragen weiße Halskrausen.

Peter und ich düsen los, ich habe viel Druck auf der Pedale. Die Reisegeschwindigkeit liegt hier in der Ebene und fast Windstille bei 37-40km/h. Trotz des langsamen Anfangs und vieler Ampeln erreichen wir auf den ersten 36km einen Schnitt von 32.2. Er wäre noch erheblich gestiegen, doch da kommt das Buffet, viel zu früh.

Ab dort geht der Frust los. Wozu müssen wir 40km lang hinter dem Leitfahrzeug hinterherzockeln und dessen Abgase schlucken (was wir alles an Abgasen geschluckt haben in dieser Woche!), wenn die Straße doch nicht so schlimm ist und wir allein fahren könnten? Die Autobahn nach Rom war doch um einiges gefährlicher.

Aber damit nicht genug. Wir kommen auf Nebenstraßen, die Ränder werden zunehmend mehr vermüllt. Die Gegend ist ausgesprochen häßlich. Ruinen, Unkraut, Müll überall, vollgeschmierte Wände, miese Straßen - regelrechte Slums. Sicher, Peter Scheunemann wollte mit uns nicht auf die Hauptstraßen, aber das wäre jetzt das kleinere Übel. Und wenn er dann abends in Neapel mit den Leuten durch einen Tunnel will, geht die Logik sowieso flöten.

Angeblich 15km vor der Herberge sollen wir baden. Tria-Peter erklärt uns für verrückt, denn die Wasserqualität ist bekannt. Die ersten kommen auch alsbald frustriert zurück und erzählen von einem schmierigen Steinstrand. Ich habe sowieso ein ungutes Gefühl, wie hier alles abläuft und will wie Tria-Peter möglichst schnell zur JH. Dafür hatten wir uns schon vorher entschieden. Eberhard kommt mit. Ein Glück für uns, denn er kann etwas italienisch.

Ich darf einige aufmerksame Blicke auf den einzigen vorhandenen Stadtplan von Neapel werfen. Dann los. Der Verkehr ist irre. In Rom war er dichter, dafür fährt hier jeder, ohne nachzudenken. Man muß höllisch aufpassen. Motorrollerfahrer scheinen prinzipiell keine Helme mehr zu tragen, und wenn, dann werden sie wenigstens nicht zugemacht. Bis Rom gab es so etwas nicht.

Odyssee, Fragen ohne Ergebnis. Wir fahren am Meer entlang. Mann, solche Straßen gab es ja kaum in der DDR. Was dort Ausnahme war, ist hier die Regel. Elende Häuser, Krach, Hupkonzerte, Müll überall - das blanke Grauen. Das soll Neapel werden? Sehen und sterben? Sterben ja, aber ... OK, wir sind noch nicht in der richtigen Stadt.

Kopfsteinpflaster, Wellen, riesige Schlaglöcher. Ganz hinten um den Felssporn herum, dort müssen wir tatsächlich hin - ich habe es gleich befürchtet.

Mitten in den Slums das Ortseingangsschild. Ein trauriges Zielfoto für Peter. Aber wir sind noch nicht in der JH.

Industriegebiete, die Straße links und rechts von endlosen Mauern begrenzt und wie üblich nur Müll ringsum. Dann müssen wir doch noch den Berg hoch. Heiß. Frust im Bauch. In den Kurven antike Basaltsteine.

Oben fragt Eberhard lange einen Busfahrer. Wenn wir Eberhard nicht hätten ... Hurra, wir sind auf dem richtigen Weg, wir haben uns bisher nicht verirrt. Die Strecke wirkte die ganze Zeit über "falsch". Aber noch sind wir nicht da.

Eine lange, lange Abfahrt auf Kopfsteinpflaster mit vielen Wellen (eben wie die schlechtesten DDR-Straßen, nur mit mehr Motorrollern und Autos im schlängelnden Gegenverkehr). Polizei? Gibt's die hier? Zwischendurch ein erster Blick auf die Stadt. Na, wie Cortona oder Florenz sieht sie nicht gerade aus. Bei guter Sicht sicherlich eine traumhafte Lage, aber die Stadt selbst ...

Am nächsten Hafen ein sehr freundlicher Verkäufer, der Eberhard den Weg zeigt. Wir sind fast da. Noch heißt es über den Sarazzano-Platz fahren. Ich habe zwar Grün, muß mir mein Recht auf Fahrt aber mit sehr riskanten Manövern erzwingen. Die letzte wilde Aktion. Links Richtung Tunnel (Eberhard befürchtete schon, daß wir auch durch müßten), dann rechts hoch über zwei Spitzkehren teils auf antikem Pflaster zur JH. Zwei Stunden ab Ortsschild haben wir bis hierher gebraucht!

Peter und Christel Scheunemannn sind schon da, und das Gepäck von Tria-Peter und mir auch. Zu Trinken gibt's nichts, nur einen extrem finster dreinblickenden Hausmeister. Die Räder sollen erst nachts in die JH genommen werden. Kann man das nicht vorher klären? Bei anderen Touren soll das immer geklappt haben. Ich habe das Gefühl, die Organisation bricht seit Rom ziemlich zusammen und irre mich auch nicht (Tria-Peter meint das sowieso schon lange). Auch das Hotel gestern war nicht das versprochene. Erfährt er die Preise nicht vorher? Haben wir die Reisekasse überzogen? Kein Programm mehr abends. Das soll bei früheren ITFs ganz anders gewesen sein.

Das Schlimmste für mich: Jetzt soll ich mich selbst um meinen Radkarton für den Rücktransport kümmern. In dieser Stadt. Nun mach' mal, Zwinki. So war es nicht verabredet. Ich hatte ihn schließlich zweimal vorher deswegen angerufen. Und dann stehe ich im Regen. Da hätte ich mich vorher leichter kümmern können!

Das Zimmer erinnert wieder an die Kursk von Innsbruck, nur diesmal für Peter und mich allein, es ist also erträglicher. Die Duschen werden nach Süden immer mieser (Lüftungen funktionieren prinzipiell nicht mehr), aber wenigstes gibt es lauwarmes Wasser. Diese Ankunft hatte ich mir anders vorgestellt. Nichts mehr von Freude. Ich bin stinksauer.

Alternativen zu Scheunemann-Touren gibt es in dieser Preisklasse nicht. Aber auch bei Aldi will mal funktionierende Waren für sein Geld. Ich befürchte, diese Tour war meine letzte bei ihm ...

Noch bleibt uns Zeit in Neapel, ich hoffe auch auf angenehme Eindrücke. Bis auf einiges Chaos bei der Unterkunft sowie allerhand nicht eingeplante Zuzahlungen unsererseits (im Hotel in Pianoro mußten wir z.B. 20DM extra für ein mickriges Abendbrot berappen) war der Gesamteindruck bis Vetralla/Viterbo noch gut, das Positive überwog. Wir hatten ja auch unheimliches Glück mit dem Wetter. Peter und ich sind nur auf 70km Strecke südlich von München richtig naß geworden.

Unsere Räder versagten nicht, dank der recht kleinen Teilnehmerzahl lernten wir uns alle kennen, und viele Teilnehmer sind wirklich nett. Der geforderte Gemeinschaftsgeist zeigte sich außer bei wenigen in der Tat. Auch die Betreuer gaben sich viel Mühe und mußten offenbar trotzdem selbst zahlen. Nur Hanna war leicht überfordert ;-)

Aber weniger hätte es nicht sein dürfen an Leistungen. Eine gewisse Sicherheit möchte man doch haben, es läßt sich nicht alles improvisieren.

Sportlich war es eine einzigartige Herausforderung. Eigentlich habe ich keinerlei ernsthafte Beschwerden gehabt. Der verspannte Rücken gab sich mit der Zeit (Rucksack ungeschickt gepackt?), und auch in der linken Kniekehle zog es immer weniger, je weiter wir nach Süden kamen - offenbar ist Kühle daran schuld.

Schwierig war es, das abendliche Dehnen einzuhalten, aber es ist unbedingt notwendig. Ich war der Einzige, der das tat, doch das spielt keine Rolle für mich. Ein paar mal habe ich es verpaßt, weil es so viel zu tun gibt und man auch noch die Stadt sehen möchte. Doch am nächsten Tag merkt man schon, wenn man nicht gedehnt hat.

Das flotte Rollen auf ebener Strecke geht so gut wie nie zuvor, siehe auch unser heutiges Tempo - 37 ohne jedes Keuchen. Aber die Berge tun jetzt sehr weh, es ist alle Kraftausdauer weg (nur Schnellkraft ist noch da, nach jedem Ampelstart muß ich auf Peter warten). Doch es beginnt eine Neigung zu Oberschenkelkrämpfen (die ich noch nie hatte), die mir eindeutig zeigt: Mach' mal 'ne Pause.

Insgesamt legten wir in 17 Etappen plus Prolog 2346km mit 21000Hm zurück.

Ich werde wohl eine Weile brauchen, bis ich wieder "normal" bin. -

Der Tag ist noch nicht zu Ende. 20.00, und außer uns dreien ist immer noch niemand da. Das sieht nicht gut aus. Eberhard schafft es schließlich, daß wir doch schon Abendbrot bekommen. Unser letztes Essen war um 10.00 am Buffet.

Gegen 20.30 kommen sie. Völlig fertig, die meisten können kaum noch reden. Mehrere Katastrophen auf einmal: Zunächst hingen unsere Mannen geschlagene 7 Stunden am dreckigen Strand in der Prasselsonne ohne jeden Schatten, während Peter Scheunemann und Frau diverses organisierten. Erst gegen 18.30 tauchte er auf, nicht lange vor der Dämmerung. Er hatte noch Fahrkarten und zwei Radkartons besorgt. Viel schlimmer aber: Das Betreuerauto mit der Verpflegung wurde binnen 10 Minuten auf belebter Straße am hellichten Tag aufgebrochen. Rein zufällig stand das Auto mit dem Gepäck der anderen im Blickwinkel und wurde nicht gestohlen (beide Autos haben allerdings eine Wegfahrsperre). Gar nicht auszudenken, was noch hätte passieren können. So war die Handtasche mit Geld, Personalausweis und Scheckkarte von Ramona weg. Ein bodenloser Leichtsinn, so etwas hier in Neapel im Auto zu lassen.

Es muß der Teufel losgewesen sein. Die Polizei erscheint bei solchen Lappalien gar nicht mehr. Zu den Hintergründen schaue man sich einen guten italienischen Film an.

Und dann noch 30km Fahrt zur Jugendherberge bei Dunkelheit, zum Schluß durch den (beleuchteten) Tunnel. Peter, Eberhard und ich sind uns einig: Unsere Flucht nach vorn war unsere beste Tat auf der ganzen Fahrt.

Wir drei lassen es uns derweil bei Rotwein auf der Terasse in warmer Abendluft gut gehen. Vom Vesuv ist mittelerweile nichts mehr zu sehen, tagsüber verschwindet er ohnehin im Dunst und Smog. Dafür hängt jetzt der Mond orange über dem Meer. Eine schöne Stimmung, wenn man die Ohren zumacht und das Gehirn abschaltet.

Wir nehmen unsere Fahrräder heimlich mit auf das Zimmer, als die Damen an der Rezeption gerade stark beschäftigt sind. Einen haben sie dabei erwischt - es kam gleich eine Lautsprecherdurchsage. Peter und ich schließen beide Räder zusätzlich an die Heizung an (damit sie bei einer evtl. Zimmerkontrolle nicht mitgenommen werden können) und schlafen erst einmal beruhigt. Wenn nur der Rücktransport schon vorbei wäre ...

Ein Tag in Neapel

Von wegen Ruhetag. Gegen 5.30 dröhnt die erste Lautsprecherdurchsage in der JH, wo doch vor 24 Uhr sowieso nie Ruhe ist. Ich bekomme meinen Radkarton, verpacke erst einmal mein Rennrad und genieße das übliche Hohlbrötchen zum Frühstück.

Dann ziehen Peter, Eberhard, Willy und ich gemeinsam los in die Stadt. Drei Stationen mit der Metro - vielleicht sind die Bahnhöfe noch im Bau, doch ich habe den Eindruck, sie bleiben so, keiner ist mehr zuständig. Vollgeschmierte schmutziggelbe Bretter auf neuen Stahlträgern vor dreckstarrenden Wänden, in der Luft hängen Kabel, ein paar trübe Neonlampen, die Schilder mit Draht an den Trägern festgebunden: Das war's.

Draußen in der höhergelegenen Unterwelt der üblich wahnsinnige Verkehr mit neapolitanisch hohem Hupanteil. Wahrscheinlich habe die Autos hier eine Automatik eingebaut, die bei jedem 15.Kolbenhieb die Hupe auslöst. Motorroller fahren prinzipiell überall, auch in Gegenrichtung oder quer zum fließenden (!) mehrspurigen Verkehr. Wenigstens trägt man hier etwas öfter Helme.

Die Kirchen sind außen grau, drinnen unermeßlich reich. Welch ein Gegensatz.

Überall scharfe Kontraste, Dreck, Verfall, elende Bettler und todschicke Damen, finster dreinblickende Mafiosis (oder solche, die es werden wollen). Ein unglaublich buntes Völkchen, doch in Wirklichkeit wenig anziehend.

Straßenhändler überall, jeder Ramsch wird ausgebreitet. Unmassen kleiner Geschäfte, doch wenn man etwas sucht, findet man es nicht. Fast alle Straßen sind ganz mies, meist uraltes Pflaster. Ein Höllenlärm darauf.

Die Sehenswürdigkeiten wirken in dieser Mischung kaum. Lediglich der Dom ist innen so imposant, daß er mich sehr beeindruckt. Draußen wieder engste Gassen mit "antikem" Pflaster (große, viereckige Basaltblöcke), verfallene Häuser, Müll allerorten und ohrenbetäubender Lärm. 100.000 Einwohner kommen hier auf den Quadratkilometer. Ganz Dresden in reichlich der doppelten Fläche des Großen Gartens, oder ganz Berlin auf 5km*8km.

Auch in den Fußgängerzonen Autos und ständig Motorroller, für die bekanntlich keine Regeln gelten. Und immer wieder Bettler und Hehler (dreimal werden uns Dinge wie Videokameras vom Motorroller aus angeboten). Wir sehen zwar Polizei, doch die ist mit Verkehrsregelung vollauf beschäftigt. Meistens braucht es einen Polizisten und 3-4 Helfer, um eine Kreuzung in den Griff zu bekommen.

Für den Vesuv kann ich leider keinen begeistern. Schade, hier in der Stadt kommt nichts Schönes mehr, ich will raus. Die alten Herren wollen lieber per Schiff nach Capri gondeln. Dorthin kommen wir jedoch nicht mehr. So wird nur diskutiert und nichts gemacht.

Peter und ich trennen uns schließlich von den beiden und stoßen bis zur Buslinie zum Vesuv vor. Umständliche Fragerei, bis wir erfahren, daß es schon zu spät ist. Also zurück zum Hafen, irgendetwas mitfahren. Kurze Schiffahrten finden wird aber nicht mehr. Überhaupt ist alles ziemlich touristen-unfreundlich hier. Also noch ein wenig weiter im Streß - unter anderem Essen kaufen für morgen früh, denn wir müssen zeitig los. Das ist nicht so einfach, denn Kaufhallen gibt es praktisch kaum. Dann zur Metro. Aber wo ist die? Ich frage einen Wächter in kugelsicherer Weste, und er freut sich sichtlich über das entgegengebrachte Vertrauen.

Wir kehren mit Nahrung, doch ohne Obst zurück. Peter will es erst zum Schluß kaufen, doch dort finden wir nur Holzstühle, Autoreifen, Friseure, Süßigkeiten, Uhren - allen Ramsch der Welt, nur gerade kein Obst. Die Preise hier sind aber erstaunlich moderat. Und 90 Minuten Stadtverkehr (mit bis zu 3 Teilfahrten per Metro, Bus, Zug oder Seilbahn) kosten hier 1500 Lire, also 1.50DM.

Neapel - nein, danke. Nur von Ferne. Und vielleicht der Vesuv. Oder Capri? Peter sagt: "Reisen bildet. Wir sind jetzt gebildet." Ihn beeindruckte vor allem, wie ein Automechaniker Altöl seelenruhig an der Bordsteinkante auf die Straße kippte.

Andere schafften es per Sammeltaxi zum Vesuv und dann noch nach Pompeji. Das war offenbar schöner. Die beiden alten Herren Eberhard und Willy erwischten in einem anderen Hafen doch noch ein Schiff nach Capri. Wie war's denn? Naja, man war mal dort.

Die beiden letzten Etappen waren von Anfang bis Ende mißlungen. Italien nur von Rom ab nordwärts.

Rückreise

Wir fahren mit einer Art ICE (Superexpress) für nur 28DM in 100 Minuten zurück nach Rom. Den großen Radkarton halte ich im Gang fest, das geht schon in Italien. Ich reise als einziger direkt von Neapel aus nach Hause und verabschiede mich von den restlichen 6 Zugfahrern.

Die Orientierung auf dem Flughafen in Rom ist nicht gerade einfach, es gibt drei verschiedene Terminals, und ich entdecke keinen Infostand, wo ich fragen könnte. Aber ich bin inzwischen das Durchfitzen gewohnt, es geht alles recht problemlos. Leider muß ich 55000 Lire wegen Übergepäcks nachzahlen. Der kostenlose Fahrradtransport war eigentlich zugesichert. Ist mir jetzt egal.

Sehr, sehr spät kommen die anderen vier Mitflieger unserer Gruppe an. Sie waren in Rom geblieben und mußten noch zu einer feierlichen Ansprache des Vorsitzenden der Gesellschaft für deutsch-italienische Freundschaft ins Capitol und wurden dann von Peter Scheunemann in größter Hektik zum Flughafen gebracht. Ich habe mich auf Vorschlag vom selben Peter als "selbständig agierende Einheit" betrachtet und bin so viel besser gefahren.

Flugzeuge starten im Minutentakt (ich stoppe es spaßeshalber), trotzdem brauchen wir über eine Stunde, bis wir starten dürfen. Wir sehen noch einmal Korsika in der Ferne und erlebe einen traumhaften Blick auf die Alpen. In der Tälern liegt Dunst, zwischen vielen Bergen orgeln Wolken herum - es sieht super aus. Die Landung in Berlin erfolgt nur ca. 45 Minuten verspätet.

Der Karton kommt etwas ramponiert an, unten schaut das große Kettenblatt heraus. Oh, da habe ich einen Fehler beim Verpacken gemacht.

Das größte Wunder geschieht in Dresden: Der IC kommt auf die Minute pünktlich an. Keiner entschuldigt sich dafür. Dresden erwartet mich mit den gleichen Baustellen wie vor drei Wochen und unheimlicher Ruhe, die ich früher dichten Verkehr nannte.

Am Rad ist das große (neue) Kettenblatt etwas verbogen, ich kann es am nächsten Tag mittels Unterlegscheibe wieder fahrfähig machen. Die Libelle hat es zerdrückt, doch die Halterung war ohnehin schon gebrochen gewesen. Glück gehabt.

Und ich wiege ca. 3kg weniger. Das geht noch. Aber endlich bin ich mal wieder unter 80kg gerutscht. Inklusive aller Nachzahlungen, Bahnfahrt usw. hat mich die Reise ca. 1900DM gekostet.

Auf der ersten Radtour am Montag darauf erreiche ich endlich einmal einen 30er Schnitt von Haustür zu Haustür trotz Fußweg, Baustellen, Wind und Bergen, bezahle dafür aber erstmals mit einem Wadenkrampf.

Packliste (Dinge in Klammern brauchte ich nicht unbedingt)


SONSTIGES:

o Waschmittel (= Rei in der Tube)
o Teebaumöl für Wäsche
o Wäscheleine!, Klammern
o Ohropax
o Wecker
o Nähzeug
o Maglite-Lampe mit neuer Batterie
o Sekundenkleber
o Schweizermesser
o Vorhängeschloß
o Korkenzieher
o Gefrierbeutel

MEDIZIN/KOSMETIK:

o Penatencreme
o Kamillencreme
o Melkfett
o Sonnencreme
o Zahnputzzeug
o Duschgel/Shampoo mixed
o Kamm
o 2 Handtücher
o Waschfleck
o (Zahnstocher)
o Sixtus-Sportöl
o Klopapier im Sturmgepäck
o (Hopfenpillen)
o Medizin: Aspirin, Husten

PERSÖNLICH:

o Handy, Ladegerät
o Schreibbuch (Tagebuch)
o (Adreßliste)
o T-Shirt
o langes Hemd
o kurze+lange Hose
o 1 Unterhemd
o Slips
o Anorak
o Paß/Ausweis
o TKK + Kopie DKV
o Fotoapparat, Filme
o Wörterbuch, Sprachführer
o Visitenkarten
o Alpenkarte
o Schlüssel
o Geld
o Brustbeutel mit Leine
o (Beschäftigung, z.B. Buch: keine Muse gehabt)
o Hüttenhose
o Badeschuh! (für Dusche und als Hausschuh)
o Leichtschlafsack
o Normalschlafsack
o Isomatte
o Turmon (kleines Fernglas, optional)
o Badehose
o Einkaufsbeutel

RAD:

o Radsachen kurz+lang (je 2)
o Helly-Hansen-Hemd lang
o lange Unterhose
o Überschuh!
o Handschuh!
o Windstopper
o kleiner Rucksack
o Radsocken
o F-Unterhemd
o Regenbekleidung
o Startunterlagen
o Verbandszeug
o Brille
o Fahrradschloß + Schlüssel
o Luftpumpe
o 3 Schläuche
o 1-2 Mäntel
o Flickzeug, Werkzeug
o Abdreher
o Kettenpeitsche
o Kettenöl
o Hartwachs
o Putzlappen
(o Satteltasche?)
o Trinkflaschen
o Höhenmesser + Batterien
o Fahrradbeleuchtung, Reflexstreifen, Batterien
o RADSCHUH
o Fit
o Schwamm
o Pflegespray

ESSEN:

o Löffel *
o dm-Tabletten *
o Vit. C *

o Messer *
o Trinkbecher *